Noch mehr der Toten? Nur her damit!

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Wien soll ja angeblich für seine morbide Seite bekannt sein – so will es jedenfalls der düsterere Teil der Stadtvermarktung wissen. Schon möglich, dass da sogar etwas Wahres dran ist. Zumindest aus Sicht des Archäologen ist diese Überlegung nicht so einfach vom Tisch zu wischen. Jedes Mal, wenn das Baugeschehen in Wien knöcherne menschliche Überreste an die Oberfläche treibt, ist das Interesse groß, manchmal sogar etwas übersteigert. Es gibt allerdings durchaus das eine oder andere Skelett, dass selbst nüchternen Archäologen berauschte Reaktionen entlockt. Diese Raritäten fallen nicht unbedingt durch Unversehrtheit, knöcherne Schönheit oder exquisite Beifunde auf. Was macht also den besonderen wissenschaftlichen Reiz dieser seltenen Toten aus?

Genug des Spannungsaufbaus! Sie erinnern sich noch an die Hänsel und Gretel-Variante in Hernals? Junger Mann im Ofen, nicht ganz so junge Frau davor und die alte Hexe – nun die haben wir eindeutig nicht gefunden. Aber wie auch immer: Es gibt ja noch andere Tote in Wien, auf die sich ein genauerer Blick lohnt. Sie stammen aus einer vergleichbar unterbelichteten Epoche der Stadtgeschichte.

Wie wir wissen, waren die Römer einigermaßen strikt, wenn es um das Anlegen von Bestattungen ging. Selbige befanden sich immer außerhalb des Siedlungsgebietes. Ab dem christlich überprägten, entwickelten Hochmittelalter darf man sich die Toten dann im vielschichtigen Reigentanz um die verschiedenen Kirchen der Stadt gruppiert vorstellen. Es sollten sich also innerhalb der Grenzen des Legionslagers aus römischer Zeit keine sterblichen Überreste von Erwachsenen finden. Knochen mit mittelalterlicher Provenienz sind gestattet, aber nur wenn sie im Kirchhofs Kontext ruhen, werfen sie keine weiteren Fragen auf.

Als 1951 einige Gräber in der Salvatorgasse entdeckt wurden, halfen die Beifunde bei einer recht raschen zeitlichen Einordnung. Im 6. Jh. wurde hier eine Gräbergruppe in den römischen Ruinen angelegt. Versucht man sich an einer Zuordnung über die Trachtbestandeile, spricht man von langobardischen oder herulischen Bestattungen. Keine Panik: Die Motivation in den Resten des römischen Bades zu bestatten ist zwar schleierhaft, aber Langobarden und Konsorten taten solches immer wieder.

Unverständlicher sind da schon zwei erst in den letzten Jahren entdeckte Frauenbestattungen mitten im ehemaligen Legionslager und – was angesichts der C14-Datierungen beachtlicher ist – fern jeder Kirche. Für beide Skelette – eines vom Hohen Markt, das andere aus der Tuchlauben – wurde ob ihrer Beigabenlosigkeit und sonderbaren Platzierung eine naturwissenschaftliche Datierung unternommen. Ganz offenbar stammen beide Damen aus dem generell eher schon christlich eingestuften 10./11. Jh. und sind damit, dort wo sie sind, eindeutig etwas fehl am Platz.

Das am Hohen Markt gefundene Skelett in situ. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Doch nicht ganz so christlich die ansässige Gemeinde? Oder lediglich etwas großzügig im Austeilen von Sonderbestattungen aus verschiedensten Gründen? Die Damen haben neben ihrer Beerdigung bei römischen Ruinen noch ihre Beigaben- und Trachtbestandteillosigkeit gemeinsam und einen –soweit feststellbar – eher schmerzhaft schlechten Knochen-/Gelenks-/Bandscheibenstatus, soll heißen beide Individuen (vermutlich irgendwo zwischen 30 und 40 Jahren alt) waren bereits einigermaßen durch Zeit und Belastungen verschlissen. Die Fundleere will übrigens nicht viel heißen. Abgesehen davon, dass in beiden Fällen nicht von einem ungestörten Befund gesprochen werden kann, ist Artefakt bezogene Askese oft genug nicht in tiefer Gläubigkeit verwurzelt sondern eher in bitterer Armut.