Abwarten und Tee trinken!

Autorin: Christine Ranseder

Oder doch lieber einen Kaffee schlürfen? Die Wiener waren ja nie große Teetrinker. Egal, im archäologischen Fundmaterial aus Wien fällt eine Zuweisung von Tassen zu dem einen oder dem anderen Heißgetränk ohnedies schwer. Nicht zuletzt weil uns eine breite Datenbasis für eine Typologie fehlt, denn bei Ausgrabungen kommt diese Gefäßform recht selten zutage. Eigentlich erstaunlich, Wien gilt ja als Hochburg des Kaffeehauses – zumindest in der Tourismuswerbung – und irgendwann wird doch auch in den Lokalen längst vergangener Zeiten etwas zu Bruch gegangen sein. Nun ja, wie so oft kann die Realität offensichtlich nicht mit der Fiktion mithalten.

Zugegeben, wir haben noch nie die Reste eines ehemaligen Kaffeehauses ausgegraben. Selbst in der Verfüllung des neuzeitlichen Stadtgrabens in der Nähe des Karolinentores fanden sich zwar jede Menge Mineralwasserflaschen, jedoch keine Tassen/Untertassen. Daran könnte natürlich ein unglücklicher Zufall schuld sein, denn eigentlich gab es auf dem Wasserglacis neben einer Mineralwassertrinkanstalt auch ein Kaffeezelt/Kaffeehaus. Der Pappbecher war jedoch meines Wissens zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht erfunden.

Wie auch immer, Sie sehen schon, mit vielen Tassen können wir nicht aufwarten. Dafür haben wir einige recht hübsche bzw. eigenartige Exemplare aus Privathaushalten im Fundrepertoire. Bei den Kannen sieht es übrigens nicht viel besser aus – doch immerhin lässt sich bei Ihnen tatsächlich anhand der Form feststellen, welches Heißgetränk einst kredenzt wurde.

Aber fangen wir bei den archäologischen Raritäten an. Zu diesen zählen in Wien Koppchen, eine henkellose Gefäßform aus der sowohl Tee als auch Kaffee getrunken wurde. Im Zuge der Ausgrabung am Michaelerplatz, Wien 1, kamen im Keller des ehemaligen Hauses Nr. 5 einige Exemplare unterschiedlicher Herkunft zu Tage. Zum einen handelt es sich um Originale, also um Porzellan aus China. Diese Koppchen waren ursprünglich für den Genuss von Tee gedacht. Zu den Funden zählten auch chinesische Imitationen des japanischen Imari-Porzellans, die für den Export nach Europa hergestellt wurden. Zu diesen Koppchen haben sich auch Fragmente der passenden Untertassen erhalten.

Chinesisches Porzellan: Koppchen, erstes Drittel des 18. Jahrhunders. | Koppchen, sog. China-Imari, um 1730. (Zeichnungen: Alice Kaltenberger, Fotos: Robert Kaltenberger-Löffler)

Auch die 1718 gegründete Wiener Porzellanmanufaktur stellte Koppchen her, deren Dekor unter anderem von ostasiatischen Vorbildern inspiriert war. Eigens für den Export in die Türkei wurden große Mengen sog. Türkenbecher , Koppchen aus denen Kaffee getrunken wurde, angefertigt.

In der Türkei selbst wurden Koppchen aus Fayence hergestellt. Im Fundmaterial aus Haus Nr. 5 war auch ein derartiges Exemplar vertreten.

Koppchen Wiener Porzellanmanufaktur, „nach 1749 bis vor 1784“. | Türkisches Koppchen, Iznik, spätes 16./frühes 17. Jahrhundert. (Zeichnungen: Alice Kaltenberger, Fotos: Robert Kaltenberger-Löffler)

Die Europäer bevorzugten Tassen mit Henkel, auch diese gibt es vereinzelt im Fundmaterial. Neben den klassischen Formen, die sich bis heute bewährt haben, wirken Tassen in Gestalt eines  Vierpasses  geradezu exotisch. Erst unlängst kamen zu den vom Heldenplatz, Wien 1, bekannten Exemplaren zwei weitere aus der Grabung in der Rasumofskygasse 29–31, Wien 3, hinzu. In der ostösterreichischen Literatur wird diese Tassenform in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts datiert. Doch mich beschleichen Zweifel. Leider ist nicht bekannt, ab wann in Wien Tee und Kaffee, beides zu Beginn Luxusgüter, getrunken wurde. Das erste Wiener Kaffeehaus öffnete international gesehen erst relativ spät, 1685, seine Pforten.

Ungewöhnliche Tassen, gefunden in der Rasumofskygasse 29–31, Wien 3. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Als Mogeltasse kann ein Fund aus der Grabung im Ronacher angesprochen werden. Eindeutig für Kaffee gedacht, wirkt sie von außen als hätte sie ein beträchtliches Fassungsvermögen. Doch dem ist nicht so. Der massive Boden und die dicke Gefäßwand  helfen, die Menge des tatsächlich ausgeschenkten Getränkes beträchtlich zu reduzieren. Der Traum eines jeden Gastwirtes? Wenn schon nicht inhaltsreich, ist die Tasse immerhin so schwer, dass man mit ihr gut auf den Tisch klopfen konnte, um sich Gehör zu verschaffen oder einer Meinung Nachdruck zu verleihen – falls bei Tisch nicht Schweigen herrschte. Selbst die Kaffeehäuser, die ja als Orte des angeregten Gesprächs gelten, wirken auf historischen Abbildungen aus Wien lange wie Männerklubs, in denen man(n) Ruhe suchte, um ungestört Zeitung zu lesen und zu rauchen. Schließlich war es hier wärmer als in der ungeheizten kleinen Substandardwohnung – und die selbsternannte geistige Elite hatte mehr Platz ihre Follower um sich zu scharen.

Tasse aus dem Fundmaterial der Grabung im Ronacher, Seilerstätte 9, Wien 1. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)