Adresse: Rabensteig 3, Wien 1
Anlass: Hausumbau | Grabungsjahr: 2013, 2014
Zeitstellung: Römerzeit, Mittelalter, Neuzeit

Ein geschichtsträchtiges Haus in der Wiener Innenstadt

In dem heute auch als Bermuda-Dreieck geläufigen, in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Architekten Josef Kornhäusel (1782–1860) geprägten Wiener Innenstadtgrätzl, befindet sich das an den Hang der Wiener Stadtterrasse schmiegende und denkmalgeschützte Haus Rabensteig 3/Seitenstettengasse 6. Es beherbergt heute das Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien. Die für dessen Einrichtung notwendigen Umbauarbeiten wurden von bauhistorischen Untersuchungen und einer archäologischen Grabung begleitet.
Durch dieses Vorhaben konnte nicht nur der vom 12. bis ins 19. Jahrhundert datierende Baubestand untersucht werden, sondern auch die Vorverbauung in einem für die historische Entwicklung Wiens bedeutenden Bereich.

Vorläufige Ergebnisse

Römerzeitliche Reste

Die nähere Umgebung des Gebäudes ist durch das Plateau der Wiener Stadtterrasse und eine auf eine Hangrutschung um 300 n. Chr. zurückgehende Geländekante zum heute regulierten Donaukanal hin geprägt. Auf der strategisch günstig gelegenen Erhöhung entstand ab ca. 100 n. Chr. das römische Legionslager von Vindobona. Das Haus Rabensteig 3 liegt im Bereich der Nordost-Ecke des antiken Befestigungsbaus.
In diesem Zusammenhang kann ein zumindest 1,5 bis 2 m starkes, sich nach unten verbreiterndes Mauerfundament, den Rest der spätantiken Lagermauer oder eines vorkragenden Turms dargestellt haben. Es besteht aus plattigen Kalksandsteinen, gebunden mit einem festen weißlichen Kalkmörtel.
Ebenfalls dem römischen Verteidigungssystem zuzuordnen ist ein Spitzgraben, der aufgrund seiner Lage und der rekonstruierbaren Breite von rund 6 m als innerster Legionslagergraben anzusprechen ist.

Links: Westwange des römischen Spitzgrabens, nach Süden. Rechts: Nordost-Ecke des römischen Legionslagers mit den römerzeitlichen Befunden der Grabung Rabensteig 3. (Foto und Plan: Stadtarchäologie Wien)
Erste hochmittelalterliche Befunde aus dem seinerzeit prosperierenden Wien

Die Erweiterung des Wiener Siedlungsraums im 12. Jahrhundert ist durch eine direkt an den Lösshang gestellte, 1 m starke, Hangbefestigungsmauer aus Bruch- und Quadersteinen fassbar. Sie ist wohl als Teil der ersten Babenberger Umfassungsmauer des hochmittelalterlichen Wiens anzusprechen.
Die Erweiterungsaktivitäten zeigten sich auch in verschiedenen Planier-, Arbeits- und Gehhorizonten sowie zugehörigen Gruben unterschiedlichster Funktion. Eine Abfallgrube enthielt etwa Reste von großformatigem Kochgeschirr des 12. Jahrhunderts und Tierknochen – Hinweise auf eine Großküche für die Arbeitskräfte?

Keramikfragmente von großformatigen Gefäßen des 12. Jahrhunderts. Links: Topf- und Schüsselrand. Rechts: Tüllenfragment. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/C. Litschauer)

Auch eine erste Vorverbauung zu Wohnzwecken ist hier nachweisbar. Spätestens jetzt wurde der römische Spitzgraben verfüllt und es entstand bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert eine Fachwerksverbauung. Dieser sind auch mehrere Öfen und Feuerstellen sowie weitere Bodenschichten und Gruben zuzuordnen.

Links: Mehrfach ausgebesserte Mauer der mittelalterlichen Stadtbefestigung. Rechts oben: Pfostengruben und Stangenlöcher der ersten hochmittelalterlichen Holzbauphase. Rechts unten: Herdplatte aus Ziegelsteinen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)
Das erste Steinhaus und der Ausbau zu einem repräsentativen Gebäude

Um 1300 wurde schließlich ein erster mehrgliedriger Steinbau am Gelände errichtet, der bereits teilweise über ein Obergeschoß und im Süden über drei Kellerräume verfügte. Der größte Teil der damaligen Substanz blieb im Fundamentbereich erhalten und umfasste zumeist lagerhafte Bruchsteinmauern. Die hohe Anzahl an festgestellten Estrich- und Lehmbodenresten auf ähnlichem Niveau verweist auf eine intensive Nutzung und häufige Auswechslungen.
Im 14. Jahrhundert erfolgte der Ausbau mit einem repräsentativen vierstöckigen Wohnturm im Nordwesten der Hausparzelle. Auch das Obergeschoß war im Spätmittelalter bereits massiv ausgebaut.

Überblicksplan zu den Befunden im Haus Rabensteig 3, Wien 1. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Bemerkenswert ist das gotische Spitzbogenportal mit einer lichten Weite von rund 1 m, durch das ein Gang betreten werden konnte, der einen weiteren Bogen aus wiederverwendetem Baumaterial passierend zu einem spätmittelalterlichen Brunnen führte. Andere bauhistorisch und archäologisch verifizierte Raumstrukturen umfassen etwa eine bis 1587 beibehaltene Hauseinfahrt im Süden mit einem vollständig erhaltenen steinernen Rundbogenportal.

Links: Gotisches Spitzbogenportal und Fundamentmauern eines Ganges. Rechts: Rundbogenportal als Hauseinfahrt. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Seitlich der Einfahrt fand sich, an passender Stelle gelegen, der bereits erwähnte mehrphasige Hausbrunnen. Sein Umbau zu einer Latrine kann unter anderem aufgrund eines im zugehörigen Fallschacht aus dem oberen Stockwerk geborgenen Brettes aus Tannenholz, das 1626 gefällt wurde, ins 17. Jahrhundert gesetzt werden.

Links: Spätmittelalterlicher Brunnenschacht, nach Osten. Rechts: Blick nach oben in den jüngeren Latrinenschacht. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Der in einem Kaufvertrag aus dem Jahr 1376 genannte Verkäufer des Grundstücks, Andreas (II.) Hutstock oder auch der Käufer Thoman der Redler, chirichmeister der Stephanskirche können durchaus als Auftraggeber der Ausbauten fungiert haben. Aus den Hofquartierbüchern geht hervor, dass das Gebäude bis knapp vor 1566 immer wieder mit dem benachbarten Grundstück Seitenstettengasse 4 vereint war und dass die Besitzer des Hauses den unterschiedlichsten Schichten des Wiener Bürgertums angehörten. So fanden sich unter den überlieferten Hauseigentümern auch namhafte Bürger des 15. Jahrhunderts, wie der Stadtrichter Kristoph Pempflinger, der dem Haus („Pempflingerhof“) seinen Namen gab.

Frühneuzeitliche Umbaumaßnahmen

Auch der ab 1555 als Eigentümer des Hauses genannte Steinmetz und Baumeister Bonifaz Wolmuet, der einen für die Erforschung der Stadtgeschichte unentbehrlichen Stadtplan Wiens angefertigt hat, ist kein unbekannter. Seiner Anwesenheit geschuldet ist vielleicht ein Werkstattbereich, in dem mit Kalk gearbeitet wurde. Das legen ein Nutzungshorizont mit zahlreichen Kalksprenkeln und eingetieftem Schacht mit Kalkanhaftungen nahe, aber auch eine mittels Rinne mit einer Kalkwanne verbundene Kalklöschgrube. Das Halbfabrikat eines Säulenfragments und der Fund von im Steinmetzgewerbe zum Schleifen verwendeten Schulpen (Schalenreste von Sepien) sprechen für sich.

Links unten: Nutzungshorizont mit Kalksprenkeln und Schacht mit anhaftenden Kalkresten, nach Westen. Links oben: Fragmentierte Schulpen (Sepienschalen). Rechts: Halbfabrikat einer Säule aus Untersberger Marmor. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/C. Litschauer)

Das noch im gleichen Jahrhundert in den Besitz der Binder Peter Weiss und Eytel Freyer gelangte Gebäude zeichnete schließlich weitere umfassende Ausbaumaßnahmen aus. Darunter fielen vor allem die Einwölbung des Keller- und Erdgeschoßes sowie einiger Räume des ersten und des neuen zweiten Obergeschoßes. Im Südosten des Hauses wurde ein langgestreckter hallenartiger Raum errichtet, der aufgrund einer angetroffenen hölzernen Wasserrinne zumindest zeitweise als (Pferde-)Stall genutzt wurde. Eine toskanische Säule verweist außerdem auf die Einrichtung einer ansprechenden überwölbten Säulenhalle im Nordosten des Hauses. Im Nordwesten entstand ein Einstützenraum mit Ziegelboden.

Links unten: Hölzerne Tiertränke mit Zulauf, nach Westen. Links oben: Mittelalterlicher Pferdestriegel. Rechts: Einstützenraum mit zentralem Pfeiler, nach Norden. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/C. Litschauer)

Die besonders auf die Familie Lebenau zurückgehenden Umbauarbeiten des 17. Jahrhunderts bestanden in erster Linie aus weiteren Aufstockungsarbeiten im Bereich eines neu geschaffenen dritten Obergeschoßes, aber auch aus der Verbesserung der Erschließung im Keller.

Das Josephinische Mietshaus entsteht

Nachdem das Gebäude vom Taschnermeister Anton Steinwalter erworben wurde, erfolgte durch den beauftragten Architekten Liborius Thaddäus Gerl (1735–1805) zwischen 1785 und 1789 schließlich der Umbau zu einem einheitlich vier Stockwerke umfassenden Mietshaus gehobenen Standards. Ein neues großes Treppenhaus führt seither in die oberen Etagen, wo jeweils drei große und ein bis zwei kleine dunkle Wohnungen eingerichtet wurden. Die gutbürgerlichen Wohnungen verfügten bereits über drei bis vier mit Kachelöfen beheizte Räume und eine Küche, die acht kleinen lediglich über zwei dunkle Zimmer. Im gewerblich genutzten Erdgeschoß erinnert eine mehrgliedrige steinerne Abwasserrinne mit Zulauf an den insgesamt gehobenen Anspruch der Bewohner.

Links: Ausschnitt aus der Vogelschau des Joseph Daniel von Huber (1769–1773, gedruckt 1778) mit dem Haus Rabensteig 3. Rechts: Josephinische Abwasserrinne, nach Süden. (Druck: Wien Museum, Foto: Stadtarchäologie Wien)

Durch das infolge der Erbauung des benachbarten Stadttempels veränderte Straßenniveau und dem Abbruch des Katzensteigtors 1825 musste das Fußbodenniveau im renaissancezeitlichen Einstützenraum um knapp einen Meter angehoben werden. Damit war der ältere Kellerabgang im Westen aufzugeben und ein neuer steiler Abgang entstand im südlichen Gebäudeteil.
Weitere verhältnismäßig geringfügige Umbaumaßnahmen des 19. und 20. Jahrhunderts sind häufig auf die ansässigen Gewerbetreibenden zurückzuführen und beschränkten sich ebenfalls hauptsächlich auf das Erdgeschoß. Als eindrucksvolle Relikte dafür fanden sich im Norden des Hauses massive Ofenfundamente und Reste von zum Teil noch verrußten Ziegelfußböden, die eine 1836/37 hier eingerichtete Bäckerei belegen.
Insgesamt jedoch wurden Grundriss und Raumaufteilung seit 1789 kaum mehr verändert.

Datum: 20.09.2021 | Autorin: C. Litschauer

Literatur

  • Constance Litschauer, Wien 1, Rabensteig 3. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 18, 2015, S. 259–266.
  • Constance Litschauer, Wien 1, Rabensteig 3. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 17, 2014, S. 234–237.
  • Paul Mitchell, Rabensteig 3. Untersuchung eines Hauses im Herzen Wiens. In: Günther Buchinger/Friedmund Hueber (Hrsg.), Bauforschung und Denkmalpflege. Festschrift für Mario Schwarz, Wien/Köln/Weimar 2015, S. 239–258.