Eine zivile Siedlung namens VINDOBONA – Folge 2

Autorinnen: Ingrid Mader und Michaela Müller

Siedlungsreste aus der Spätlaténezeit sind also relativ zahlreich im nördlichen, Donau nahen Gebiet, gut belegt. Eindeutige archäologische Quellen zur römischen Besiedlung im 1. Jahrhundert nach Chr. sind hingegen eher selten.
Unter dem Rennweg (z. B. an der Adresse Rennweg 31–33) entdeckte man schon Ende des 19. Jahrhunderts massive und bis zu 100 m lange Schotterungen (mit Steinen, Ziegelstücken und Mörtel). Dem heutigen Rennweg entspricht daher ein Straßenverlauf, der in der Römerzeit wohl von Anfang an vorhanden war und als Limesstraße anzusehen ist. Als Limesstraße bezeichnen wir eine Hauptverkehrsachse, welche die Kastelle entlang der Grenze des römischen Wirtschaftsraumes verband. In der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts werden entlang dieser Straßenachse die römischen Funde zahlreicher, sodass man von einer räumlich noch kleinen Ansiedlung ab dem späten 1. Jahrhundert nach Chr. ausgehen kann.

Straßen in der Zivilsiedlung von Vindobona. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Wie groß war die Siedlung?

Die römische Siedlung hatte nicht von Anfang bis zum Ende ihres Bestehens die gleiche Ausdehnung, sondern entfaltete sich und pulsierte: Wie gesagt war sie am Anfang eher klein, dann ziemlich langgestreckt und ist schließlich wieder geschrumpft.
Drei Phasen, in zeitlicher Abfolge, können wir uns für die zivile römische Siedlung am Rennweg vorstellen:
-) Klein und fein: allerfrühestens ab der Zeit, als die Kaiser Titus und Domitian (79–96 n. Chr.) in Rom regierten beziehungsweise in Wien die Zone zwischen Rotenturmstraße, Donau, Tiefer Graben und Graben mit der Stationierung der römischen Truppen Gestalt annahm (siehe Blog Constance). Siedlungsspuren erstreckten sich ab dem späten 1. Jahrhundert bis ins fortgeschrittene 2. Jahrhundert in Ost-West Richtung vom Rennweg 12a bis Rennweg 44 und maximal bis zur Steingasse. In Nord-Süd Richtung reichten sie von der Rudolfstiftung/Klimschgasse bis zur Hohlweggasse/Gerlgasse. Funde – Importe von italischer Keramik, Metallgefäße, auch Accessoires (z. B. Fibeln = Gewandspangen, Schmuck) und Münzen – bestätigen die zeitliche Einordnung dieser Phase.

„Kräftig profilierte Fibel“ Nadel mit welcher das Gewand zusammen gehalten wurde, vom Ende des 1. Jahrhunderts bis Mitte des 2. Jahrhunderts. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

-) Blütezeit und größte Ausdehnung vom mittleren 2. Jahrhundert bis in das erste Drittel 3. Jahrhunderts, also bis in die Zeit der severischen Kaiser (193–235): Die Siedlung expandierte, vor allem nach Osten. Ein großer Reichtum an Funden, wie importierte Waren aus den westlichen Provinzen des römischen Reiches (z. B. aus Gallien, Germanien und Noricum) und aus dem pannonischen Bereich, südöstlich von Vindobona, sowie lokal hergestellte Produkte kennzeichnen diese Phase. Die Siedlung dehnte sich nun circa von der Reisnerstraße bis mindestens zur Oberzellergasse und bis zur Aspangstraße aus.

Becher mit „Falten“ und dunkelgrauer pannonischer Glanztonteller sowie importierte Schüsseln und Teller (Terra Sigillata aus Mittelgallien und Rheinzabern. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Sigrid Czeika)

-) Die östliche Erweiterung der Siedlung scheint im zweite Drittel des 3. Jahrhunderts (Zeit der rasch aufeinanderfolgenden Soldatenkaiser, ab 235 n. Chr.) wieder zurückgenommen worden zu sein. Einige Importe aus dem Rheinland und Bayern sowie Münzen fanden sich hauptsächlich in Planier- und Schuttschichten. Die zeitliche Einordnung des Fundmaterials zeigt uns, dass dieser Ort um 250 n. Chr. langsam aufgegeben wurde.

Münze. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Die Ausdehnung der Zivilsiedlung. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Schauen wir uns das einmal genauer an …

Die Größe der Siedlung lässt sich zu allen Zeiten anhand der Lage der Gräber, die nach römischen Gesetzen außerhalb der Stadt liegen mussten, erkennen. Schwierig ist die zeitliche Trennung des Fundmaterials, da die frühen/älteren Gräber im Zuge der Ausdehnung der Siedlung nach Norden, Süden und nach Osten anscheinend planiert und überbaut wurden. Danach sind über dem erweiterten Siedlungsgebiet wiederum Gräber angelegt worden. Wie auch sonst im römischen Reich praktizierte die ansässige Bevölkerung zunächst Brandbestattung und später auch Körperbestattung.

Grab mit Leichenbrand (bustum) und Beigaben in der Klimschgasse. (Foto: Stadtarchäologie Wien/N. Piperakis)

Einige Brandgräber des mittleren 2. Jahrhunderts wurden im Jahr 2005 in der Klimschgasse 19-21 archäologisch dokumentiert. Ein seichter Graben und ein Gräbchen fassten die Gräber ein. Eine gleichartige Konstruktion lässt auf einen weiteren Bestattungsplatz nördlich davon schließen. Die Grabbezirke befanden sich unmittelbar nördlich von zwei Gräben.

Graben und Gräbchen von einer Einfassung eines Grabgartens/Grabbezirkes. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Graben und Gräbchen von einer Einfassung eines Grabgartens/Grabbezirkes. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Die archäologischen Ausgrabungen 2004/2005 in der Klimschgasse 19-21 und 40. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Wahrscheinlich im 2. Jahrhundert war die Siedlung zumindest eine Zeit lang von diesem Befestigungssystem umgeben: Im Norden wurden die beiden Gräben vor wenigen Jahren auf Baustellen in der Klimschgasse 40 und in der Eslarngasse 20 angetroffen.

Die beiden Spitzgräben in der Klimschgasse 40. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Es handelte sich um einen noch 4 m breiten und 3 m tiefen V-förmigen Graben und einen etwas schmäleren Graben, der außerhalb (an dieser Stelle nördlich) parallel dazu verlief. Unmittelbar südlich der Gräben, also zur Siedlung hin, wurden zudem Hinweise auf eine schmale Mauer freigelegt. Diese verstärkten wohl einen Wall an dessen Außenseite.
Ein Abschnitt des größeren Spitzgrabens ist schon von Josef Hilarius Nowalski de Lilia, 1909 in der Klimschgasse 2–14, dokumentiert worden. Und nicht ganz parallel zu Letztgenanntem war im Süden – in der Hohlweggasse – bereits im Jahr 1902 ein weiteres Grabenstück aufgedeckt worden. Gräben und Wall markierten wohl die Grenze der der Ansiedlung von Vindobona; die zivilen Siedlungen von Carnuntum und von Aquincum (Budapest), für welche das Stadtrecht nachgewiesen ist (sie waren municipium und colonia) hatten hingegen massivere Stadtmauern und davor auch Gräben.

Wir haben es hinein in die römerzeitliche Siedlung entlang des Rennwegs geschafft! Was finden wir dort?

Also die Hauptstraße, einige Querstraßen und einige Gebäude. Die Fundstellen dieser liegen jedoch so weit auseinander, dass sich die Siedlungsstruktur – ob eher städtisch mit größeren Häuserblöcken (insulae) oder mit streifenförmiger Verbauung wie bei einfacheren oder früheren Siedlungen – noch nicht klar abzeichnet.
Der Baugrund war vermutlich in ziemlich schmale rechteckige Parzellen aufgeteilt. Ableiten lässt sich dies daraus, dass in dichter verbauten Zonen viele Mauerreste in Abständen von je rund 8 m aufgefunden wurden, und mehrmals Gebäudebreiten von 8 bis 11 m sowie Gebäudelängen von mehr als 20 m beobachtet worden sind.

Gesamtplan der Ausgrabung Rennweg 44. (Plan: Stadtarchäologie Wien)
Gesamtplan der Ausgrabungen beim Botanischen Garten. (JA 3/1909)

Auf einigen Baustellen wurden Brunnenschächte ausgegraben; allerdings gibt es noch keine Hinweise auf Wasserleitungen.

Nach dem Auflassen zugeschütteter Brunnenschacht mit Holzverschalung, Rennweg 44. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Vom anzunehmenden Kanalsystem haben wir bis jetzt auch nur wenige Bruchstücke von Abflusssteinen. Und wie wurde der Müll entsorgt? Dafür boten sich in der Römerzeit verschieden tiefe Löcher im Boden (Aufgrabungen und Gruben, die zuvor der Gewinnung von Baumaterial, zum Gerben, als Latrinen oder dem Aufbewahren von Vorräten dienten) an.

Holzbaustrukturen stammten teilweise aus der ersten Verbauungsphase und gehörten zu nicht rekonstruierbaren Gebäuden, in welchen vermutlich bereits von Beginn an gewohnt und gearbeitet worden sein dürfte. Daneben gab es möglicherweise zusätzlich spezielle Werkstattbereiche und Werkgruben. In einem relativ zentralem Bereich (Rennweg 44) fanden sich aus der Frühphase tatsächlich handwerklich genützte Öfen und Brunnen.
In der mittleren Siedlungsphase wohnte man teilweise weiterhin in Holzhäusern. Wohl für das Handwerk nutzte man außerdem sogenannte Grubenhäuser, also teilweise in den Erdboden eingetiefte, mit einem Dach versehene, Hütten.
Daneben erbaute man aber auch langgestreckte Gebäude mit Fachwerkmauern, teilweise auf Steinfundamenten. Lehmziegelkonstruktionen kamen vor, Zwischenwände und Raumgliederungen konnten aus Holz sein. Diese Streifenhäuser waren 7 m bis 11,5 m breit und 20 bis 30 m lang. An der Limesstraße befanden sich – wie z.B. am Rennweg 44 – größere Räume, die als Verkaufsraum, Lager und auch als Arbeitsbereich genutzt werden konnten.

Rennweg 44: Blick nach Osten: Die schmalen Mauern sind römisch, die breiten und das quadratische Ziegelfundament neuzeitlich. Bereich an der Limesstraße. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Weiter innen, im mittleren Gebäudeabschnitt befanden sich die Wohnräume; sie waren nicht nur mit einfachen Lehmböden, sondern oder auch mit Mörtelböden und farbig verputzten Wänden ausgestattet. Diese Estriche aus Mörtel waren manchmal die einzigen Überreste der Räume. Im Schutt wurden Verputzstücke mit roter, schwarzer und gelber Farbe und wenige mit Malereiresten (Pflanzenmotive, Girlanden) gefunden.

Wandverputz mit Bemalung. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Im hinteren Bereich der Parzelle lagen weitere Feuerstellen (kleine Öfen zu Metallverarbeitung) und Gruben, die verschiedenen Zwecken (Herstellung von Baumaterial, Schlämmgruben, Vorratshaltung, …) dienten, sowie Latrinen und weitere Brunnen.

Können Sie sich vorstellen, dass man hier noch Gebäude- und Straßenreste, einen Keller, einen Latrinenschacht und eine längliche, am Rand durch Hitze verziegelte, Grube entdeckte? (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Je nach Möglichkeiten legte man in der mittleren Phase Holz/Erdkeller an oder errichtete auch Keller mit verputzten Steinmauern. Eine Vorstellung von einem gemauerten Keller konnte ebenfalls am Rennweg 44 im mittleren Bereich der östlichsten Parzelle gewonnen werden

Keller am Rennweg 44, Parzelle 4. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

In der dritten Bauphase dürften sowohl das Siedlungsgebiet verkleinert als auch einzelne Parzellen aufgeteilt worden zu sein. Auf Parzelle 1 am Rennweg 44 gab es nun ein Haus in der Nordhälfte und ein neu erbautes im Südteil. Das südliche Gebäude besaß einige kleine Räume und eine einfache Heizanlage

Rennweg 44, Parzelle 1, Periode 3: Schlauchheizung, die eventuell von einer Darre zum Trocknen von Getreide übrig blieb. (Foto: Stadtarchäologie Wien)