Die Pest in Hernals

Autorin: Heike Krause


1713 war ein schlimmes Jahr für Hernals. Die Pest ging um. Dieses Diagramm zeigt die in den Sterbebüchern der Pfarre verzeichnete Zahl an Todesfällen (Pesttote des Jahres in roter Farbe), die weder vorher noch nachher jemals so hoch war.

Schon seit dem späten Mittelalter wurde der Wiener Raum mehrere Male von dieser schrecklichen Krankheit heimgesucht. Der letzte Ausbruch im Jahr 1679 hatte noch seinen Platz im kollektiven Gedächtnis. Nach dem Abklingen der Epidemie wurde eine Dreifaltigkeitssäule am Graben als Dank für die Abwendung des Schwarzen Todes aufgerichtet, nachdem Kaiser Leopold I. ein entsprechendes Gelübde abgegeben hatte. Jahrzehntelang wurden dorthin Pestprozessionen abgehalten. Auch jetzt, in Zeiten der Coronavirus-Pandemie, werden Kerzen vor ihr abgestellt und Gebete gesprochen.

Die 1679 aufgerichtete, aus Holz gefertigte Pestsäule am Graben (links). (© Wien Museum, Inv.-Nr. 31.299) Sie wurde durch eine neue, 1693 geweihte Dreifaltigkeitssäule ersetzt (rechts). (© Wien Museum, Inv.-Nr. 32.602)

Nun kam diese Seuche wieder. Aus Ungarn soll sie eingeschleppt worden sein. Auch das nordwestlich von Wien gelegene Dorf Hernals blieb nicht verschont. Hier starben um die 300 Personen an der Pest. Sie wurden aus Angst vor der Ansteckung außerhalb des Ortes auf einem seit der Reformationszeit bestehenden Gottesacker begraben. Martin Luther hatte schon 1527 die Empfehlung abgegeben, die Begräbnisplätze von den Ortszentren nach außen zu verlegen und somit Kirche und Friedhof räumlich zu trennen. Der abgelegene Platz sollte der stillen Andacht dienen. Auch hygienische Aspekte, insbesondere Pestepidemien spielten dabei eine Rolle. Nach Luther schlafen die Toten bis zum Jüngsten Gericht, sie müssten ihre Sünden nicht im Fegefeuer verbüßen. Daher waren keine Seelgerätstiftungen notwendig, auch die Friedhofserde benötigte keine Weihe.

Die Trennung von Kirche und Gräbern wurde auch in Hernals umgesetzt. Die Bezeichnung „Gottesacker“ leitet sich von der Lage des Friedhofs außerhalb des Ortes auf einem Acker her. Dieser abseits angelegte, ummauerte Friedhof blieb auch nach der Rekatholisierung bestehen. Hier wurden Mittellose, Ortsfremde sowie die Pesttoten begraben. Der Hernalser Pfarrer Gottfried Bering wusste noch 1758 zu berichten, dass er neben dem bei seiner Pfarrkirche gelegenen Gottesacker einen zweiten habe. Auf dem Feld, wo die „Pestiferi“ begraben worden seien, sei vor Errichtung des ersteren der allgemeine Friedhof gewesen. Damit bezog er sich auf die protestantische Zeit.

Der Friedhof außerhalb des Hernalser Ortskernes in der Ansicht von Matthäus Merian 1649 (Ausschnitt). (© Wien Museum, Inv.-Nr. 19.247, Foto: Birgit und Peter Kainz)

Für die Stadt Wien wurden zur Bekämpfung der Epidemie strenge Regeln erlassen. Die 1727 herausgegebene „Pest-Beschreibung und Infections-Ordnung“ fasste die Traktate von 1713 zusammen. Es wurde darin einleitend betont, dass neben der „Geistlichen Mittel“ wie sündenfreies Leben, Gebet und Buße auch „medicinalische Gegen-Mittel“ helfen könnten. Man sah in der Krankheit eine Strafe Gottes. Der Kaiser beschränkte die Öffnungszeiten von Gasthäusern, Bierschänken und Weinkeller, um das Laster der Trinksucht einzudämmen. Unhygienische Straßen, der Gestank verwesender Tierkadaver oder übelschmeckende Lebensmittel wurden als Ursache angenommen. Von einem anklebenden Pestgift ist die Rede, das mehrere Wochen in einem schlummern kann, ehe die Krankheit ausbricht. Personen, die aus „pestsüchtigen Orten“ kamen, durften daher die Stadt 40 Tage lang nicht betreten. Quarantäne, damals Kontumaz genannt, war neben der Meldepflicht eine der Maßnahmen.

Wussten die Menschen in Hernals, wie sie sich schützen konnten? Welche Mittel standen damals zur Verhütung der Ausbreitung zur Verfügung? Desinfektionsmittel, Schutzanzüge, Atemschutzmasken oder Einmalhandschuhe gab es nicht. Die Ursache einer Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch war unbekannt. Man vertraute der Wirkung von Gebet, Hausmitteln, Amuletten und an Rosenkränzen getragenen Heiligenmedaillen. In den Gräbern auf dem Friedhof bei der Hernalser Kalvarienbergkirche fanden wir während der Ausgrabung im Jahr 2009 zahlreiche Medaillen und Amulette als Helfer gegen Krankheit und Tod. Der Hl. Benedikt von Nursia galt als Schutzpatron der Sterbenden und als Beschützer vor dem Tod, vor allem auch als Helfer gegen die Pest und andere schwere Krankheiten. Auch der Hl. Zacharias sollte dagegen schützen. Daher gibt es Medaillen, die Benediktus- und Zachariassegen in einem Objekt vereinen, nach der Devise: Doppelt hält besser.

Ein Benediktuspfennig mit Zachariassegen und Benediktusschild. Gefunden in einem Grab bei Ausgrabungen bei der Hernalser Kalvarienbergkirche. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Wieder legte der Kaiser in dem Pestjahr ein Gelübde ab. Sollte die Seuche besiegt sein, würde er eine Kirche bauen lassen. 1716 wurde der Grundstein für die Karlskirche gelegt. Ihr Patron wurde der Pestheilige Karl Borromäus. In Hernals bat der Dechant und Domkapitular von St. Stephan 1714 – offenbar auch als Dank für die überstandene Epidemie – um die Erlaubnis zur Erbauung einer neuen, schöneren Friedhofskapelle.

Der Kontumazhof in der Alser Vorstadt für die Quarantäne der Pestgenesenden. Ausschnitt aus der Vogelschau der Stadt Wien von Folbert van Alten-Allen, 1679–1686. (© Wien Museum Inv.-Nr. 138.525, Foto: Birgit und Peter Kainz)

Und was tat man mit den Genesenden? Sie wurden in den 1657 errichteten Kontumazhof gebracht, wo sie und ihre Kontaktpersonen 40 Tage in Quarantäne verbringen mussten, bevor sie wieder die Stadt betreten durften. Nach Ende der Epidemie 1713 kam die Pest nicht mehr nach Wien zurück. Möge es mit dem Coronavirus auch bald vorbei sein, damit wir uns wieder sorgenfrei bewegen können.