Autorin: Christine Ranseder
Notre-Dame können wir keine Konkurrenz machen, etwas Besonderes sind unsere neugotischen Funde im handlichen Kleinformat dennoch. Zutage kamen die Fragmente des historisierenden Gartenschmucks in der Rechten Bahngasse (Wien 3) zwischen Jaurèsgasse und Rennweg.

Es handelt sich um Maßwerkbögen mit Dreipass und einer massiven Zunge an der Basis, mit deren Hilfe das Zierelement in den Boden gesteckt werden konnte. Während die Vorderseite dekorativ gestaltet ist, präsentiert sich die Rückseite glatt, ein Indiz für die serienmäßige Herstellung in einem Model. Der Ton der oxidierend gebrannten Stücke gleicht jenem von gewöhnlichen Blumentöpfen. Die Frage, ob es sich bei der eingestempelten Zahl 7 um eine Modellnummer oder eine Größenangabe handelt, lässt sich derzeit nicht beantworten. Auch die darüber angebrachte, rechteckige Marke gibt sich widerspenstig und entzieht sich einer Entschlüsselung.

Aneinandergereiht in die Erde gerammt, ergeben die einzelnen Elemente eine etwa 15,5 cm hohe, attraktive Barriere im neugotischen Stil. Diese konnte entweder als Begrenzung einer Rasenfläche oder als Einfassung eines Blumenbeetes dienen.
Im 19. Jahrhundert waren zur Behübschung von Gärten unter anderem auch unterschiedliche Begrenzungen beliebt, die vor allem aus Metall gefertigt waren. Sie wurden gerade oder auch kreisförmig angeboten, in letzterer Form verliehen sie Blumenbeeten das Aussehen eines mit Blüten gefüllten Korbes.

Der Gartentheoretiker und unermüdliche Publizist John Claudius Loudon (1783−1843) erwähnt in seinem 1825 erschienenen Werk „An encyclopaedia of gardening“ darüber hinaus auch Beeteinfassungen aus Keramik: „The earthenware border is composed of long narrow plates of common tile-clay, with the upper edge cut into such shapes as may be deemed ornamental. They form neat and permanent edgings to parterres; and are used more especially in Holland, as casings, or borderings to beds of florists´ flowers.“
Dieser Modetrend in der Gartengestaltung konnte auch in Österreich Fuß fassen. Einem Bericht über die „Landwirthschafts-Jubelfeier-Ausstellung im Augarten“ in der Wiener Theaterzeitung vom 17. Mai 1857 ist zu entnehmen, dass „die Thonwarenfabrik des Herrn Brausewetter“ unter anderem auch Blumenbeet-Einfassungen ausstellte. Gemeint ist die „k.k. privilegierte erste österreichische Terra Cotta (Thonwaren) Fabrik zu Wagram bei Leobersdorf“, die auf die Produktion von Bauterrakotten spezialisiert war. Das Unternehmen hatte bis 1879 eine Niederlage in der Salesianergasse 25 (Wien 3), also nicht allzu weit von unserem Fundort entfernt. Handelt es sich bei den in der Rechten Bahngasse ausgegrabenen Beet-Einfassungen um ein Erzeugnis dieser Firma? Oder gehörten sie zum Sortiment eines ihrer Konkurrenten, z. B. der „Thonwaaren- und Terracottenfabrik“ von Alois Miesbach und Heinrich Drasche? Letztere bietet in einem nicht datierten Verkaufskatalog neun unterschiedliche „Blumenbeeteinfassungen“ an, keine davon entspricht in ihrem ornamentalen Design jedoch unseren Funden.
Gartendesign: Von der strengen Geometrie zu geschwungenen Pfaden
Doch wie fügen sich unsere Fragmente einer neugotischen Beeteinfassung in die Gartengeschichte? Ein Blick auf historische Stadtpläne zeigt, dass der Dritte Wiener Gemeindebezirk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch von Lustgärten und Gärtnereien geprägt war. In unmittelbarer Nähe zu unserem Fundort befand sich der Dietrichstein´sche Garten. Auf einem Stadtplan aus dem Jahr 1812 folgt seine Gestaltung noch der strengen Geometrie des formalen Barockgartens. Als Beetbegrenzung diente in der Regel kleinwüchsiger, in Form gestutzter Buchsbaum.

Eine grundlegende Umgestaltung und Erweiterung der Gartenanlage gemäß zeitgenössischen Trends erfolgte unter Moritz Johann Fürst Dietrichstein. Vom englischen Landschaftsgarten inspirierte, gewundene Pfade luden nun zum Spazieren ein. Ob der große Garten auch in seinen Details dem Zeitgeschmack entsprach, lässt sich an den Stadtplänen nicht ablesen. Beliebt waren zur abwechslungsreichen Gestaltung der grünen Rückzugsräume in einer politisch restriktiven Zeit runde oder amorph geformte Blumenbeete, Vasen, kleine Pavillons und Lauben.

Als Paradebeispiel für einen Biedermeiergarten gilt heute der Rosenbaum´sche Garten (Wien 4, Kolschitzkygasse 9), nicht zuletzt weil sein Aussehen 1824 in einem Buch mit Farbillustrationen festgehalten wurde.

1867 erwirbt der Frauenorden „Vom Heiligsten Herzen Jesus“ (Sacré Cœur) Teile des Dietrichstein´schen Gartens. Die von 1875 bis 1877 erbaute Kirche vereint neuromanische und neugotische Elemente. Auf den Stadtplänen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheint die Wegführung des bereits verkleinerten Gartens weitgehend unverändert. Mit der Zeit wurden jedoch die verbliebenen Grünflächen weiter verbaut und neue Straßen angelegt. Heute ist nur noch ein winziger Teil der ursprünglich stattlichen Gartenanlage erhalten.
Fazit
Die in der Rechten Bahngasse im Zuge einer Künettengrabung gefundenen Elemente einer tönernen Beeteinfassung wurden als Müll entsorgt und landeten zu guter Letzt in einer Planierschicht. Woher sie ursprünglich stammten, lässt sich daher nicht mehr mit Sicherheit nachvollziehen. Der Dietrichstein´sche Garten ist nur eine der zahlreichen Möglichkeiten. Geht man aufgrund seiner räumlichen Nähe jedoch von einer Verwendung in selbigem aus, so könnten unsere Funde als Zier des im Biedermeier auf den neuesten Stand gebrachten Gartens gedient haben. Allerdings war der gotische Stil auch im Historismus beliebt. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der gut zur Kirche des Sacré Cœur passende Gartenschmuck ein Beet in der Nähe des Neubaus säumte. Als Datierungsrahmen für die Verwendung der Beeteinfassung bietet sich damit die Zeit von den 20er bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts an. Sollte es sich tatsächlich um ein Produkt der „k.k. privilegierten ersten österreichischen Terra Cotta (Thonwaren) Fabrik“ handeln, deren Herstellung von Baukeramik erst mit dem Eintritt von Victor Brausewetter 1839 begonnen haben dürfte, kann der Zeitraum enger eingeschränkt werden.
Wann unsere Funde in den Boden kamen, ist angesichts der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regen Bautätigkeit in der Umgebung der Fundstelle ungewiss. Fest steht, dass man in der Geschichte nicht weit zurückgehen muss: Auch die Sachkultur der jüngeren Vergangenheit gibt noch so manches Rätsel auf.