Es ist, was es ist

Autorin: Constance Litschauer

Ein Titel, der für die Archäologie im Allgemeinen und unsere Untersuchungen  am Karlsplatz im Speziellen nicht zutreffender sein könnte! Nicht nur, dass wir – angelehnt an Erich Fried´s Liebesgedichte – einen der schönsten Berufe der Welt haben, sondern eben auch, dass nicht immer alles so verläuft wie man sich das denkt. Das Wunderbare daran: es können trotzdem spannende Ergebnisse für die Stadtgeschichte Wiens gewonnen werden!

Die Einbauten des 20. Jahrhunderts werden freigelegt. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Aber der Reihe nach! Das 20. Jahrhundert liegt bereits eine gefühlte Ewigkeit hinter uns. Dabei zeugten die Reste der zwischen 1922 und 1934 existierenden Verkaufshallen und die Grubenstellung, die auf die probeweise Aufstellung der 1:1 großen Schablone des von Otto Wagner an gleicher Stelle geplanten Stadtmuseums zurückgeht, von der äußerst abwechslungsreichen Geschichte des Platzes.

Die Grabungsfläche am Grabungsende. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Inzwischen hat sich dieses bunt anmutende Erscheinungsbild vom Karlsplatz stark gewandelt und damit kommen wir zum eigentlichen Schwerpunkt der Grabung: Planierschichten, Schwemmsande und vor allem Straßenreste neuzeitlicher Zeitstellung.

Das Westprofil mit seinen mächtigen Schichtpaketen. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Während zwischen den Straßenlagen angetroffene Planierschichten mit den Regulierungsmaßnahmen des Wienflusses  zwischen 1867 und 1899 im Zusammenhang stehen und Schwemmsande auf Überschwemmungen zurückzuführen sind, versinnbildlichen die vielen angetroffenen Schotterlagen eine durchaus alte Verkehrsroute. Glaubt man den Altfunden, geht eine entsprechende Nutzung des Areals nämlich bis in römische Zeit zurück. So wurde bereits 1865 beim Bau des Künstlerhauses die von den canabae legionis zur Zivilsiedlung führende Limesstraße angeschnitten, ehe rund 30 Jahre später bei der Einwölbung des Wienflusses Architekturteile von Grabädikulen aufgedeckt werden konnten. Solche Grabbauten begleiteten damals die Hauptverkehrsrouten.

Die gute Routenwahl bezeugen schließlich die immer noch hier – etwas nach Norden versetzt – verlaufende Lothringerstraße und das alte Kartenmaterial. Letzteres gibt schon seit dem Plan von Steinhausen (1710) stets einen West-Ost verlaufenden Straßenzug entlang des südlichen Wienflussufers wieder und dient uns nicht zu Unrecht als wichtige Forschungsgrundlage.

Phase 1: Straße um 1700. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)
Phase 2: Straße des 18. Jahrhunderts. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)
Phase 3: Straße des späten 18. bis frühen 19. Jahrhunderts. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)
Phase 4: Straße der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)
Phase 5: Straße des späten 19. Jahrhunderts. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)

Zu guter Letzt sind die Befunde auf der Grabungsfläche ein eindringlicher Beleg für einen altbewährten Straßenverlauf. Immerhin konnten wir fünf Straßenhorizonte aufdecken, die innerhalb von rund 200 Jahren hier angelegt wurden.
Die dazwischen liegenden Schwemm- und Planierschichten führten allerdings dazu, dass der Niveauunterschied zwischen der ältesten und jüngsten Straße rund 4 – 4,5 m beträgt und wir sprichwörtlich in der Neuzeit stecken geblieben sind. Und dieser frappante Unterschied war auch für uns eine wahrlich große Überraschung!

Die älteste angetroffene Straße wird geputzt. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Der älteste angetroffene und zumindest  14 m breite Straßenköper dürfte um 1700 noch vor dem Steinhausenplan entstanden sein. Signifikant waren neben der Beigabe von Ziegelbruch ins Straßenschottergemenge vor allem unregelmäßig verlaufende Radspuren, Ausbesserungsmaßnahmen und eine mächtige schottrige Anschüttung im Bereich des nördlich angrenzenden südlichen Wienflussufers.

Wie man im 18. Jahrhundert auf die Karlskirche blickte. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Aufgrund der Zeitstellung war diese Straße wohl ebenso Zeitzeugin der Errichtung der in etwa 70 m südwestlich, zwischen 1716 und 1739 nach der Pestepidemie von 1713 erbauten Karlskirche. Während sich der Sakralbau in unserer heutigen Wahrnehmung kaum vom Gehniveau am Karlsplatz absetzt, betrug der beachtliche Niveauunterschied anno dazumal immerhin rund 6 m. Ganz eindrucksvoll wird damit seine ursprüngliche Lage auf einer südlich der Straße beginnenden Anhöhe wiedergespiegelt.

Unverkennbar: Die Straße des 18. Jahrhunderts mit ihren Rillen. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Noch im 18. Jahrhundert – vor Entstehung der Pläne von Nagel und Huber in den 1770er Jahren –  wurde oberhalb einer rund 0,5 m starken Planierschicht eine weitere, zumindest 7 m breite und leicht nach Süden versetzte Straße angelegt. Ihr besonderes Merkmal: besonders regelmäßige, rund 20 cm breite Rillen. Im Norden versuchte man außerdem, sie in Form eines rund 2,5 m breiten Straßengrabens vor Hochwasser zu schützen. Dass die Maßnahme allerdings nicht ausreichend war, legen mächtige Schwemmschichten nahe, die den Straßenhorizont abdeckten.

Straßenschotter und noch verfüllte Gräben um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

In der Folge bildeten am Ende des 18. bzw. beginnenden 19. Jahrhunderts massive, bis zu 1,00 m hohe und fest gestampfte Schotterlagen ein weiteres stabil befestigtes, ca. 12 m breites Straßenniveau. Es  wurde von zwei Straßengräben und im Norden von einer Nebenfahrbahn begleitet.

Wo ist bloß das Kopfsteinpflaster geblieben? (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Noch in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgte schließlich ein makadamisierter Ausbau, dessen Verlauf bereits der Darstellung am Franziszeischen Kataster (1817–29) entsprach. Selbst die dort dargestellten Alleebäume manifestierten sich auf der Grabungsfläche in Form von Baumpflanzgruben im Bereich der damals verfüllten älteren Straßengräben. Erstmals konnte aber auch Kopfsteinpflasterung nachgewiesen werden. Allerdings weniger in Form von Pflastersteinen, als vielmehr in Form ihrer Abdrücke im darunterliegenden Straßenschotter. Die kärglichen Reste von Pflasterungen erscheinen dabei fast, als ob man uns diese bewusst hinterlassen wollte …

Die jüngste aufgedeckte Straße mit der noch gepflasterten Abzweigung zur Karlskirche. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Die jüngste Straßenerneuerung – sie entspricht bereits der Wiedergabe im Stadtplan von 1887 – fällt schließlich mit der 1867 abgeschlossenen Regulierung und Verlegung des Wienflussbettes im Bereich Karlsplatz um ca. 35 m nach Norden zusammen und hinterließ ebenfalls seine Spuren.  Weitere Pflastersteine und ihre Abdrücke erinnern an die 16 m breite und boulevardartig gestaltete Straße sowie an einen davon abzweigenden Weg mit einer Breite von 4,4 m. Er führte zur Karlskirche.
Neben Gehsteiganlagen, die in Form von Schotterlagen erhalten blieben und die Straße begleiteten, verfügte die wohl im Zuge der 1867 abgeschlossenen Regulierung und Verlegung des Wienflussbettes angelegte Straße inzwischen ebenso über funktionelle Einbauten.

Fortschritt im 19. Jahrhundert: Leitung der Gasbeleuchtung und Kanal für die Entwässerung. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

So erinnern Leitungskünetten und Gasleitungen an die Laternenbeleuchtung und ein zum Wienfluss führender Ziegelgemauerter Kanal an die Entwässerung. Seine Ziegel ermöglichen eine klare zeitliche Einordnung, da sie Zeichen von Heinrich Drasche (H D) aufweisen. Das zwischen 1858–1869 hergestellte Baumaterial kann den Produktionsorten Guntramsdorf, Biedermannsdorf und Vösendorf zugeordnet werden. Damit fällt nicht nur die Errichtung der Straße in den Zeitraum der Regulierung des Wienflussbettes im Jahr 1867, sondern auch die Entstehung des Kanals.

Ziegel des Heinrich Drasche – Liebhaberstücke aber auch Datierungshilfe. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Später eingebaute Schächte  und Ausbesserungsmaßnahmen am Kanal bezeugen zuletzt dessen Nutzung bis weit in das 20. Jahrhundert. Womit wir wieder in der jüngeren Vergangenheit angelangt wären und gespannt bleiben dürfen, was die Aufarbeitung noch zu Tage bringen wird.