„… die Chappellen die da leit in sant Stephans Vreythof…“ oder: die Virgilkapelle ganz persönlich.

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Ob sie es glauben oder nicht, auch Archäolog:innen haben „Lieblinge“, „Favoriten“ und die Motive für diese Vorlieben sind vielfältig und durchaus nicht immer nur streng wissenschaftlich begründet. Nun ist kaum etwas einfacher, als eine Faszination für die Virgilkapelle zu entwickeln, kaum etwas naheliegender, als das Teilen dieser kleinen Obsession in einer Führung anzubieten. Also? Darf ich sie bitten, mir hinunterzufolgen?

Virgilkapelle, Ausstellungsansicht. (© Wien Museum/Foto: Lisa Rastl)

Was mich anbelangt, so gehört die Virgilkapelle zu meinem frühesten „Bild“ vom Wiener Mittelalter, sie begleitet mich, seit ich denken kann und meine geschichtsaffinen Eltern mir die Untiefen dieser Stadt versucht haben nahezubringen. Ich kannte die Präsentation dieses mittelalterlichen Juwels schon, als man noch durch einen verhaltenen und wenig attraktiven kleinen Zugang von der U-Bahnstation Stephansplatz aus eintrat. Ich hatte das Vergnügen viel später, mit Begeisterung und Engagement an einer Neugestaltung mitzuarbeiten, getreu meiner alten Faszination.

Sieht man sich an, wie viele krude, fantasievolle und vollkommen am Objekt vorbeizielende Theorien es zu diesem unterirdischen Kapellenraum in Wort und mehr oder weniger dazu passendem Bild gibt, dürfte ich mit dieser Liebhaberei wohl kaum allein sein – kein Wunder, in einer Stadt, in der die Katakomben, diverse Grüfte und der Gevatter Tod gleich nach der Vorliebe für Kaiserin Sissi für die besten Nebenrollen nominiert sind. Die Radkreuze an der Wand wurden schon mit den Templern assoziiert, der unterirdische Raum gleich neben der Vorstellung vom Stephansdom als „energetischem Mittelpunkt der Stadt“ immer wieder verhalten als „magisch“ bezeichnet.

Esoterischer Spaß beiseite: Die Virgilkapelle ist einzigartig, es gibt in Europa keinen einzigen wirklich vergleichbaren unterirdischen Nischenraum. Sowohl die äußere Form als auch die innere Ausgestaltung sind unikal, die Tiefe für einen Bau des frühen 13. Jahrhunderts durchaus beeindruckend. Dazu kommt, dass die Umstände der Errichtung auch durch Konsultation der historischen Quellen bislang nicht restlos geklärt werden konnten, selbst der Name ist kaum mehr als eine „Leihgabe“ der späteren Entwicklungen rund um den Bau. Primär ging es sicherlich nie um den heiligen Virgil, sondern um …, nein, das werde ich jetzt natürlich nicht verraten. Wenn Sie das wissen wollen, kommen sie einfach zur Führung. Es gibt noch so viel mehr zu thematisieren, als nur die Assoziation des richtigen Heiligen mit dem Kapellenraum.

Virgilkapelle, Blick ins Gewölbe. (© Wien Museum/Foto: Lisa Rastl)

Die Virgilkapelle liegt unter dem Stephansplatz, eingebettet wie ein halbvergessenes Juwel in eine ebenso komplexe wie unübersichtliche Fassung. Sich verändernde Siedlungsräume und Bestattungsvorgaben spiegeln sich hier ebenso abwechselnd wider, wie das Werden des mittelalterlichen Wiens selbst, in der ebenso wichtigen wie dynamischen Zeit des 13. Jahrhunderts. Grund genug, sich mit diesem Teil des Wiener Untergrundes genauer auseinanderzusetzen. Betrachtet man die Virgilkapelle dabei zu isoliert, entgeht einem ein höchst faszinierendes Gesamtbild, in dem sich der Bogen von der römischen Lagervorstadt über ein spätantikes Gräberareal und mehrere mittelalterliche Bestattungsplätze zum heutigen Platz nach seiner letzten Umgestaltung spannen lässt. Grund genug, eine Führung anzubieten, die sich mit Archäologie „rund um“ den Stephansplatz und in seinen historischen Untiefen auseinandersetzt.