Gruben soweit das Auge reicht!

Autorin: Ingeborg Gaisbauer 1

Darf es zur Abwechslung einmal wieder etwas Großflächiges sein? Oft genug ist das Sichtfenster schmal, durch das ArchäologInnen in den Wiener Untergrund starren dürfen. Künetten, häufig und aus wissenschaftlicher Sicht durchaus ein Informationsbringer, haben naturgemäß ihre Grenzen, was die Aussage und Auswertbarkeit anbelangt. Diese Beschränkungen sind wenig verwunderlich, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal durch einen schmalen Schlitz ein kompliziertes Gemälde zu betrachten und zu „erkennen“ versucht hat. Umso erfreulicher sind großflächige Einblicke, wie sie uns gerade eben erst in der Hanuschgasse 3 gewährt wurden!

Anlässlich einer geplanten Unterkellerung im Zuge des Umbaus des einstigen Kanzleigebäudes des Erzherzogs Friedrich (1856–1936) im Hof des Hauses Wien 1, Hanuschgasse 3/Goethegasse 1 (ein ehemaliges Nebengebäude des Palais von Erzherzog Albrecht, heute Hanuschhof genannt), kam es zuerst zu Probeschurfen. Diese mündeten, parallel zu den Bauarbeiten vom 5. Oktober bis zum 9. Dezember 2020, in eine archäologische Grabung auf einer Fläche von doch stattlichen ca. 850 m².

Archäologisch und historisch ist die Hanuschgasse 3 eine interessante Gegend! Das Nebengebäude des Palais von Erzherzog Albrecht (1817–1895) wurde 1862/1863 anstelle des Festungsgrabens und der Bastion beim Kärntnertor errichtet. Im Innenhof dieses Nebengebäudes ließ Erzherzog Friedrich 1914 anstelle der zuvor hier befindlichen Reitschule ein Kanzleigebäude nach Plänen des Baumeisters Hugo Schuster errichten. Wie ein Fundamentplan des Baumeisters zeigt, wurde dieses Gebäude im Bereich des Bastionskörpers der ehemaligen Bastion beim Kärntnertor erbaut.

Mauerbefunde der Kärntnerbastion in Überlagerung mit historischem Planmaterial. (Plan: Stadtarchäologie Wien)
Gesamtplan der aufgedeckten Mauerreste der Kärntnerbastion. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Die Bastion beim Kärntnertor entstand von 1548 bis 1552 nach Plänen des italienischen Baumeisters Francesco de Pozo und war eine von elf Bastionen, die in Wien von 1530 bis ca. 1564 errichtet worden waren.
Vor dem Bau der renaissancezeitlichen Befestigung befand sich der Bereich des heutigen Hanuschhofes unmittelbar vor dem Umfassungsgraben der mittelalterlichen Stadtmauer zwischen dem Kärntnertor im Osten und der Hofburg bzw. dem Widmertor im Nordwesten.

Der Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer mit Lage der Grabungsfläche. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Theoretisch wäre in dieser Gegend auch mit römischen Grabfunden zu rechnen, aber, um das gleich vorweg zu nehmen: Die Ergebnisse dieser Ausgrabung „endeten“ im Mittelalter, dafür war dieses deutlich auf einer Fläche von etwa 250 m² im Zentrum des Grabungsareals vertreten!

Eine Straße und viele Gruben

Als Nordwest-Südost-Achse der vorhandenen mittelalterlichen Überreste fungierte eine bis zu 6,30 m breite Straßenschotterung, die parallel zum etwa 30 m entfernten Graben eine außerhalb der Stadtmauern verlaufende Verbindung zwischen dem Kärntnertor und dem Widmertor darstellte. Der Bau der Straße und damit auch der Beginn der Besiedlung dieses Areals vor dem Stadtgraben ist frühestens im 13. Jahrhundert mit der Errichtung der Ringmauer anzunehmen, wie es auch die ältesten Fundkomplexe der Grabung nahelegen.

Ältere …
… und jüngere Gruben, Erdkeller und Pfostenlöcher. (Pläne: Stadtarchäologie Wien)
Mittelalterliche Straßenoberfläche. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Für die Straße konnten drei Horizonte vom 13. Jahrhundert bis zum Bau der Bastion Mitte des 16. Jahrhunderts unterschieden werden. Nördlich und südlich der Straße reihten sich unzählige, oftmals einander schneidende Gruben und Pfostengruben. Erst ab dem Spätmittelalter lassen sich vor allem nördlich der Straße durch Balkengräbchen, Lehmstampfböden und Erdkeller Parzellierungen ausmachen, die auf einfache Holzgebäude schließen lassen. Als Kuriosum ist schließlich noch ein unterirdischer, mit sehr steilem Gefälle nach unten führender Gang oder Schacht zu werten. Dieser war 0,50 bis 0,60 m breit und durch den anstehenden geologischen Löss auf 2 m Länge zu verfolgen und führte noch weiter in die Tiefe. In dessen Verfüllung fand sich ein Silberhälbling Albrechts V. (1411–1439, Inv.-Nr. MV 92.295/1).

Verschiedene Gruben …
… und Erdkeller. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)
Schacht mit unklarer Funktion. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Mit dem Bau der Kärntnerbastion ab 1548 waren südlich, westlich und nördlich der hier vorgestellten mittelalterlichen Befunde im Bereich der Grabungsfläche alle ursprünglich vorhandenen Siedlungsbefunde abgegraben worden. Erhalten blieben nur Abschnitte im Inneren der Bastion, die nicht unmittelbar von den Baugruben für die Außenmauern, Strebepfeiler und den Mauern der Kasematten im rückwärtigen Teil der Bastion zerstört wurden. Die Überreste der Vorstadt vor dem Kärntnertor wurden durch die Aufschüttungen des Bastionskörpers begraben und konnten somit überdauern.

Bastion beim Kärntnertor

Die Bastionsface war Südost-Nordwest orientiert, insgesamt 2,30 m breit und auf 8,30 m Länge sichtbar. Sie zeigte eine nach außen vorgesetzte, 0,90 m breite Ziegelschale, die mit grünlich grauem, eher lockerem, sandigem Mörtel gebunden war, bei der es sich augenscheinlich um eine der ab 1816 stattgefundenen Reparaturmaßnahmen nach den Sprengungen der Bastion durch die napoleonischen Truppen im Jahr 1809 handelte. Das dahinterliegende unbeschädigte Renaissancemauerwerk hob sich in seiner Zusammensetzung und Mörtelbindung deutlich von der Ausbesserung ab.

Für die Kärntnerbastion kam das endgültige Aus in der Zeit zwischen dem 5. Juni und dem 31. Oktober 1863. Allerdings begnügte man sich damit, bis auf das Straßenniveau hinunter abzureißen und das Palais des Erzherzogs Albrecht zu errichten.

Jüngere Reitschule und Kanzleigebäude

Bei allen weiteren aufgedeckten Mauerzügen handelte es sich einerseits um die Fundamentmauer der jüngeren, 1862/63 erbauten Reitschule des Erzherzogs Albrecht, andererseits um die rezent abgebrochenen, im Jahr 1914 errichteten Fundamentmauern des Kanzleigebäudes des Erzherzogs Friedrich, das anstelle der Reitschule errichtet worden war. Nettes Detail am Rande, für alle, die an Ziegelstempeln Freude haben: Die Mauerziegel der Reitschule trugen vereinzelt das Zeichen A Ö (Anton Ölzelt, Architekt und Stadtbaumeister) innerhalb einer Herzform.

Bastionsface. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Und noch eine kleine Information am Rande: Im Fundamentplan des Baumeisters Hugo Schuster von 1914 sind Schnitte gezeichnet, die die Höhen der Bastionsmauern („altes Mauerwerk“) bis in 13 m Tiefe darstellen, was bedeuten würde, dass auch nach der Unterkellerung des alten Kanzleigebäudes noch Überreste der Bastion vorhanden sind. Auch im Innenhof des Hauses Hanuschgasse 3 sollten unterhalb der Hofpflasterung noch Reste der Bastionsface, von Kasematten und des rechten Flankenhofes erhalten geblieben sein, Auch unterhalb der Operngasse sollten noch Reste der Bastion bestehen.

  1. Dieser Blogtext beruht auf folgendem Bericht: Martin Mosser/Heike Krause/Max Bergner, Bericht über die archäologische Grabung Wien 1, Hanuschgasse 3. In: Fundberichte aus Österreich 59, 2020 (in Vorbereitung).