O Engel rein, o Schützer mein….

Autorin: Constance Litschauer

Grabungen im Bereich ehemaliger Friedhöfe bringen nicht nur sterbliche Überreste zu Tage! Diese Tatsache ist den aufmerksamen BlogleserInnen sicherlich nicht entgangen, da ja an gleicher Stelle bereits mehrfach Trachtbestandteile und Schmuckstücke aus Grabkomplexen vorgestellt wurden. Dass diese Ensembles nicht nur Profanes umfassten, sondern auch Religiöses wie Rosenkränze, Kreuze, Medaillen und Breverl, liegt dabei wenig überraschend auf der Hand.

Die spärlichen Überreste der Verstorbenen (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Fundplatz des heute vorzustellenden Objektes war ein Grab am Hernalser Friedhof am Kalvarienberg im Bereich des heutigen St.-Bartholomäus-Platzes. Es stellte die Beigabe einer 50 bis 70 Jahre alten Frau dar, die vermutlich bereits als Kind an Rachitis erkrankte. Das Altwerden hatte sie darüber hinaus an einer Arthrose an den Hüftgelenken erkranken lassen und ihr bereits sämtliche Zähne gekostet. Damit bleibt für sie zu hoffen, dass zumindest die persönliche Glaubensvorstellung ihre Befindlichkeiten verbessern konnte.

Die Schutzengeldarstellung auf dem Wiener Anhänger. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Die 17,7 x 21,3 mm messende Beigabe bildete ursprünglich mit zwei Glasblättchen und einer Fassung aus Bronzeblech einen religiösen Anhänger. Thema des  reliefierten und bemalten Bildträgers aus Pfeifenton ist eine Schutzengeldarstellung, die sich noch heute großer Popularität erfreut.

Während Schutzengelwesen aus dem außerbiblischen jüdischen Schrifttum bereits aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert bekannt sind, können sie im abendländischen Raum ab dem 9. Jahrhundert belegt werden. Ein deutlicher Aufschwung ist dabei an der Wende vom Spätmittelalter zur Neuzeit zu erkennen, als das Motiv im 15. Jahrhundert in der bildenden Kunst Einzug hielt. Ähnliches gilt für die kirchliche Entwicklung. Im Jahr 1608 erfolgte die päpstliche Erlaubnis zur Anbetung und 1670 die Einführung des Schutzengelfestes am 2. Oktober. Problemlos konnte man sich dafür auf Bibeltexte stützen, die sowohl im Alten als auch im Neuen Testament die geheimnisvollen und mächtigen Helfer erwähnen:  Als Beispiele seien an dieser Stelle Psalm 91, 11 („Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“) und Matthäus 18,10 („Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters.“) genannt.

In der bildenden Kunst geht das Motiv ursprünglich auf die Erzählung „Tobias und der Engel“ zurück und zeigt damit eine Szene aus dem fünften Kapitel des alttestamentarischen Buchs Tobit: Tobias, der Sohn des Tobit, wird auf seiner durchaus herausfordernden Reise von Erzengel Raphael und seinem Hund begleitet. Im Lauf des 17. Jahrhunderts setzte sich jedoch die Darstellung eines anonymisierten Schutzengels durch, der ein Kind hütend führt und auch am Wiener Anhänger erkennbar ist. Klassischerweise hält das Himmelswesen das Kind an seiner rechten Hand und zeigt ihm mit seiner nach oben gestreckten Linken das göttliche Licht.

Medaille aus Mariazell: Zeugnis einer Wallfahrt und Datierungshilfe. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Bleibt noch die Frage zur Datierung des Anhängers. Während der Anhänger an sich und auch der vom Spätmittelalter bis zu den josephinischen Reformen in den Jahren 1784/85 belegte Friedhof kaum chronologische Anhaltspunkte bieten, kann hier ein im selben Grab gefundenes Wallfahrtsandenken aus Mariazell helfen. Mithilfe des von Engeln bekrönten Gnadenbildes, der prunkgewandeten Sitzmadonna auf der Vorderseite, lässt sich für die 25,85 x >25,75 mm große und ursprünglich ovale Medaille der Magna Mater Austriae nämlich eine Entstehung ab 1683 ermitteln. In diesem Jahr wurde nicht nur die Barockisierung der Basilika vollendet, sondern auch das im Zuge der Türkengefahr versteckte Gnadenbild konnte wieder heimgebracht werden – mit Engelskraft.