Gaumenfreuden?

Autorin: Christine Ranseder

Fundsackerl sind wie Überraschungstüten: man weiß nie, was sich in ihnen findet. In diesem Fall verbargen sich zwischen den Scherben zwei Muschelschalen. Es dürfte sich um Austern handeln – aber das Fundmaterial aus der Währinger Straße 25A ist so „frisch“, dass eine nähere Bestimmung durch Experten noch aussteht. Die erste Frage, die sich mir als Archäologin stellt, ist weniger biologischer als kulturhistorischer Natur. Sind die beiden Muschelschalen die kümmerlichen Reste eines Luxusessens oder können sie als Hinweis auf die Herstellung von Perlmutterknöpfen gewertet werden?

Als Rohmaterial für die Knopferzeugung sind europäische Austern nicht die Muscheln erster Wahl. Darüber hinaus fehlen im Fundmaterial Schalenreste mit Löchern, wie sie die herausgebohrten scheibenförmigen Knopfrohlinge hinterließen. Vorläufig sei also die Annahme, es handle sich um verlagerten Werkstattabfall – sprich Muschelschalen, die als ungeeignet angesehen wurden – verworfen.

Hatte sich also jemand einen kulinarischen Leckerbissen gegönnt? Denn als solche galten und gelten Austern, denen gerne luststeigernde Wirkung zugeschrieben wird. So nobel wie auf dem Gemälde Das Austernessen von Jean-François de Troy, aus dem Jahr 1735 wird es wohl nicht zugegangen sein. Vielleicht war es doch eher ein Austernessen zu zweit? Frans van Mieris hat 1661 in Das Austernessen, eine solche erotisch aufgeladene Mahlzeit dargestellt.

Austern wurden übrigens nicht nur roh geschlürft, sondern auch gebacken, gebraten oder in Pasteten gestopft. Schon Marx Rumpolt nennt in seinem 1581 erschienenen Werk Ein new Kochbuch  sechs Rezepte. 1731, also wunderbar in den Zeitrahmen der Datierung des Fundmaterials aus der Währinger Straße 25A passend, erschien in Prag die erste deutschsprachige Abhandlung zur Auster: Des Magens Vertheidigung der edlen Austern, den Liebhabern derselben […] mitgetheilet von J. J. M. M. P. P.  Der geheimnisvolle Autor gibt nicht nur eine ausführliche Beschreibung der Auster und ihrer Eigenschaften. Er erklärt auch wann und wie die Meeresfrüchte genossen werden sollen und in welcher Menge sie zuträglich sind. Seine Empfehlung zur Zubereitung der Austern erinnert mich allerdings mehr an die Addams Family und die Maxime „Spiel doch mit deinem Essen“:

„Die beste Zeit zum Austern essen ist hiezu Land der Herbst und Winter, der Güte nach sind die Austern vor allen zu erwählen, welche also frisch und safftreich, roh, wie sie sind, mit oder ohne ihre Floß-Federn, sonst Mantille genannt, und von den Schaalen abgesondert, samt der Marina ohne alle Furcht und Sorge verschlungen werden können, wo aber die Marina abgehet, ist so gut als nothwendig sie mit dem Messer an verschiedenen Orten wohl zu durchstechen, damit durch solches Pfeilen oder Durchstechen die Salina alcalina oder saltzigte Theil erwecket und beweget werden, wie dann davon bald die Bewegung der Säffte, welche die Austern also zarter machen, zu beobachten. Wann aber kein Schaum darauss folget, so thut man gar wohl, wann man etwas Citronen-Safft auf die Austern drücket, und dann die Schaalen unter der Austern wacker zersticht, auf dass die Säure die Salze bewege, wie dann auch bald darauf eine Schaumung erfolget, die die Fermentation des sauren Citronen-Saffts mit dem alcalischen Austern-Saltz zeiget, dadurch eben die Austern lockerer und zarter, mithin desto besser zubereitet können gegessen werden: Weme darzu ein wenig Pfeffer oder Muscat-Blüh beytzusetzen beliebig, kann solches gar wohl thun, und dadurch der Austern feuchten Erkühlung virtualiter vorkommen.“

Also dann: wohl bekomms!