Mit Lupe, aber ohne Hut

Autorin: Christine Ranseder

Auch für ein Buch wie „Napoleon in Aspern. Archäologische Spuren der Schlacht 1809“, das ohne Fußnoten und Katalog auskommt, muss zuerst Grundlagenarbeit geleistet werden. In diesem Fall stellten die Funde aus den in den Jahren 2009 bis 2016 durchgeführten Grabungen eine echte Herausforderung dar.

Was Sie auf dem ersten Foto sehen ist kein einfacher Erdklumpen. Es sind als Block geborgene Textilreste aus einem Massengrab, mehr oder weniger frisch von der Grabung. Bevor Archäologen damit etwas anfangen können, geht ein derartiger Fund durch die Hände eines Textilkonservators/-restaurators – oft mit überraschenden Ergebnissen.

Textilfunde aus einem Massengrab, in dem 1809 mehr als zwölf Soldaten bestattet worden waren.

Es stellte sich heraus, dass von der Bekleidung einiger in der Schlacht von Aspern-Essling gefallener Soldaten rund 180 kleine Stofffragmente erhalten geblieben waren. Diese sind durch die Lagerung im Boden verfärbt und stark mitgenommen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, erfordert es detektivische Kleinarbeit, um diesen spärlichen Resten Informationen abzuringen. Aber es geht. Schließlich müssen auch solche Funde beschrieben und in einem Katalog erfasst werden. Ich griff also zur Lupe und begann Fakten, Beobachtungen und Vermutungen gleichermaßen festzuhalten.

Es galt genau hinzusehen und Antworten auf gezielte Fragen zu finden, denn Objekte sprechen nicht von selbst. Woraus besteht der Stoff? Welche Bindungsart weist das Gewebe auf? Wie viele Fäden haben Schuss und Kette pro cm? Hat der Faden eine S- oder Z-Drehung? Lassen sich Nähte entdecken? Welche Art von Naht? Blieb vom  Nähgut etwas erhalten? Welche Funktion hat die auf einigen Stofffragmenten haftende spröde dunkelbraune Substanz, in die grobe Gewebereste eingebettet sind? Wie sind etwaige Verschlüsse angebracht? Von welchem Kleidungsstück stammt das Stofffragment? In welcher Position befand es sich ursprünglich an diesem Kleidungsstück? Handelt es sich um Oberstoff oder Futter?

Manche Fragen waren schnell beantwortet, andere ließen sich nur mithilfe naturwissenschaftlicher Methoden lösen. Alles zielte darauf ab, die Tatsachen – im wahrsten Sinne die Stofflichkeit – der archäologischen Funde zu ermitteln. Diese Bestandsaufnahme wird nie in Buchform erscheinen, dennoch ist sie notwendig. Sie ist die Basis für Überlegungen und Vermutungen, die durch das Studium historischer Schrift- und Bildquellen sowie vergleichbarer Funde überprüft und bestätigt – oder auch verworfen – werden können. Ich machte mich also auf, die Welt des Militärs im frühen 19. Jahrhundert zu erkunden. Handbücher zur Militärökonomie, Dienstvorschriften, Beschreibungen der Montur, Gemälde, Museumsbesuche und vieles mehr halfen, die Funde aus Aspern Uniformen zuzuordnen und in einen kulturhistorischen Kontext zu setzen. Einige der Ergebnisse können Sie in dem Buch „Napoleon in Aspern. Archäologische Spuren der Schlacht 1809“ nachlesen. Und von 30. Juni 2017 bis 31. Jänner 2018 wird eine kleine Posterausstellung zu diesem Thema in der Volkshochschule Meidling zu sehen sein.