Kleine Keramikgeschichten – wissenschaftliches Arbeiten zu Zeiten von Corona

Autorin: Ursula Eisenmenger

Was Corona ist, muss ich ja nicht erklären. Doch wie arbeiten WissenschaftlerInnen, wenn sie „homeoffice“ machen, doch die archäologischen Funde nicht „daheim“, sondern im Büro, in der Werkstatt sind – und damit nicht verfügbar?

Ein Lob der Zeichnung

Nun, ein Teil der Fundbearbeitung besteht aus der Aufnahme der Objekte, in meinem Fall sind das Keramik-Scherben, und zwar sehr viele davon. Diese wurden zunächst einmal sortiert, Rand-, Wand- und Bodenstücke, Deckelteile, Henkel usw. Dann machte ich mich auf die Suche nach sog. Pass-Scherben, ein Puzzlespiel. Kann man Scherben zusammenkleben, um einen besseren Gesamteindruck zu erhalten? Randstücke werden näher begutachtet, sie sind optimal zu Vergleichszwecken heranzuziehen. Sind es Randteile von Töpfen, Schüsseln, Tellern oder Amphoren? Vielfach sind solche Fragmente gut mit Parallelen in den Grabungspublikationen versorgt. Das ist hilfreich zur näheren Datierung, bei normaler Gebrauchskeramik ist es eine gröbere, weiter gefasste chronologische Bestimmung (wie mittelkaiserzeitlich oder spätrömisch), zum Vergleich – bei Terra Sigillata kann der Zeitfaktor auch auf 20 Jahre eingegrenzt werden.

Zeichnungen erleichtern das Arbeiten, ohne dass ständig auf die originalen Keramikfragmente zurückgegriffen werden muss, zumal auch die Vergleichbarkeit mit der Keramikliteratur gegeben ist: Die Bearbeiterin dokumentiert die Größe, den Durchmesser, die Wandstärke, den Gefäßkörperverlauf, Oberfläche, evtl. den Dekor. Das Aufnahmeverfahren gleicht sich über Institute, Städte und Länder. Auf der einen Seite wird ein Gefäßprofil erstellt, die gespiegelte Gegenseite gibt Aufschluss über die Ansicht.
Damit arbeite ich jetzt, ein Ordner mit Zeichnungen und quantitativer Aufnahme. Ich kann Ihnen keine Fotos von den Objekten an sich zeigen, sondern „nur“ Fotos von den Bleistiftzeichnungen des Fundguts der Grabung Rennweg 93A, der ehemaligen Rennwegkaserne. Diese aber garniert mit kleinen G’schichtln zu Gustostückerln.

Miniaturgefäße

Diese beiden Topferln sind in der Optik unterschiedlich, das eine (links) weist einen beige-grauen Scherben auf, der Rand ist ausgestellt und kantig abgestrichen. Der Randdurchmesser ist mit 3,6 cm sehr klein. Das andere Stück (rechts) ist ein Miniaturfaltenbecher, mit zartem Karniesrand (der Rand ist mit Rille und Kerbe akzentuiert), dünnwandig mit Griesbewurf und Dellen.
Es könnte sich um Kinderspielzeug, Puppengeschirr, gehandelt haben oder aber auch um kleine Salbtiegel, z. B. für Öle zur Morgentoilette einer Matrone.

Bleistiftzeichnungen zweier Miniaturgefäße. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Ursula Eisenmenger)

Spardose

Das nächste Objekt ist ein Gefäßunterteil mit gedrückt-kugeligem Körper, der Wandverlauf kippt an der Schulter nach innen, der Rest fehlt; dort hätte sich ein eingewölbter Spiegel und ein vor dem Brand eingeschnittener Schlitz befunden. Zum Glück gibt es Vergleichsbeispiele aus Köln, die unser Stück als Spardose identifizieren. Sie gab es in unterschiedlichen Scherbenstrukturen und in verschiedenen Größen.
Wie die Sparbüchse (im heutigen Sinn) von den Römern genannt wurde, wissen wir nicht mit Sicherheit, es ist nur eine Vermutung – „aululae“ (nach Plautus). Außerdem gibt es weitere Unklarheiten ob ihrer grundsätzlichen Verwendung. In manchen Gräbern wurden zerschlagene Gefäße gefunden, zugleich auch Münzen, jedoch nicht bei der Spardose. An anderen Exemplaren waren die Einwurf-Schlitze für die gängigsten Münzen zu klein. Es wird vermutet, dass es sich um Opfergaben – hierbei war das Gefäß an sich die Gabe – gehandelt hat,  sei es als Bauopfer oder als Ausstattung eines Verstorbenen stellvertretend für Geld.

Bleistiftzeichnung einer Spardose. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Ursula Eisenmenger)

Recycling

An sich ist Keramik nicht wieder zu verwenden, wie Glas oder Metall, welches eingeschmolzen und zu neuen Gegenständen verarbeitet werden konnte. Gebrannte Irdenware ist sehr dauerhaft, einige Möglichkeiten der Zweitnutzung gibt es dennoch: Zermahlene Scherben wurden in neue Tonmasse als Schamotte eingearbeitet (das machte das neue Gefäß hitzebeständiger), Scherben wurden als Dränage aufgeschüttet, Gefäßteile als Malerfarbtöpfe bzw. als Sammelbehälter für Urin verwendet. Aus Bodenmittelteilen wurden Deckel oder Spinnwirtel geschliffen, aus Henkel wurde Werkzeug zum Glätten.
Das Randfragment – eine sehr breite Randlippe – einer Reibschüssel mit Leiste und Innenabsatz wurde sekundär bearbeitet, man fräste ein Zickzack heraus. Zwar gibt es Verstärkungen oder Eintiefungen auf Kragenrändern von Mortaria (lat.: Reibschüssel), doch diese wurden vor dem Brand als Bestandteil der Zweckmäßigkeit geformt – so konnten die Schüsseln besser gehalten werden. Diese nachträglich eingeschnittenen Keile sind für Finger zu schmal, ich vermute, hier sollten Schnüre eingelegt und so fixiert werden.

Bleistiftzeichnung des Randes einer Reibschüssel. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Ursula Eisenmenger)

Verloren(?)

Tief unten aus einem Brunnen wurde ein ganz erhaltener Krug geborgen. Der Rand ist dreieckig mit Innenabsatz (evtl. eine Deckelauflage), am senkrechten Hals sitzt ein dreirippiger Bandhenkel, an der Schulter ist eine kleine Rippe sichtbar. An einer Seite ist der Gefäßkörper durch ein Loch beschädigt. Jetzt spekulieren wir: a) der Krug fiel aus Unachtsamkeit in den Brunnen und das Loch entstand in Folge der Lagerung oder b) er wurde, weil kaputt, einfach im Brunnen entsorgt. Es war nicht unüblich, dass Abfall in Brunnen versenkt wurde, nachdem dieser offenbar nicht mehr gebraucht wurden oder nicht mehr brauchbar war.

Bleistiftzeichnung eines Kruges. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Ursula Eisenmenger)

Wie Sie lesen konnten, sind manche Themenbereiche nicht neu. Müllentsorgung, Wiederverwertung, Sparen oder Kinderspielzeug sind schon bei den römischen Vorfahren zu finden.