Die römische Befestigung lässt grüßen

Autorin: Constance Litschauer

© Stadtarchäologie Wien - Constance Litschauer

Des Einen Leid ist zumindest manchmal des Archäologen Glück! Ganz aktuell bot ein Gasgebrechen an der Ecke Naglergasse/Tuchlauben im 1. Bezirk eine der seltenen Möglichkeiten einen Blick auf die Reste der porta decumana des rund 1900 Jahre alten Legionslagers von Vindobona zu werfen.

© Stadtarchäologie Wien

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Early birds wie wir: Treffpunkt 5:30 h am Graben und es kann auch schon losgelegt werden.

Diese einmalige Chance ließ sich das Team der Stadtarchäologie Wien natürlich nicht entgehen und es fiel unter diesen Umständen wohl auch nicht sonderlich schwer, sich noch im Morgengrauen um 5:30 h im Vorfeld der Bauarbeiten vor Ort zu treffen. Musste oder besser gesagt konnte der Befund doch archäologisch freigelegt und geputzt, beschrieben, georeferenziert vermessen sowie fotografiert – kurz gesagt fachmännisch dokumentiert – werden.

© Stadtarchäologie Wien nach Kenner 1904
Plan der 1901 und 1902 aufgedeckten Befunde nach Kenner.

Aber auch vor mehr als 100 Jahren hatte bereits Josef Nowalski de Lilia die Möglichkeit Teile des Tores zu dokumentieren. Das Schaffen des damals tätigen Archäologen dient uns noch heute als Basis für Rekonstruktionen zum römischen Wien – von uns mit der Zeit verfeinert und manchmal etwas zurechtgerückt natürlich. So auch im Fall des Torbaus, von dem er in den Jahren 1901 und 1902 den unter der Hausecke Tuchlauben1/Naglergasse 2 liegenden westlichen Turm antraf. Seiner Arbeit verdanken wir damit nicht nur das Wissen zur jetzt noch exakter lokalisierbaren Lage des Tores, sondern auch zum Grundriss eines seiner Türme. Diese konnten rund, oder – wie in unserem Fall – viereckig sein.

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Dokumentieren ist angesagt: der Grabungsleiter in Aktion – da auf ebener Erde und ohne Baustellenbetrieb ausnahmsweise ohne Helm: bei dem Motiv nicht überraschend.

Im Zuge der aktuellen Freilegung war rasch klar, welcher Teil des Torbaus der Befestigungsanlage des unter Trajan um 100 n. Chr. errichteten Legionslagers von uns angetroffen wurde: die Überreste einer der vermutlich zwei Durchfahrten des einst wahrscheinlich rund 20 m hoch aufragenden und mit seitlich flankierenden Türmen ausgestatteten Torbaus. Während die Ansprache der höher herausragenden Reste als Fundament- und Sockelbereich der Ecke des westlichen Torbogens relativ einfach gefallen ist, bereitet ein etwas kärglicher und wenig erhabener Teil hier allerdings noch etwas Kopfzerbrechen. Vielleicht lässt die Fundamentierung – von ihr sind ein  65 x 45 x 28 cm messender und eher unförmiger Quarzsandstein mit kleinen Bruchsteinen als Unterbau erhalten geblieben  –  im Zuge der Aufarbeitung aber weitere Schlüsse zum Aufbau des Tores zu.

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Die von der Stadtarchäologie Wien angetroffenen Reste der porta decumana.

In einem Abstand von rund einer Lastkarrenbreite dazu fanden sich schließlich die bereits erwähnten Reste der westlichen Mauerecke der porta decumana. Dieses Mauerwerk zeichnet sich durch eine Fundamentierung aus  kleineren Bruchsteinen aus, einem darauf sitzendem Auflager in Form von exakt zugearbeiteten und rund 55 x mind. 45 x 23 cm messenden Steinplatten sowie aufgehendem Quadermauerwerk. Seine mit rund  70 x mind. 30 x 70 cm als durchaus mächtig zu bezeichnenden und zumindest eher sorgfältig bearbeiteten Quader säumten einst die Torlaibung.

Und als ob uns die Römer hier ein Rätsel aufgegeben hätten, lässt sich die Herkunft der verschiedenen Steine eher einfach bestimmen. Wir warten zwar noch auf die geologische Bestimmung, vermuten aber, dass sie aus nahegelegenen Steinbrüchen stammen, die bereits in römischer Zeit in Betrieb waren. Die Quadersteine der aufgehenden Mauer wurden wahrscheinlich aus  Perchtoldsdorfer Brekzien gebildet, die exakt zugehauenen Steinplatten des Auflagers aus Heiligenstädter bzw. Nußdorfer Quarzsandsteinen und die Bruchsteine des Fundaments aus Sieveringer Flyschsteinen.

Die neu aufgedeckten archäologischen Einbauten lassen aber ebenfalls Rückschlüsse für die südliche Fortifikationslinie zu, die sich mit ihrem vorgelagerten Grabensystem von der markanten Krümmung in der Naglergasse bis zum Haas-Haus am Stephansplatz erstreckte. So kann das Tor jetzt nicht nur exakter lokalisiert, sondern auch besser rekonstruiert werden. Auch wenn wir weiterhin nur vermuten können, dass die hiesige porta decumana zwei Durchfahrten besaß – es gibt auch andere Varianten, wie lediglich ein Tor oder zwei kleine Tore, die ein mittleres größeres flankieren – können wir im Zusammenspiel mit der Grundfläche des 1901/1902 angetroffenen Turms die Breite des Torbaus wenigstens weiter eingrenzen: sie sollte zumindest rund 30 m betragen haben.

 

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Römische Straßenschotterung.

In unmittelbarer Nähe – im Bereich Bognergasse/Tuchlauben – fanden sich auch Schotterlagen, die auf ehemalige Straßen zurückgehen. Unter den Schotterungen der mittelalterlichen Tuchlauben verlief ein weiteres Paket aus mehreren Schichten. Es ist aufgrund seiner Einlagerungen und der Tiefe im Erdreich als römerzeitlich anzusprechen und bietet einen Einblick in die hochentwickelten technischen Kenntnisse der Römer. Diese waren auch im Transportwesen nicht unwesentlich, da die in den Boden eingetieften Straßen aus einer Bettung und Schichtung verschiedener verdichteter Schotter-, Kies- und Steinlagen ja auch dem Transport von Waren und Legionen diente.

© Stadtarchäologie Wien - Martin Mosser
Plan des Legionslagers Vindobona …
Torrekonstruktion: © 7reasons
… und mögliche Rekonstruktion der porta decumana.

Die Lage macht es dabei wahrscheinlich, die Schotterungen als Rest der via decumana anzusprechen oder aber als Schnittpunkt bzw. Kreuzungsbereich zwischen via decumana und via vallaris bzw. sagularis. Diese begleitet die Lagermauer innen. Im Süden des Lagers von Vindobona beispielsweise im Bereich der heutigen Bognergasse, im Westen unter anderem am Am Hof, wo sie in der Feuerwehrzentrale von uns flächig dokumentiert werden konnte. Die auf einer der Hauptschnittachsen des Castrums angelegte via decumana führte als eine der vier Hauptstraßen römischer Kastelle hingegen direkt von der porta decumana – sie ist am Plan in der blauen Markierung erkennbar– zur principia, dem Stabsgebäude beziehungsweise verwaltungstechnischen und religiösen Zentrum. Im Bereich des Lagertores mündete wiederum eine wichtige Handelsstraße in die via decumana. Diese Fernverbindung führte über das Wiental nach Aelium Cetium (St. Pölten) und kreuzte im Bereich der am Michaelerplatz dokumentierten Lagervorstadt die Limesstraße, die entlang der Grenze des Imperium Romanum verlief.

© Wien Museum HMW 61632
Das Peilertor vor 1732 in einer alten Ansicht, Aquarell auf Papier.

Damit sind wir aber noch nicht am Ende der Geschichte, da vermutlich im 12. Jh. – vielleicht aber auch früher –  im Zuge der Entstehung einer Burgmauer um das frühe und gerade erst entstehende Wien an gleicher Stelle das Peilertor stand. Es war ursprünglich als Peurer (Burg-)tor bekannt. Die im Hochmittelalter übliche Praxis alte Fundamente weiter zu nutzen, macht es in diesem Zusammenhang nicht unwahrscheinlich, dass das Tor auf den alten römischen fußte.  Es konnte aber auch in unmittelbarer Nähe errichtet gewesen sein. Im Zuge des rasanten Wachstums Wiens und der Entstehung der Babenberger Stadtmauer im späten 13. Jahrhundert fand das Tor 1278 erstmals urkundliche Erwähnung, verlor aber zugleich bereits wieder seine ursprüngliche Funktion. Nachdem es unter Albrecht V. umgebaut wurde und ab 1565 als städtisches Gefängnis diente, wurde es 1732 demoliert und seitdem kaum noch gesichtet. Der  hier inzwischen bereits wieder eingestellte Straßenverkehr sollte zügig fließen können und hatte somit Vorrang gegenüber dem vermutlich auf den römischen Fundamenten oder im nahen Umfeld der porta decumana erbauten Peilertor.