Aus der Ferne komm ich her

Autorin: Christine Ranseder

Im archäologischen Fundmaterial des Mittelalters und der frühen Neuzeit weist nichts darauf hin, dass sich Wien mit den reichen Hansestädten oder „global playern“, wie London und Amsterdam, messen konnte. Doch selbst das aus der Sicht des Welthandels vergleichsweise unbedeutende Wien bekam seinen Anteil an Importen – auch wenn es sich zumeist um recht bescheidene Waren handelte.

Paradebeispiel ist die im Raum Passau/Obernzell hergestellte Keramik aus Graphitton, die sich offensichtlich bei der hiesigen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreute. Die dank ihrer Stempel leicht zu identifizierenden Gefäße tauchen als klägliche Scherben häufig bei Wiener Ausgrabungen auf.

Ein Bruchstück eines Henkeltopfes mit Stempel einer im Gebiet von Passau/Obernzell ansässigen Werkstatt. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Ebenfalls aus Bayern, genau genommen aus dem in seinem Nordosten gelegenen Fichtelgebirge, wurden kleine schwarze Knöpfe importiert. Sie schmückten sowohl die Kleidung von Männern als auch von Frauen, wie wir dank der Funde aus Gräbern längst aufgelassener Friedhöfe wissen.

Links: Knöpfe aus dem Grab einer Frau am ehemaligen Friedhof bei der Kalvarienbergkirche in Hernals, St.-Bartholomäus-Platz, Wien 17. Rechts: Knöpfe aus einem Männergrab des ehemaligen Soldatenfriedhofs im Bereich der Marchettigasse, Wien 6. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Die Rückseiten von zwei Knöpfen, deren Eisenösen im Boden vergangen sind. Die Spiralwindung vom Wickeln des Knopfes ist gut zu erkennen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Im Gebiet des Fichtelgebirges steht das Gestein Proterobas an, das ohne weitere Zusätze schmilzt und wie Glas geformt, jedoch nicht geblasen werden kann. An manchen unserer kugeligen Knöpfchen aus dem 17./18. Jahrhundert ist gut zu sehen, dass die Glasmasse um die Eisenöse gewickelt wurde. Die Eisenösen selbst sind allerdings nur in einigen Fällen erhalten geblieben. An der Technik veränderte sich im Lauf der Zeit offenbar wenig, denn noch im Jahr 1862 beschreibt sie Rudolf Isensee in seinem  Buch Die Knopffabrikation auf dem Höhepunkte ihrer gegenwärtigen Vervollkommnung […]  folgendermaßen:
„Der Arbeiter sitzt vor dem Tiegel und taucht das zu dem Knopfe bestimmte Drahtöhr in die flüssige Masse, dreht es darin herum, wodurch das anhängende Glasklümpchen rund wird, und wirft den Knopf dann in einen in der Nähe stehenden Topf, in welchem er allmälig erkaltet.“

Muster konnten eingepresst werden, indem der noch weiche Knopf in einen offenen Model gedrückt wurde. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam auch ein mit dem Fuß bedientes Kluppwerk zur Anwendung, mithilfe dessen man dem kugeligen Knopf eine andere Form verlieh.

Die Anfänge der Herstellung von Knöpfen und Perlen im Fichtelgebirge liegen im Dunkeln, erste Erwähnungen stammen aus dem 15. Jahrhundert. Am Ochsenkopf bei Fichtelberg konnten Reste einer ins 17. Jahrhundert datierten Glashütte archäologisch untersucht werden.
Die handlichen Produkte wurden bis in die Türkei, nach Russland, Westindien und sogar Nordamerika verhandelt. Wien lag an der Handelsroute in den Osten, es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass derartige Knöpfe und Perlen hier bei Ausgrabungen gefunden werden.

Angesichtlein mal vier

Nicht nur die kugeligen schwarzen Knöpfe, sondern auch ein Paar hübscher Manschettenknöpfe lassen sich als Ware aus dem Fichtelgebirge identifizieren. (Wenn sie sich durch die Bilder des Glaswanderweges klicken, werden sie ein Vergleichsstück entdecken) Es stammt aus einem Grab des im Bereich der heutigen Marchettigasse, Wien 6,  aufgedeckten Friedhofs, auf dem von 1769 bis 1784 Soldaten der kaiserlichen Armee ihre letzte Ruhestätte fanden. Die aus weißem Glas plastisch geformten Gesichtsdarstellungen sind mit roter und blauer Farbe bemalt, in der abgeflachten Rückseite steckt eine Öse aus Eisendraht. So konnten jeweils zwei Exemplare mit einem Verbindungsstück zusammengefasst werden und als Manschettenknöpfe dienen. Das attraktive Accessoire hat  sicher die Lebensqualität des in Wien Verstorbenen nicht verbessert, ihm aber hoffentlich Freude bereitet.

Ein paar Manschettenknöpfe aus einem Grab des ehemaligen Soldatenfriedhofs im Bereich der Marchettigasse, Wien 6. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Literaturtipp
Allen, die mehr über die Produkte aus Proterobas erfahren wollen, sei folgender exzellenter Artikel empfohlen:
Karlis Karklins et al., The Fichtelgebirge Bead and Button Industry of Bavaria. In: Beads. Journal oft he Society of Bead Researchers 28, 16–37 (2016).