Neue Gräber der Schlacht von Aspern 1809

Autor: Franz Eschner

Spätherbst 2020: Wenn bei Martin Penz, Stadtarchäologie Wien, das Handy läutet und sich „Wien 3420 Aspern Development AG“ meldet, ist schnelles Handeln gefragt. Ein aufmerksamer Baggerfahrer hat bei Grabungsarbeiten für die Seestadt Aspern eine Beobachtung gemacht. Im Erdreich vor dem Schaufellader sind Knochen aufgetaucht. Bei Minusgraden und kaltem Westwind begutachten Martin Penz und ich die Fundstelle und erkennen rasch, worum es sich in der Grube handelt.

Ein kalter Novembermorgen nördlich der Donau. Nicht weit entfernt arbeiten Baumaschinen an der Fertigstellung der Seestadt Aspern, die das neue Zuhause vieler WienerInnen ist. Ununterbrochen liefern Lastkraftwagen Werkstoffe und die allerorts aufgestellten Kräne bewegen die Ausleger. JoggerInnen nutzen die Möglichkeit, der Enge des eigenen Heims im Lockdown zu entfliehen und drehen frühmorgens ihre Runden entlang des neu entstandenen Sees und der Bernhardinerallee. Die U-Bahn bringt die ersten BewohnerInnen der Seestadt Aspern zu den gewünschten Zielen.

Blick auf die Seestadt Aspern am frühen Morgen. (Foto: Franz Eschner)

Die neue Stadtlandschaft präsentiert sich strukturiert und geplant, an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden, Sicherheit und ein Zuhause bietend. Entlang der Johann-Kutschera-Gasse, streifenförmig von Norden nach Süden verlaufend, findet sich zur Bestandsicherung einer extensiven, naturnahen Erholungsnutzung das Landschaftsschutzgebiet Donaustadt.

Nichts erinnert daran, dass vor 212 Jahren eine erbitterte Schlacht hier tobte. Keine oberflächlichen Spuren oder Denkmäler zeigen, dass 1809 unweit dieser Stelle ein entscheidender Augenblick der Geschichte stattfand, in dem sich das Schlachtenglück Napoleons erstmals von ihm abwandte. Traut man den Überlieferungen, so ergriff Erzherzog Karl in dem Augenblick eine Fahne und leitete einen Gegenangriff ein, als die Front der Österreicher vor den Angriffen der napoleonischen Truppen zu wanken begann.

Ahnen die BewohnerInnen der nahen Seestadt etwas von diesen historischen Geschehnissen? Und warum erzähle ich das überhaupt? Wie Sie vielleicht rasch erkannt haben werden, bin ich Archäologe. Und das hier ist ein Archäologieblog.
Unserem Berufsstand haften eher der Staub und Dreck als eine uns liebende Muse der Dichtung an, um Spuren des Krieges von 1809 auf den Grund zu gehen. Im Bereich einer vom Oberboden befreiten Fläche kniet nun eine Gruppe hochqualifizierter KollegInnen unter der Leitung von Slawomir Konik im Auftrag der Stadtarchäologie Wien auf Schaumstoffmatten an einem Baggerloch. Und diese Grube hat nun in der Tat wenig Lyrisches an sich. Nicht vom Heldenruhm, von Glorie der Gefallenen oder von der ewigen Erinnerung an Heroen wird in der Folge die Rede sein. Denn in der Grube vor uns befinden sich die durch den Bagger entdeckte letzte Ruhestätte mehrerer Soldaten der Kämpfe von 1809.

Die Drohne, die Slawomir Konik gekonnt steuert, fotografiert und dokumentiert acht Skelette, die Kopf an Fuß in die Grube geschichtet wurden. Metalldetektor und Pinpointer zeigen Knöpfe und im Bereich der Schultern Reste der Epauletten an, die auf den Uniformen angebracht waren und die militärische Dienstränge anzeigten. Eines der Individuen trägt einen Ring am kleinen Finger der linken Hand, vielleicht eine Erinnerung an die Ehefrau. Geringste Stoff- und Lederreste sowie Knöpfe aus Bein im Bereich der Unterschenkelknochen werden als Reste der Gamaschen gedeutet. Zwischen Wirbeln, Armknochen und Beckenknochen verteilte Musketenkugeln im französischen Standardkaliber verraten die Todesursache.

Eine Detailansicht des Grabes während der Freilegung. (Foto: Franz Eschner)
Das Grab wird während der Freilegung auch mit einer Drohne dokumentiert. (Foto: Franz Eschner)

Minus 4 Grad fordern alle Beteiligten der Grabung und zehren an den Kräften. Dennoch werden mit hölzernen Stäbchen vorsichtig, fast sanft, die Knochen sukzessive von anhaftender Erde befreit. Der Industriestaubsauger wird behutsam eingesetzt. Jeder Fund wird von Bogusia Miska genau verortet, um später in der interdisziplinären wissenschaftlichen Ausarbeitung Erkenntnisse zu liefern. Da die Skelette übereinanderliegen, wird von der Anthropologin Hannah Grabmayer verifiziert, welche Gebeine eines Gefallenen stratigrafisch „oben“ liegen, um diese nun primär zu bergen.

Aber dazu wird es heute an diesem kalten Novembertag wahrscheinlich nicht mehr kommen. Die aufsteigende Dunkelheit lässt es noch kälter werden. Das Grab wird nach einer abschließenden Kontrolle provisorisch abgedeckt, um die beinerne Hinterlassenschaft vor der Witterung und dem angekündigten Schneefall zu schützen. Die örtliche Polizeidienststelle wird ein wachsames Auge auf die Grabstätte in der Nacht werfen. Das Team, bestehend aus MitarbeiterInnen der Grabungsfirma Novetus und der Stadtarchäologie Wien darf sich nun auf ein warmes Zuhause freuen. Wenn es auch nicht gerne zugegeben wird, unsere Gedanken verweilen an diesem Abend bei den Toten und setzen ihnen dergestalt ein „Denk“mal.

Tagesende in Aspern. (Foto: Franz Eschner)

Literaturtipp:
Die Stadtarchäologie Wien untersuchte bereits von 2008 bis 2016 im Zuge mehrerer Grabungskampagnen Gräber, die mit der Schlacht von Aspern in Verbindung stehen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse wurde als Buch vorgelegt:
Christine Ranseder / Sylvia Sakl-Oberthaler / Martin Penz / Michaela Binder / Sigrid Czeika
Napoleon in Aspern. Archäologische Spuren der Schlacht 1809
Wien Archäologisch 13 (Wien 2017)
22 x 14 cm. Broschur
152 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
EUR 21,90
ISBN 978-3-85161-170-0