Autorin: Kinga Tarcsay
Dank der regen Grabungstätigkeit der Wiener Stadtarchäologie mehren sich in den letzten Jahren die Belege für den Betrieb einiger römischer Glasproduktionsstätten auf dem heutigen Wiener Stadtgebiet.
Die bisher ältesten Hinweise liefern Häufungen charakteristischer Glaswerkstattabfälle, die bei einigen Grabungen an der ehemaligen Limesstraße in der Zivilsiedlung, heute ident mit dem Straßenzug Wien 3, Rennweg, zu Tage kamen. Diese Reste wurden vorwiegend aus Schichten der ersten Phase dieser Zivilsiedlung, die vom fortgeschrittenen 1. bis mittleren 2. Jahrhundert n. Chr. reichte, geborgen und dürften miteinander in Beziehung stehen.
Weitaus am meisten Glaswerkstattabfall fand sich im Bereich zweier Streifenhäuser, die bei der Grabung Rennweg 52 im Jahre 2016 freigelegt wurden, wobei sehr viel Material aus einer Grubenverfüllung stammt. Möglicherweise wird es bei einer zukünftigen Aufarbeitung dieser Grabung sogar möglich sein, zugehörige Glasofenbefunde zu identifizieren.
An Funden liegen v. a. verschlacktes Material, Rohglasbrocken, Fäden und Stäbchen, Bänder, Abschnitte, Tropfen mit charakteristischen Einstichen, zum Teil verzogene Hohlglasreste sowie Fensterglas aus vorwiegend grünbläulichem, selten auch hellgrünstichigem oder gelblichem Glas vor.
An bestimmbaren Glasformen sind Flaschen, Schalen mit nach außen gefaltetem Rand vom Typ Isings 44 sowie dickes Fensterglas vertreten. Nicht immer – vor allem vor einer chemischen Analyse – ist eindeutig bestimmbar, ob dieses Glas vor Ort hergestellt worden ist oder ob es sich um Altglas handelte, das für eine Wiedereinschmelzung gesammelt worden war. Die Gleichartigkeit der Fundstücke sowie die Durchmischung mit dem Werkstattabfall spricht aber eher dafür, dass es sich um Fehlprodukte bzw. misslungene Stücke gehandelt hat, sodass diese Funde es auch erlauben, das hier produzierte Formenspektrum zu rekonstruieren.
Ein ganz besonders interessantes Fundobjekt ist eine in zwei Teilen erhaltene Nadel aus violettem Glas, die im Querschnitt quadratisch und im unteren Bereich – zur Spitze hin – präzise verdreht (tordiert) ist; das obere Ende fehlt leider. Möglicherweise war dieses Teil einer – höchst zerbrechlichen – Haarnadel, wie sie von betuchteren Römerinnen getragen wurden, wobei sich am abgebrochenen Ende vermutlich noch ein Dekorelement, etwa ein Vogel oder ein kleines Gefäß, befunden hat.
Hier am Rennweg wurden zudem weitere Fragmente gleichartiger Stäbchen mit quadratischem Querschnitt aus violettem und olivgelbgrünem Glas gefunden. Die spezielle Machart sowie Farbigkeit all dieser Stücke ist außergewöhnlich und bislang liegen keine exakt entsprechenden Analogien vor. Mangels vollständig erhaltener Stücke kann zur Zeit noch nicht geklärt werden, ob diese Funde Halbprodukte der Glasherstellung – z. B. eines Perlen- oder Haarnadelherstellers – sind oder aber zum Inventar eines vor Ort ansässigen Händlers etwa für Haarnadeln gehörten.
Im zivilen Lagerdorf rund um das Legionslager, den canabae legionis, konnten noch keine eindeutigen Glaswerkstattreste bzw. Ofenbefunde freigelegt werden, doch werden auch hier immer wieder einzelne, für die Glasproduktion charakteristische Werkstattabfallstücke an der ehemaligen Limesstraße geborgen.
Im Legionslager selbst wurden bei der Grabung in Wien 1, Judenplatz hingegen Reste einer Glaswerkstatt freigelegt, die in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts in Betrieb war; zu dieser Zeit wurde dieser Lagerbereich nicht mehr rein militärisch genützt. In einem kleinen Barackenanbau konnten hier die Grundrisse mehrerer Ofenanlagen, die nacheinander errichtet worden waren, rekonstruiert werden. Hergestellt wurden in dieser Werkstatt vorwiegend unterschiedlich geformte Becher mit abgesprengtem Rand aus grünlichweißem Glas. Diese Glaswerkstätte wurde bereits ausführlich publiziert.