Autorin: Christine Ranseder
Gemusterte Fliesen aus der Zeit von ca. 1860 bis 1920 sind in Wien ein schwindendes Kulturgut. Den Abriss von Häusern überleben sie nur selten, da historische Baustoffe kaum wiederverwendet werden. Auch im Zuge der Sanierung von alten Gebäuden werden die vorhandenen originalen Fliesen oft durch moderne Produkte in eintönigem Weiß oder Beige ersetzt. Fast unbemerkt geht diese Erosion des Bestandes, der kaum erforscht ist, vonstatten. Fehlendes Bewusstsein für den Wert der materiellen Kultur einer Vergangenheit, die nicht allzu weit zurück liegt, ist jedoch nichts Neues. Massive Verluste an historischer Bausubstanz waren europaweit bereits im 20. Jahrhundert zu beklagen – nicht nur durch die von zwei Weltkriegen verursachten Schäden, sondern auch durch rücksichtslose Modernisierungen aller Art. Es verwundert daher kaum, dass im städtischen Umfeld bei Ausgrabungen gelegentlich auch sehr junge Objekte, wie die erwähnten Fliesen, geborgen werden. Einige attraktive Exemplare, die von verschiedenen Fliesenböden stammen, befanden sich im Fundmaterial vom Pius-Parsch-Platz.
Es handelt sich um trocken gepresste Fliesen aus Ton. Die Technik des Trockenpressens ist dem Engländer Richard Prosser (1804–1854) zu verdanken, der seine Erfindung 1840 patentieren ließ. Am europäischen Kontinent nutzte zunächst die Firma Villeroy & Boch das Verfahren zur Produktion von Fliesen, den sogenannten Mettlacher Platten. Robert Forrer beschrieb in seinem 1901 erschienenen Buch „Geschichte der europäischen Fliesen-Keramik“ den Herstellungsprozess im Detail. Da es sich – dank des Baubooms in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts – um einen lukrativen Markt handelte, begannen bald auch andere Firmen derartige Boden- und Wandfliesen zu erzeugen.
Aus den Funden vom Pius-Parsch-Platz lassen sich, basierend auf Farbe und Form, mindestens zwei Fußböden rekonstruieren. Die drei blau-weißen Fliesen ergeben ein gefälliges Muster aus Kreisen und Blütenmotiven.
Fast interessanter ist jedoch ihre Rückseite, denn sie trägt den Markennamen RAKO. Die noch heute bestehende Firma stellt seit 1883 in Rakovnik (im heutigen Tschechien) Fliesen aus Ton her. Unsere Funde stammen also aus dem Ende des 19. Jahrhunderts.
In Kombination mit dem Muster wird diese Information spannend. Fliesen mit demselben Design wurden nämlich auch von der Firma Villeroy & Boch hergestellt, wie eine Abbildung in R. Forrers Buch „Geschichte der europäischen Fliesen-Keramik“ belegt. Offensichtlich war das Muster beliebt. Im diesem Fall wird die ornamentierte Fläche von einer nicht minder aufwändigen Bordüre gerahmt.
Die Zusammensetzung unseres Fundmaterials legt nahe, dass vermutlich die einfachen blau-weiß-goldbraun gestreiften Fliesen als Randschmuck dienten, gesichert ist dies allerdings nicht. Sie könnten auch mit einfarbig weißen Fliesen, von denen sich ein Bruchstück erhalten hat, kombiniert gewesen sein.
Die zu einem zweiten Fußboden zusammengestellten Fliesenfunde vom Pius-Parsch-Platz sehen völlig anders aus. Erhalten haben sich eine achteckige einfarbige Bodenplatte, drei kleine viereckige und zwei dreieckig zugeschnittene Fliesen mit geometrischem Muster sowie das Fragment einer quadratischen Fliese. Die Farbigkeit ist zurückhaltend, aber nuanciert. Drei Braun- und zwei Blautöne, akzentuiert durch Elfenbein ergeben ein harmonisches Ganzes, das nicht trist wirkt, obwohl die Farbe Hellbraun dominiert.
Historische Fliesenböden sind Geschmacksache. Sie können gefallen oder auf Ablehnung stoßen. Sicher ist: Sie zeugen von Einfallsreichtum und machen die Umwelt der Bewohner eines Hauses ein bisschen bunter.