Nachlese zur Ausgrabung in der Kundmanngasse

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Erinnern Sie sich noch an die Ausgrabung Kundmanngasse 21 (Wien 3)? Im letzten Herbst wurden der Fortgang der Grabung und die Ergebnisse in vier Blogbeiträgen laufend kommuniziert. Sogar ein Fragenkatalog wurde angelegt und schlussendlich – im vierten Blogbeitrag – auch beantwortet. Jetzt sind wir „hinter den Kulissen“ angekommen, die Fundgattungen sind feinsäuberlich sortiert, die Keramik ist gewaschen. Zeit für ein „Frage- und Antwortspiel“ aus Sicht des Materialbearbeiters.

Kelten von rau bis zart

Wie bereits in der Vor-Ort-Berichterstattung ausführlich diskutiert, stellen die spätkeltischen Funde einen großen Anteil des vorliegenden Materials. Ob nun grober Graphittonscherben mit Kammstrich oder feinere Ware mit Bemalung – das Spektrum dürfte im Großen und Ganzen jenem der oft zitierten Ausgrabung Rasumofskygasse entsprechen.

Latènezeitliche Keramik: Graphittonscherben mit Kammstrich.
Latènezeitliche Keramik: feinere Ware mit Bemalung.
Latènezeitliche Keramik: Suchen und Finden.

Und wieder sieht es so aus, als sollten sich durch geduldiges Suchen und Puzzeln zumindest Gefäßteile zusammenstellen lassen, die diesen Namen auch verdienen. Was uns das sagt? Gewiss nicht, dass die ehemaligen Eigentümer mehr Vorsicht haben walten lassen, als andere (Proto-)Wiener. Großformatige und gut restaurierbare Scherben finden sich – gänzlich unabhängig von der historischen Epoche – gerne in den Verfüllungen von Gruben, Latrinen, Brunnen usw. , also in Objekten wo sie – einmal entsorgt – „in Frieden“ ruhen konnten. Keramik, die „offen herumlag“ hatte das dezimierend-diminuierend traurige Schicksal weiter umgelagert und herumgeschoben – verlagert – zu werden, bis sie endlich und meist abgestoßen und ach so klein auf einer großen Fläche verteilt zur Ruhe kommt. In solchen Fällen ist das Restaurieren von Ganzgefäßen undankbar bis unmöglich. Ein Fundbearbeiter kann also auf Grund des Zustandes, in dem sich ein Material befindet, ohne einen Blick in die Dokumentation zu werfen, eine meist zutreffende Vermutung über die Befunde anstellen, aus denen sein neuestes Arbeitsgebiet geborgen wurde. Klingt nach purer Angeberei und reichlich überflüssig im Falle einer standardmäßigen korrekten Grabungsdokumentation, in manchen Fällen (Altgrabungen, Grabungsfehler – so etwas soll vorkommen!!!) aber essentiell.

So gut wie kein Mittelalter

Der Mangel an mittelalterlichen Befunden wurde bereits während der Grabung angesprochen und mit einer gewissen Nonchalance mit dem Umstand in Verbindung gebracht, dass man sich außerhalb der spätmittelalterlichen Vorstadtbefestigung befand. Eine kleine mittelalterarchäologische Anmerkung hierzu: Eine Befestigung ist nicht das Ende der Welt. Vor der regulären Stadtmauer gab es die Vorstädte, vor der Vorstadtbefestigung gab es … Sie sehen, worauf ich hinauswill. Im konkreten Fall ist der minimale und verlagerte Anteil von mittelalterlichem Abfall aufschlussreich, sagt aber generell nicht wirklich etwas über eine strikte Differenzierung von Drinnen und Draußen aus.

Mittelalterliche Scherben.

17. oder 18. Jahrhundert?

Frühe Neuzeit findet sich nicht als Punkt im ursprünglichen Fragenkatalog, wohl weil man von „ihr“ einfach ausgeht. Nichtsdestotrotz gibt es hier – wieder im Vergleich mit der nahen Rasumovskygasse – einen beachtenswerten Unterschied.
Die Grabung Rasumofskygasse zeichnete sich durch eine beträchtliche Menge hochwertiger und gut erhaltener Keramik aus dem 17. Jahrhundert aus. Die räumliche Nähe ließ für die Kundmanngasse auf ähnliches hoffen – und erwies sich in diesem Punkt als täuschender Faktor: die Keramik war gleich um gute 100 Jahre jünger, aber nicht minder entzückend. Neben Tellern und Schüsseln fanden sich hier auch gleich mehrere Nachttöpfe – unterschiedliche dimensioniert, geformt und glasiert. Und wieder sprechend die Scherben Bände – oder zumindest Anekdoten. Heftige Versinterungen und Urinstein lassen darauf schließen, dass die Nachttöpfe vermutlich – und wie passend! – in einer Latrine entsorgt wurden. Wie darf man sich das vorstellen? Nun, neben der geradlinigen Entsorgung von eklig gewordenem Nachtgeschirr, ist auch der schwankende (nächtliche?) Gang zum privet, der mit einem fallen gelassenen (und weich gelandeten) Töpfchen endete, nicht auszuschließen – lassen Sie ihrer Fantasie freien Lauf, wir tun es auch. Apropos Fantasie: nicht der Einbildung entspringt hier die Gewissheit, dass das Material offenbar nicht vollständig geborgen werden konnte. So genannte „frische Brüche“ (von der Schaufel bis zum Bagger kommen hier verschiedenste „Täter“ in Frage) weisen auf sehr neue Gefäßkörperverletzungen hin. Lässt sich in diesem Fall nicht der ganze Topf rekonstruieren, so fehlt schlicht und einfach etwas …

Nachttopf.
Nachttopf.