Im Stadtbild: Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen

Autorin: Heike Krause

Die Mölker Bastei verkörpert ein Stück „Alt-Wien“. Nostalgisch charmant wirken die kleinen Häuser am verwinkelten Mölker Steig. Hier – unweit des stark befahrenen Universitätsrings – herrscht eine erstaunliche Stille. Man fühlt sich merkwürdig entschleunigt. Als sei auf engem Raum die Zeit tatsächlich stehen geblieben. Kein Wunder, dass dieser Ort mehrfach als Kulisse diente. Sowohl für den Film „Der dritte Mann“ als auch für „Das Dreimäderlhaus“ nach dem Roman „Schwammerl“ von Rudolf H. Bartsch wurden Szenen dort gedreht. Der Name des Eckhauses Schreyvogelgasse 10 ist darauf zurückzuführen. Dabei ist die Geschichte über eine Romanze Franz Schuberts mit drei hier wohnenden jungen Frauen frei erfunden.
Die Häuser auf der Mölker Bastei blieben von der Demolierungswelle in der Gründerzeit verschont. Die Stützmauer der Rampe, die sich entlang der Schreyvogelgasse zieht, sieht aus wie eine alte Befestigungsmauer. Doch stimmt das auch?

Die Schreyvogelgasse mit dem Dreimäderlhaus in der Bildmitte und der Rampe zur Mölker Bastei. Am linken Rand ist das Hauptgebäude der Universität zu sehen. Aquarell von Erwin Pendl. (© Wien Museum Inv.-Nr. 59.543)

Um die Entstehung dieser Rampenmauer aufzuklären, gehen wir in der Zeit zurück. Der Bau der gewaltigen Festungsanlage, die Wien umgeben hat, veränderte und prägte das Weichbild der Stadt seit dem 16. Jahrhundert. Schon 1531 wurde mit dem Bau einer „Bastei beim Schottentor“ – so hieß die Mölker Bastei bis zum 17. Jahrhundert – begonnen.

Die Bastei in dem auf eine Tischplatte gemalten Plan von Augustin Hirschvogel aus dem Jahr 1549. Sie wurde direkt vor die aus dem Mittelalter stammende Stadtmauer gesetzt. Am linken oberen Bildrand ist das Schottentor zu sehen. (© Wien Museum Inv.-Nr. 31.022)

Eine Bastei, auch Bastion genannt, ist ein vor den Festungswall springendes, fünfeckiges Bauwerk, das der Flankierung der anschließenden Teile der Befestigung diente. Die alte, aus Erde und Mauern bestehende Bastei beim Schottentor wurde wegen Baufälligkeit von 1637 bis 1656 vergrößert und mit Mauerwerk verkleidet. Nach dem nahe gelegenen Hof des Klosters Melk wurde sie nun „Mölker Bastei“ genannt. Daniel Suttinger überliefert uns das Aussehen der Bastion in seinem Stadtplan von 1684. Der breite und hohe Festungswall hinter der Bastion war seinerzeit noch unbebaut.

Die große Mölker Bastei im Stadtplan „Wienn in Oesterreich“ von Daniel Suttinger, 1684. Reproduktion von 1940. (© Wien Museum Inv.-Nr. 72.200)

Seit dem 18. Jahrhundert wurde auch der Festungswall als Bastei bezeichnet, was freilich verwirren kann. Dieser Bereich durfte nur vom Militär betreten werden. Hier gab es kleine Soldatenhäuschen für die Stadtguardia, die die Bewachung der Tore besorgte. Wiener Bürger ließen diese Gebäude errichten, um ihre eigenen Häuser von der Einquartierungspflicht zu entlasten. Das war auch auf dem Wall der Mölker Bastei der Fall. Nach Auflösung der Stadtguardia 1741 und dem Bau von Kasernen wurden die Soldatenhäuschen nicht mehr gebraucht. Einige von ihnen wurden komplett abgebrochen, andere verkauft. Neue Häuser traten an ihre Stelle. Kaiser Joseph II. gab 1785 die gesamte Bastei zum allgemeinen Besuch frei. Sie wurde damit Teil des öffentlichen Raumes der Stadt. In der Folge entstanden dort größere und höhere Häuser, unter anderem das sogenannte Pasqualatihaus, dessen berühmtester Bewohner Ludwig van Beethoven war.

Blick auf das Pasqualatihaus an der Ecke Mölker Bastei/Schreyvogelgasse mit der Rampe auf der rechten Seite. Foto von August Stauda, ca. 1904/05. (© Wien Museum Inv.-Nr. 29.468) | Häuser und Rampe im Jänner 2019 aus derselben Perspektive. (Foto: Heike Krause)

Nach dem Entschluss Kaiser Franz Josephs I. vom Ende des Jahres 1857, die Festung zu schleifen, war 1861/62 die Mölker Bastion und die Mauer des Festungswalles bis auf das Niveau der Ringstraße abgetragen worden. Daher blieb an dieser Stelle vor den erhöht liegenden Häusern der Mölker Bastei eine Böschung. Diese Gebäude sollten in Bälde abgebrochen, das gesamte erhöhte Terrain auf Ringstraßenniveau eingeebnet und das Areal neu parzelliert werden. 1870/71 verschwanden auf der Südwestseite der Schreyvogelgasse die kleinen Basteihäuser und das Biedermeierpalais der polnischen Adelsfamilie Lubomirski. Der letzte Besitzer Graf Breuner verkaufte das Palais an die „Wiener Baugesellschaft“, die es abreißen ließ. Anstelle der geschleiften Basteihäuser wurde die heutige Schreyvogelgasse angelegt. Neue Häuser entstanden zwischen 1873 und 1880.

Das einstige Palais Lubomirski nach der Demolierung der Mölker Bastion und vor seinem Abbruch 1870. Am linken Bildrand ist das Pasqualtihaus zu sehen. (© Wien Museum Inv.-Nr. 10.545) | Vom selben Standort: Die Häuser Universitätsring 6 bis 8 liegen in etwa anstelle der einstigen Böschung bzw. des Festungswalls. Anstelle des Palais steht heute das Haus Schreyvogelgasse 3/Oppolzergasse 2. (Foto: Heike Krause)

Auf der nordöstlichen Seite der Schreyvogelgasse sah es anders aus: Hier setzten sich einige Eigentümer für die Erhaltung des alten Baubestandes ein. Sie wollten dem Verkauf ihrer Häuser zum Zweck der Stadterweiterung zu den vorgeschlagenen Preisen nicht zustimmen. Wenn man so will, kann man darin eine frühe Art des Bürgerprotestes sehen. Dieser war letzten Endes von Erfolg gekrönt. Die Gebäude auf dem Festungswall entgingen somit der Demolierung. Das ursprüngliche Niveau des Walles zwischen Schreyvogelgasse und fast bis zur Schottengasse blieb daher weitgehend erhalten. Um den Zugang zu den Häusern der Mölker Bastei zu gewährleisten, überlebte auch die Rampe, die auf die einstige Bastion führte. Diese wurde durch eine Stützmauer gesichert, die heute noch mitten in der Schreyvogelgasse verläuft und zwei Straßenniveaus voneinander trennt.

Die Stützmauer in der Schreyvogelgasse, 2013. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Sie wirkt wie eine ältere Festungsmauer. Das liegt daran, dass sie eine Böschung aus Ziegelmauerwerk mit einem steinernen Kordongesims aufweist. Doch konnte durch Bauanalysen und historische Recherchen diese Täuschung entlarvt werden: Die Mauer wurde erst 1871 errichtet. Die Dinge sind also nicht immer das, was sie zu sein scheinen.