Repräsentativer Freiraum!

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Salomon Kleiner, Stephanskirche, 1721. [Nach M. Eisler (Hg.), Das barocke Wien. Historischer Atlas der Wiener Ansichten (Wien/Leipzig 1925) Taf. 23]
In den letzten Monaten erschien der Stephansplatz zugegebenermaßen etwas „uneben“ – eine sich ständig verschiebende Landschaft von Künetten. Diesen Montag wurde am Stephansplatz der Auftakt zur Neugestaltung des Platzes und vor allem seiner Oberfläche begangen. Tatsächlich „begehbar“ wird die neue Oberfläche dann voraussichtlich im November sein. Fußangelfrei soll das neue Pflaster sein und mit in die Pflasterung eingearbeiteten kreuzförmigen Mustern. Ein  „memento mori“  um der vielen Toten zu gedenken? Vor allem jener, deren prominente Grabsteine nicht an der Fassade des Domes angebracht wurden? Ein „memento cemeterii“, eine Erinnerung an Jahrhunderte von Friedhofskultur und Bestattungsvorgeschichte des heutigen Platzes? Zumindest einem Archäologen drängt sich eine solche Überlegung durchaus auf.

Wie wurde der Stephansplatz also eigentlich zur freien Fläche? Was läutete die letzte ganz große Umgestaltung rund um den Dom ein? Nun sind Plätze, ob alt oder neu, inmitten einer Stadt immer auch oder vielleicht sogar in erster Linie Projektionsflächen für Repräsentationsbedürfnis, Spielbretter für politische Schachzüge. Nicht anders verhält es sich hier.

In aller Kürze könnte man sagen, dass einer der Gründe für großflächiges Freimachen und Aufräumen 1792 die Rückkehr Franz II. von seiner Krönungsreise aus Frankfurt war. Sein Wunsch war es gewesen, freie Sicht aufs Riesentor zu haben.  Der Friedhof von St. Stephan, das erste Mal 1255 genannt, hatte den Dom vermutlich ab dem 12. Jahrhundert umgeben. Einen differenzierteren Einblick in die Strukturierung dieses Friedhofs gewinnt man übrigens um 1700 – also schon gegen Ende seines Bestehens. Hier finden sich die verschiedenen Gräberareale mit Namen (Fürstenbühl – nördlich des Langhauses, Palmbühel – nördlich des Chores, Studentenbühel – zur Schulerstraße hin und Römerbühel – zur Churgasse hin) erwähnt. Umschlossen wurde das Areal von einer Mauer, die den Zugang zum „Freithof“ durch mehrere Tore gewährte/verwehrte, die nächtens geschlossen wurden.  1732 wurde der Friedhof für Beerdigungen gesperrt,  1783 machte man sich an das Beseitigen der Gräber.

Der St. Stephansplatz gegen die Kirche im Jahr 1780. Aquarell, anonym. [Nach M. Eisler (Hg.), Bürgerliches Wien. Historischer Atlas der Wiener Ansichten (Wien 1929), Taf. 28]
Damit aber natürlich nicht genug. Wesentlich zur Schaffung eines Platzes war auch der Abriss der auf dem Friedhofsareal befindlichen Magdalenenkapelle 1781. Ebenso weichen musste der  Heilthumsstuhl, dessen zur Rothenturmstraße gewandte Bogenkonstruktion zwischen 1483 und 1699 das Stadtbild prägte. Zur Präsentation von Reliquien an besonderen Feiertagen erbaut, hatte er die Form eines die Straße überspannenden steinernen Bogens, und war somit recht einzigartig. Von der Funktion her vergleichbare Konstruktionen in anderen Städten darf man sich eher als entsprechend dekorierte hölzerne Tribünen vorstellen. Von der Ausstattung unseres Heilthumsstuhles gibt es nur fragmentarische Berichte – Bildnisse des hl. Stephan und der  hl. Katharina werden erwähnt. Das Abreißen des Heilthumsstuhls war nach und nach auch der Ausgangspunkt für weitere Veränderungen:  Im Bereich der Brandstätte wurde 1792–1803 eine Häuserzeile  abgerissen. Spärliche Überreste des in diesem Bereich ebenfalls 1874 abgerissenen Bauernfeind´schen Hauses wurden in einer unserer Künetten gesichtet.

Der St. Stephansplatz gegen die Brandstatt im Jahr 1780. Aquarell, anonym. [Nach M. Eisler (Hg.), Bürgerliches Wien. Historischer Atlas der Wiener Ansichten (Wien 1929), Taf. 30]
Ein Mauerrest des Bauernfeind´schen Hauses in einer Künette.

Der Wunsch Franz II. war somit also erfüllt. Der Platz hatte nach gut sieben Jahrhunderten als Friedhof und mit mehr oder weniger religiös verankerter Nutzung nach Beseitigung des einen oder anderen Hauses, das im Weg stand, als freie Fläche Gestalt angenommen. Durch weitere Demolierungen verlor der Stock im Eisenplatz seine bauliche Trennung zum Stephansplatz hin. Eine analoge Entwicklung gab es Richtung Graben, als Ende der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts auch dort die beiden trennenden Häusergruppen abgerissen wurden.

Solch gravierende Veränderungen stehen dem Areal um St. Stephan jetzt nicht mehr bevor. Ein neues Pflaster, ob nun mit Kreuzen oder ohne, neue Sitzgelegenheiten, vielleicht Veränderungen im Beleuchtungskonzept …  Das mutet alles sanft an, gegen die radikalen Einschnitte im Stadtbild, die zur Entstehung des Platzes geführt haben. Jetzt, wie ehedem, ist der Stephansplatz aber vor allem das: zentral, prominent, stadtbildprägend und wesentlich als  Repräsentationszone der Inneren Stadt – manche Dinge ändern sich nicht …