Es ist angerichtet!

Autorin: Lotte Dollhofer

Der neue „Fundort Wien“, unser umfassender Jahresbericht, ist soeben erschienen und führt uns heuer schwerpunktmäßig vom Thema der Nahrungsversorgung hin zur gehobenen Tischkultur.
Das folgende „Menü“, welches wir Ihnen sozusagen als Appetitanreger vorstellen wollen, wurde in einer chronologischen Abfolge zusammengestellt.

Der erste Gang widmet sich der Ernährung der Bewohner der latènezeitlichen Siedlung beim Rochusmarkt (Wien 3). Die in einem Schacht aufgefundenen Tierknochenreste lassen vermuten, dass die Hauptversorgung mit Fleisch und anderen tierischen Produkten durch geschlachtete Rinder, aber auch durch Schweine und Schafe/Ziegen erfolgte. Auch der Konsum von Pferde- und Hundefleisch war unter der damals heimischen Bevölkerung nicht ungewöhnlich. Gejagt wurde den geborgenen Tierresten zufolge eher wenig.
Bemerkenswert ist, dass vereinzelt bereits Importrinder aus dem Süden, die im Vergleich zu den heimischen Tieren deutlich größer waren, genutzt wurden. Diese traten zur Römerzeit in den Limesprovinzen auf, verschwanden mit dem Ende der römischen Herrschaft aber wieder.
Eine weitere Besonderheit stellen die zahlreichen Gehäuse von Weinbergschnecken dar. Schnecken sind prinzipiell eine schnell verfügbare und leicht zu „jagende“ Nahrungsquelle. Ihr Fundort zusammen mit zahlreichen Fragmenten von italischem Tafelgeschirr (Campana) könnte ein Hinweis auf gehobene Küche und Verzehr nach römischer Art sein.

Der Größenunterschied zwischen einem heimischen (jeweils links) und einem importierten (jeweils rechts) Rind zeigt sich etwa in der Vorder- (a) und Aufsicht (b) auf die körpernahe Gelenksfläche der ersten Zehenknochen. (Foto: Stadtarchäologie Wien / Sigrid Czeika)
Schalen von weitgehend gleich alten Weinbergschnecken. (Foto: Stadtarchäologie Wien / Sigrid Czeika)

Als zweiten Gang stellen wir spätmittelalterliche bis frühneuzeitliche Gerätschaften zur Nahrungszubereitung und -aufnahme aus der Grabung Werdertorgasse (Wien 1) vor. Obwohl es sich bei den geborgenen Stücken um Gegenstände des täglichen Gebrauchs handelt, haben sie für Wiener archäologische Verhältnisse Seltenheitswert. Die aufgefundenen Holzlöffel, Holzspatel, Metalllöffel mit rechteckiger Laffe, Fleischstecher, diverse Messer, Besteckgriffe aus Bein und Buntmetall sowie ein eiserner Schöpflöffel werden in den Kontext ihrer damaligen Verwendung gestellt und so erhält man einen Einblick in die Entwicklung der „Besteckkultur“.

Gegenstände für Zubereitung und Verzehr von Nahrung aus dem 14. Jahrhundert bis um 1500. (Fotos: Stadtarchäologie Wien / Christine Ranseder)

Als edle Trinkgefäße könnten Glasbecher mit bunter Emailbemalung gedient haben, welche im Europa des 13. und 14. Jahrhunderts weit verbreitet waren. Die leider nur mehr als Fragmente erhaltenen Exemplare aus Wien vermitteln dennoch interessantes zu Technik und Dekor, zu den Werkstätten mit ihren Glasmalern, die sich auch namentlich auf den Gefäßen verewigten, und zu den Vertriebswegen dieser schmucken Becher.

Außen- und Innenseite eines Bruchstücks eines emailbemalten Bechers aus Wien mit dem Namensrest eines Glasmalers. (Fotos: Stadtarchäologie Wien / Kinga Tarcsay)

Der dritte Gang unserer Menüabfolge ist dem Tischgeschirr eines bürgerlichen Haushalts in der Barnabitengasse (Wien 7) der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewidmet. Wer glaubt, dass ohnehin hinlänglich bekannt ist, welche Schüsseln, Teller und Tassen beispielsweise zu dieser Zeit in Verwendung standen, irrt gewaltig. In den Museen werden zumeist nur herausragende Stücke verwahrt, die vorliegende „Massenware“, allen voran Fayence aus der k. k. Majolika-Geschirrfabrik in Holitsch, spiegelt jedoch das zeitgenössische Kaufverhalten abseits der Ansprüche des Adels wider. Das Fundmaterial vermittelt auch eine zunehmende Erschwinglichkeit von Luxusgütern wie Porzellan und der Genussmittel Kaffee, Tee sowie Schokolade.
Die Tischkultur der damaligen Zeit mit ihren ausgeklügelten Regeln und Ritualen der Geselligkeit wird uns anhand des entsprechenden Geschirrs näher gebracht.

Beispiele für Produkte aus der k. k. Majolika-Geschirrfabrik in Holitsch (heute Holíč, Slowakei). (Fotos: Stadtarchäologie Wien / Christine Ranseder)

Doch wenden wir uns nun vom Essen und Tafeln ab: Tiere wurden nicht nur zur Fleischversorgung gehalten, sondern auch für verschiedene Tätigkeiten herangezogen. Welche Aufgaben etwa Hunde zu verrichten hatten und welchen Lebensbedingungen sie ausgesetzt waren, wird am Beispiel von drei mittelalterlichen Hundeskeletten wiederum aus der Grabung beim Rochusmarkt in Wien 3 untersucht.

Große, kräftige Hunde wurden bis in das 20. Jahrhundert hinein auch als Zugtiere für Karren und Wägen eingesetzt, Aufnahme von 1912. (Foto: Wien Museum)

Einen weiteren Schwerpunkt im heurigen Fundort Wien bilden die Ergebnisse aus den Künettengrabungen in der Innenstadt, denn diese baustellenbedingten Aufschlüsse bieten DIE Gelegenheit schlechthin, um im dicht verbauten Gebiet Einblicke in den mit menschlichen Hinterlassenschaften gespickten Boden erhalten zu können.

In der Kärntner Straße gelang so endlich der Nachweis, dass der uns vertraute Verkehrsweg bereits seit der Römerzeit bestand. In der Wipplingerstraße fand sich ein Indiz dafür, dass der infolge von Umwelteinflüssen ausgelöste Hangrutsch in der Spätantike, der den nordwestlichen Bereich des Legionslagers und Teile der westlich anschließenden Lagervorstadt zerstörte, sich möglicherweise auch bis hier auswirkte.

Schichtaufbau des im Randbereich abfallenden römischen Straßenkörpers unter der Kärntner Straße. (Foto: Stadtarchäologie Wien / Joachim Thaler)

Und am Minoritenplatz konnten weitere Erkenntnisse zu der bislang wenig erforschten Siedlungsstruktur der canabae legionis, welche im 2. und in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts bewohnt waren, gewonnen werden. Dem nicht genug zeigten sich auch Reste bislang nicht bekannter mittelalterlicher Häuser im Nordwesten des Platzes, Bestattungen des im Mittelalter angelegten Minoritenfriedhofs und neuzeitliche Baubefunde, etwa vom Haus „Zum roten Gattern“ und dem an die Nordfassade der Kirche angebauten sog. Minoritenzinshaus.

Bestattung aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts vom Minoritenfriedhof. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Hernals hingegen entwickelt sich immer mehr zum „Urgeschichte-Hotspot“. Durch eine Notgrabung im Innenhof eines Hauses in der Bergsteiggasse (Wien 17) konnten Hinweise auf einen lengyelzeitlichen Siedlungsplatz entdeckt werden. Das zahlreich geborgene Fundmaterial, vorwiegend Keramikfragmente, aber auch Steinartefakte und Tierreste, kann in einen ungefähren Zeitrahmen von 4700 bis 4500 v. Chr. gesetzt werden. Diese neue Fundstelle leistet einen wichtigen Beitrag zu dem bislang eher lückenhaften Kenntnisstand zur mittelneolithischen Besiedelung auf Wiener Stadtgebiet.

Noch Vieles ist jetzt unerwähnt geblieben, eine Chance, auch dieses zu entdecken, bietet der aktuelle „Fundort Wien“!