Eine herzerwärmende Geschichte

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Gerade in der kalten Jahreszeit sind wohlige Wärme und erbarmungsloses Frieren auch in der Archäologie ein Thema – nicht nur für KollegInnen, die bei Minusgraden im Freien arbeiten.

Unwillkürlich schaudern auch WissenschaftlerInnen im Innendienst angesichts der Tatsache, dass die rauchfreie Heiztechnik mit dem Ende der römischen Dominanz vorerst einmal verloren geht. Von Fußbodenheizungen ist man in den folgenden Jahrhunderten weit entfernt, das offene Feuer mit mäßig viel Wärme und unangenehm viel Rauch herrscht unangefochten im Kampf gegen die Frostbeulen. Auch wenn es erste Hinweise auf technische Neuerungen schon um die Jahrtausendwende gibt, dauert es bis ins 12. Jahrhundert, bis sich an dieser Situation nachhaltig etwas zu ändern beginnt. Mit den ersten Kachelöfen kommt wieder ein Modell einer Heiztechnik auf, das Wärme ohne erstickende Rauchentwicklung bietet. Eine Verwandtschaft mit der römischen Hypokaustheizung kann hier allerdings nicht angenommen  werden – zu unterschiedlich sind Herangehensweise und Konstruktion. Recht eindeutig ist hingegen, dass die Entwicklung des Kachelofens wohntechnisch Hand in Hand mit der Erfindung der Stube, dem einzigen luxuriös rauchfrei gewärmten Raum im Haus – geht. Zwischen dem Hoch- und Spätmittelalter entstehen verschiedene Kacheltypen und unterschiedliche Ofenformen, die wir auch aus Darstellungen gut kennen. Die Oberfläche der Kacheln kann unbehandelt bleiben, oder mit einem Überzug und/oder einer Glasur verschönt werden.

„Schüsseln“ –  aber nicht fürs Tafeln

Eine in Wien im 15. Jahrhundert ungemein häufige Kachelform ist die „Schüsselkachel“. Sie ist auf den ersten Blick leicht mit dem namengebenden Essgeschirr zu verwechseln – vor allem im stark zerscherbten und schlecht erhaltenen Zustand. Tatsächlich unterscheidet sich die Schüsselkachel aber durch ihre viereckig ausgeformte Mündung vom zeitgleichen Essgeschirr deutlich. Was die künstlerische Gestaltung anbelangt, liebt man es hierorts meist puristisch. Die Kacheln werden reduzierend gebrannt und bestechen, Dank der Sauerstoffreduktion, durch schlichtes Grau. Etwas seltener finden sich glasierte Exemplare. Eine gewisse Vorliebe für grüne Kacheln scheint dabei übrigens nicht auf Wien beschränkt zu sein.

Wien als Vorreiter in Sachen Design?

Vor kurzem tauchten überraschend in einem Befund der Grabung Hernalser Hauptstraße 62 Schüsselkacheln mit graphitierter Oberfläche auf. Diese spezielle Art der Oberflächenbehandlung mit Graphit findet sich ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und scheint mit dem Typ der Kombinationsöfen in Zusammenhang zu stehen. Man versuchte offenbar durch das Aufpinseln von Graphit bzw. überziehen der Kacheln mit einer feinen Graphitschicht den optischen Eindruck der Kacheln auf die gusseisernen Ofenplatten des zugehörigen Unterbaus abzustimmen. Da solche Öfen durchaus im 19. Jahrhundert kopiert wurden, war eine genaue Datierung der gefundenen Fragmente damit natürlich noch nicht möglich. Dennoch wurden sie bei der Auswertung der Grabung wie üblich dem späten 16. bzw. sogar dem 17. Jahrhundert zugeordnet.

Fragmente von graphitierten Schüsselkacheln aus der Hernalser Hauptstraße 62.
Fragmente von graphitierten Schüsselkacheln aus der Hernalser Hauptstraße 62.
Vergrößertes Detail der graphitierten Oberfläche.
Vergrößertes Detail der graphitierten Oberfläche.

Im letzten halben Jahr sind nun weitere Fragmente von graphitierten Schüsselkacheln in größeren und zum Teil recht gut datierbaren Materialkomplexen aufgetaucht, und siehe da: die bisherige Datierung scheint nicht zu stimmen. Die Funde, mit denen die Kacheln vergesellschaftet waren, die Schuttschichten und Planierungen aus denen sie geborgen wurden (z. B. Wien 1, Am Hof) stammen aus dem späten Mittelalter, genauer gesagt dem 15. Jahrhundert. Nach anfänglichen Zweifeln und mehrmaliger kritischer Überprüfung war damit eines offensichtlich: Entgegen dem allgemein bekannten Trend, produzierte man diese eigenwillig überzogenen Kacheln in Wien bereits im Mittelalter und somit gute 150 Jahre früher als angenommen.

Woher die Begeisterung für Graphitgrau? Das lässt sich nicht sagen, allerdings sollte man vielleicht auch nicht zu überrascht sein. Graphitkeramik hat in Wien eine lange Tradition und erfreute sich immer einer gewissen Beliebtheit. Eine Kombination der bei uns im 15. Jahrhundert allgegenwärtigen Schüsselkachel mit einem sanft schimmernden Graphitanstrich ist technologisch keine Hexerei und durchaus naheliegend. Ob man damit auch in diesem Fall eine metallische Oberfläche nachahmen wollte oder einfach nur die Optik schätzte? Mich müsste man auf jeden Fall nicht erst lange von so einem Ofen überzeugen – ich finde diese Kacheln schlichtweg elegant …