Eine zivile Siedlung namens VINDOBONA – Folge 3

Autorinnen: Ingrid Mader und Michaela Müller

Dem Rennweg im 3. Bezirk entsprach – wie in vorhergehenden Blogbeiträgen ausgeführt – schon in der Römerzeit eine wichtige Ost-West führende Straße. Sie fungierte auch als Umfahrungsstraße, die südlich des Legionslagers (z. B. am Michaelerplatz) vorbeilief und weiter nach Osten in Richtung Provinzhauptstadt Carnuntum führte. Entlang dieser Straße wurden sicherlich zahlreiche Geschäfte getätigt!

Ein Hortfund aus sieben Goldmünzen und zahlreichen Silbermünzen bezeugt, dass Kaufleute ihr Kapitalvermögen hinter ihrem Haus verborgen hatten. Die früheste Münze stammte aus dem Jahr 157 v. Chr. und die jüngsten waren die jüngsten Prägungen des Kaisers Hadrian (117–138 n. Chr.). Die Zusammensetzung lässt ein Zusammenkommen des Großteils dieses Vermögens auf italischem Boden vermuten und damit Kontakte der Besitzer nach Italien. Doch leider sind weder sie selbst noch ihre Erben in der Lage gewesen, diesen Münzschatz wieder auszugraben, dies gelang erst dem Team des damaligen Stadtarchäologen Ortolf Harl im Jahr 1989.
Zwei weitere Hortfunde einer mit Goldmünzen Kaisers Marcus Aurelius und einer mit Silbermünzen aus republikanischer Zeit bis Kaiser Commodus waren um 1800 gefunden worden und sind wieder verloren gegangen. Eine beachtliche Anzahl einzelner Münzfunde zeugt in der zweiten Siedlungsphase von florierenden Geschäften. Außerdem weisen Gewichte aus Metall und aus Stein sowie Schreibutensilien auf Handelstätigkeiten hin.

Siegelkapsel vom Rennweg 44: Diese kleinen Bronzekapseln dienten zum Schutz der Versiegelung von Wachstafeln, also dem Datenschutz und für Urkunden. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Deutlicher sind die Hinweise auf handwerkliche Tätigkeiten.

Ofen am Rennweg 93 am Rand der Zivilsiedlung. Von diesem Ofen war leider nur der letzte Rest erhalten, weshalb sich nicht sagen lässt, für welches Handwerk er diente. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Einige Öfen in der römischen Zivilsiedlung ließen sich als Brennöfen von Töpfereien identifizieren. Zusätzlich zeigen fehlerhafte Waren, wie durch falsche Temperaturen (beim Brennen) verformte Gefäße, dass lokal (also vor Ort oder in der unmittelbaren Umgebung) Keramik produziert wurde. Es wurde täglich benötigtes Geschirr, sogenannte Gebrauchskeramik, hergestellt. Mit lokalem Ton wurden aber auch (importierte) Feinkeramik, Metall- und Glasgefäße imitiert. Diese Keramikprodukte wurden vermutlich vor Ort auch angeboten. Irgendwo hier handelte man schließlich auch mit den Waren wie Terra Sigillata, die in großen Manufakturen in anderen Provinzen hergestellt wurden – Internetversand gab es ja noch nicht.
Wie Schlacken, Metallbarren und Halbfertigprodukte verraten, waren auch Bleigießer und Schmiede hier ansässig. Weitere Feuerstellen können somit diesem Gewerbe zugeordnet werden. Sogar mit Glasbläsern ist zu rechnen, wie Fabrikationsabfall zeigt.

Gläserner Fabrikationsabfall und ein kugelförmiges Ölfläschchen. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Sigrid Czeika)

Tierknochen, die beim Fleischverzehr anfielen, wurden zu zahlreichen Geräten geschnitzt: zu Haarnadeln, Schreibgriffeln, sogar zu Musikinstrumenten und Spielzeug (zu Würfeln, Murmeln, Brettspielsteinen).

Stabförmiger Würfel. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Eine Garküche – erkennbar an einer länglichen Grillgrube im Hinterhof am Rennweg 16 – versorgte vielleicht die Arbeiter der Ziegelei in der Mechelgasse mit warmen Mahlzeiten.

Grillgrube im hinteren Bereich der Streifenhäuser am Rennweg 16. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)

Frisches Brot konnte erworben werden, wie Backöfen im Hof eines Hauses am Rennweg 57/Schützengasse 24 beweisen. Es gibt sogar Altfunde von Brotlaiben. Kuchenmodeln aus Keramik kommen ebenfalls hin und wieder zutage. Wahrscheinlich für festliche Anlässe wie Neujahr wurden mit diesen Honigfladen geformt.
Keramik hatte noch andere Nutzungsmöglichkeiten, sie diente z. B. als Schriftträger. Oft wurden Namen eingeritzt. Daher wissen wir (dank der Entzifferung und Erklärung der graffiti durch Reinhold Wedenig), dass in der Zivilsiedlung zum Beispiel eine (oder zwei) Frauen mit dem (keltischen) Namen Briga, eine Cusia, eine Livila (?), sowie Amandus, Cassius, Iunianus, Senecionius, wohl auch ein Marcius und eine Secundina oder ein Secundus, lebten.

Boden eines Terra Sigillata Tellers mit Ritzinschrift. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Voll super, dass wir doch schon so viel über die Menschen und ihr Leben in Vindobona wissen!

Die Baustrukturen und die Funde geben Zeugnis davon, dass die hier ansässige Bevölkerung – romanisierte Kelten und Keltinnen (schon vorher im Wiener Raum lebende Menschen), eventuell Handelsleute aus Italien, zugereiste Handwerker, ausgediente Soldaten, Freigelassene und Sklaven – mit Gewerbe und Handel einen bescheidenen Wohlstand erwirtschaftete. In den Häusern sind wir noch nicht auf besonders luxuriöse Ausstattung gestoßen. Schmuck war meist aus Bronze, nur vereinzelt aus Gold und sehr selten aus Silber. Terra Sigillata leiste man sich allerdings und es wurde auch Wert auf schöne Form und Verzierung der Alltagsgegenstände gelegt.

Armreif aus Bronze. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)
Floraler Aufsatz von einem Kerzenständer aus Bronze. (Foto: Stadtarchäologie Wien/ Christine Ranseder)

Allgemein wird angenommen, dass Religiostät und rituelle Handlungen im Alltag in der Römerzeit eine große Rolle spielten. Heutzutage sind wir eher zurückhaltend mit Interpretationen, Funde und Befunde mit solcher Kultausübung in Zusammenhang zu bringen. Mit einiger Vorsicht lässt sich sagen, dass Anhäufungen bestimmter Funde (z. B. Räucherschalen, mit Schlangen verzierte Gefäße, Sparbüchsen und kleine Votivgaben), das Auftreten von Musikinstrumenten oder Geschirr, das absichtlich unbrauchbar gemacht wurde, auf Kultrituale hindeuten. Aber wie gesagt, das ist nur eine Deutungsmöglichkeit von vielen und wir wollen nicht – wie manchmal früher – alles was für uns nicht erklärbar ist, als kultisch interpretieren. Einige der in Frage kommenden besonderen Fundobjekte werden unsere Kolleginnen hier sicher noch vorstellen. In anderen römischen Orten sind auch Kultbilder und Statuen von Göttern und Göttinnen zahlreicher erhalten geblieben. Häufig wurden in der Zivilsiedlung von Vindobona kleinformatige Bildnisse von Gottheiten gefunden.

Flöte, aus einem Röhrenknochen geschnitzt. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Sigrid Czeika)
Bronzener Beschlag mit Büste der Göttin Minerva vom Rennweg 44. Darstellungen von Göttern und Göttinen waren nicht nur in Heiligtümern zu finden, sondern ebenfalls auf Alltagsgegenständen, besonders solchen, die als Prestigeträger dienten. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Sigrid Czeika)

Die Siedlung hat sich, wie erwähnt, im Laufe der Zeit nach Osten entwickelt. In der heutigen Oberzellergasse lag auch ein besser ausgestattetes Gebäude: Fünf Räume waren von Steinmauern umgeben und drei davon sogar mit Hypokausten (Pfeilerchen für die Fußbodenheizung) ausgestattet. Da es sich bei einem um eine kleine, halbrunde Apsis handelte, was sehr häufig bei Thermengebäuden vorkommt, und sich außerdem bisher in den zivilen Bauten der Umgebung keine Fußbodenheizungen, sondern höchstens einfache Schlauchheizungen fanden, interpretiere ich das Gebäude als kleine Badeanlage.

Die Badeanlage in der Oberzellergasse. Die Apsis mit den Ziegelpfeilerchen (Foto von 1910 in JA 5, 1911, 140, Fig. 137) und digitale Umzeichnung der Baureste der Thermenanlage. (Grafik: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Im Osten, im Bereich der Aspanggründe, dünnt die Siedlung aus. Gebäudereste dürften nur aus einer einzigen Bauperiode stammen. Sie wurden Mitte des 2. Jahrhunderts einplaniert und unmittelbar daneben (Richtung Stadtzentrum) ein Grabbezirk mit vier Brandgräbern und zwei Körperbestattungen (eine Frühgeburt und ein Neugeborenes) angelegt.
Wie schon erklärt, war dieser Bereich nur kurzzeitig für Siedlungszwecke gewidmet, eventuell überhaupt nur für an den Siedlungsrand verbannte Werkstätten. An der Stelle, wo Landstraßer Hauptstraße und Rennweg zusammentreffen, ist die östlichste Begrenzung der Siedlung anzunehmen.
Schon im 16. Jahrhundert wurde in einem Weingarten bei St. Marx ein Meilenstein aufgefunden. Der mittlerweile verschollene Meilenstein aus dem 3. Jahrhundert gab eine Entfernung von zwei römischen Meilen (M P II = ca. 3 km) von Vindobona (hier muss das Lager gemeint sein) an. Folgt man der Landstraßer Hauptstraße von dieser grob rekonstruierbaren Fundstelle im Bereich Landstraßer Hauptstraße/Viehmarktgasse so erreicht man nach der genannten Distanz die Stelle des rechten Lagertors des Legionslagers Vindobona und damit beenden wir unseren Ausflug in die Zivilsiedlung.

Mehr über die Zivilsiedlung erfahren Sie in unserem handlichen Buch:

Michaela Müller et al.
Entlang des Rennwegs. Die römische Zivilsiedlung von Vindobona
Wien Archäologisch 8 (Wien 2011)
22 x 14 cm. Broschur. 136 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
EUR 21,90.
ISBN 978-3-85161-057-4