Latinus fecit in Vindobona – Nachzulesen im neuen „Fundort Wien“

Autorin: Lotte Dollhofer

Latinus, der ungefähr in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Christus gelebt hat, ist uns eigentlich schon länger bekannt. Er hat sich mit seinem Stempel auf einer Reibschüssel verewigt, die bereits 1904 beim Bau des sog. Zacherlhauses (Wien 1) aufgefunden wurde. Mehr als 100 Jahre später kamen an unterschiedlichen Orten in der Stadt (Wien 3 und 17) gleich zwei weitere gestempelte Reibschüsselfragmente mit seinem Namen zum Vorschein. Ein glücklicher Zufall, denn Reibschüsseln mit Namenstempel sind in Vindobona äußerst selten zu finden.

Die beim Bau des Zacherlhauses geborgene Reibschüssel (nach Kenner 1905).

Warum können solche Fundstücke in Fachkreisen Begeisterung auslösen? Fangen wir bei dem gestempelten Objekt selbst an. Die Reibschüssel (lat. mortarium) war das keramische Küchengerät der Antike schlechthin. Sie diente, wie der Name schon verrät, zum Zerkleinern und Mischen von Zutaten, eigentlich wie unsere heutigen Mörser, nur im Durchmesser größer und eher wie flache Schüsseln gehalten, in deren Boden grobkörniges Material eingearbeitet war, um eine größere Reibwirkung zu erzielen. Der breitkrempige Rand (sog. Kragenrand) war notwendig, um das Gefäß gut halten zu können. Der Stößel war aus Holz oder Ton, auch wiederverwendete abgerundete Amphorenstücke sind belegt. Ein Ausguss erleichterte das Ausleeren der zubereiteten Masse.

Gestempelte Reibschüssel aus der römischen Zivilsiedlung (Wien 3, Rennweg 52).

Die Reibschüssel an sich lässt einem Archäologen bzw. einer Archäologin noch nicht das Herz höher schlagen, aber sehr wohl, wenn sich darauf ein Stempel befindet!
Die oben erwähnten, sicher dem Latinus zuweisbaren Stücke zeigen Stempelungen auf dem Kragenrand beiderseits des Ausgusses. Auf der einen Seite ist Latinus fec(it) zu lesen, auf der anderen Seite leg(ionis) XIIII.
Was können wir daraus schließen? Aus dem Stempeltext selbst, dass Latinus, ein Töpfer, die Gefäße hergestellt hat bzw. diese in seiner Werkstatt ausgeführt worden sind und dass es einen militärischen Bezug gegeben haben muss. Die 14. Legion war von 101 bis 114/118 nach Christus in Vindobona stationiert. Entweder gehörte Latinus selbst dem Militär an oder er war ein Veteran oder ein ziviler Handwerker, der für die Legion arbeitete. Aber wo hat er das getan? Die archäometrische Analyse der Gefäße belegt jedenfalls die Verwendung lokaler Rohstoffe (Hernalser Tegel). Hat sich seine Werkstatt womöglich im Bereich der Legionsziegeleien in Hernals befunden?
Aber an dieser Stelle sei noch nicht alles verraten: Die Archäologin Rita Chinelli und der Epigraphiker Reinhold Wedenig haben sich eingehend mit allen Fragen, die sich rund um diese gestempelten Gefäße aufdrängen, beschäftigt, und zwar im neuen „Fundort Wien“ , dem Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien, der soeben erschienen ist.

Der aktuelle Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien.

Dort erfahren sie auch das Neueste zu den Grabungsergebnissen im Bereich der römischen Legionsziegeleien in Hernals und zur spätlatènezeitlichen Siedlung am Rochusmarkt. Und für die von der Urgeschichte Begeisterten ist sicherlich die Analyse einer spätneolithischen Frauenbestattung im 11. Wiener Gemeindebezirk sowie die Verortung von Radiolarit-Abbaustellen im Lainzer Tiergarten von Interesse.

Gestempelte Ziegel aus der Legionsziegelei in Wien 17 und spätneolithische Frauenbestattung mit beigegebenen Pfeilspitzen.

Wenn wir das Zeitrad wieder in die andere Richtung drehen, kommen wir zu aktuellen Bauuntersuchungen, einerseits an der Sieveringer Pfarrkirche (Wien 19), deren ältester erhaltener Bestand aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammt, und andererseits im Keller des Hauses Mölker Bastei 8 (Wien 1), in welchem – natürlich nicht im Keller, sondern im 4. Stock – zeitweilig Ludwig van Beethoven gewohnt hat. Wobei der prominente Bewohner eher nur eine Fußnote in der wechselvollen Geschichte des Hauses darstellt, steht es doch auf den Überresten der ehemaligen Stadtbefestigung!

Die Pfarrkirche von Sievering und das Haus Mölker Bastei 8.

Des Weiteren begeben wir uns auf Spurensuche nach den Wiener Glashütten und deren Erzeugnisse von der Römerzeit bis in das späte 17. Jahrhundert.

Standorte von Glashütten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und grünblaue Glasware aus Wien.

Last, but not least sei auf die Fundchronik hingewiesen, in der heuer über 14 Ausgrabungen der Stadtarchäologie Wien in kompakter Form berichtet wird.
Hineinlesen lohnt sich!!

Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 21/2018
Kartoniert. 29,7 x 21 cm
240 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Plänen
Einzelpreis: 34,– Euro, Abonnementpreis: 25,60 Euro
ISBN 978-3-85161-199-1. ISSN 1561-4891
E-Book (PDF-Format) Gesamtpreis: 30,– Euro, Einzelartikel: 3–11,80 Euro
ISBN 978-3-85161-200-4. ISSN 1561-4891

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