Adresse: Rennweg 52, Wien 3
Anlass: Neubau | Grabungsjahr: 2016
Zeitstellung: Römerzeit, Neuzeit

Historischer Kontext

Entlang des Rennwegs, der in etwa dem Verlauf der antiken Limesstraße Richtung Carnuntum entspricht, entwickelte sich die römische Zivilsiedlung, welche vom Ende des 1. bis ins mittlere 3. Jahrhundert bestand. Hier reihten sich die typischen langgestreckten Streifenparzellen, die straßenseitig verbaut waren und im hinteren Hofbereich zumeist mit Werkplätzen, Öfen, Brunnen und Latrinen ausgestattet waren.
Nach dem Ende der römischen Besiedelung verfielen die Bauten. Seit dem Mittelalter wurde das Gebiet vorwiegend landwirtschaftlich genutzt. Im Jahr 1812 ließ der Baumeister Josef Meissl der Jüngere (1768–1817) für sich ein Haus mit Garten auf der Parzelle errichten, das 1829/30 durch Stallungen und eine Selchküche erweitert wurde. Spätestens 1846 handelte es sich bei dem Anwesen um ein Mietzinshaus mit Werkstätten. Von 1889 bis 1924 war das Gebäude Teil der Munitionsfabrik der G. Roth AG, danach ist bis 1938 die Zentrale der Firma Herlango AG und die AGFA-Photo GesmbH an der Adresse Rennweg 52 nachzuweisen, ehe hier bis 2014 die Niemetz-Süßwarenfabrik ihren Standort erhielt.

Das Grundstück Rennweg 52 mit der 2014 noch bestehenden Verbauung: Oben der Trakt am Rennweg, unten das Fabrikationsgebäude an der Aspangstraße. Rechts die Parzelle während der Grabungskampagne 2016, Blickrichtung Südwesten (Aspangstraße). (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen

Römerzeitliche Siedlungsbefunde

Untersucht wurden die nicht unterkellerten Bereiche der Parzelle, dies betraf den Einfahrtsbereich des Vorgängerbaus am Rennweg und die etwa mittig auf dem Grundstück gelegenen ehemaligen Höfe. Oft bereits knapp unter dem heutigen Gehniveau kamen die Überreste von insgesamt vier römerzeitlichen Streifenhausparzellen zum Vorschein. Dem überaus reichhaltigen Fundmaterial ist zu entnehmen, dass das Areal vom Ende des 1. Jahrhunderts bis spätestens in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts besiedelt war.

Überblicksplan mit den römerzeitlichen Befunden der archäologischen Untersuchung im Jahr 2016. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Phase 1–2: Holzbauten und Grubenkomplexe
Von der frühen Bebauungsphase haben sich vorwiegend Balkengräbchen erhalten, die jedoch von der nachfolgenden Nutzung massiv gestört waren. In welche Periode drei römische Ofenanlagen nahe des Rennwegs gehören, ist nicht gesichert. Ihre Lage unmittelbar auf dem anstehende Humus sowie ein As des Kaisers Claudius innerhalb der Lehmziegelwand eines der Öfen deuten eher auf eine Frühdatierung.
Die folgende Phase ist durch die massive Zunahme an unterschiedlich großen und einander schneidenden Gruben/Vertiefungen in den rückwärtigen Streifenhausbereichen fassbar. Nach der Münzreihe zu schließen dürften sie etwa zur Zeit der Markomannenkriege verfüllt worden sein.

Balkengräbchen eines Holzgebäudes der ersten Bauphase und verfüllte Grubenkomplexe der zweiten Bauphase. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Bauphase 3
Von der letzten und am besten rekonstruierbaren Ausbauphase haben sich Mauerausrissgräben, teilweise noch mit Fundamentrollierungen, erhalten. Die entsprechenden Gebäude waren mindestens 25 m lang. Bei einem Haus konnte auch die Breite von 8,90 m ermittelt werden. Es war mit einem Lehmstampfboden sowie einer Ofenanlage ausgestattet. Die Parzellen/Gebäude waren entweder durch einen schmalen Gang oder durch geschotterte, mindestens 2,30 m breite Wege voneinander getrennt.
In den rückwärtigen Hofbereichen konnten insgesamt vier ursprünglich wohl holzverschalte oder einfach in den anstehenden Löss gesetzte Brunnen dokumentiert werden. Tiefe Gruben/Schächte im abgelegeren Bereich jeder Parzelle sind wohl als Latrinen zu interpretieren.
Deutlich andere Merkmale zeigte die östlichste der erfassten Parzellen. Im hintersten Raum des Gebäudes befand sich etwa eine Grube mit einem rechteckig angelegten Gräbchen, welches von einem kastenförmigen Holzeinbau zeugt – eine kellerartig in den Boden gesetzte Vorratskammer? Und im Gegensatz zu den anderen Parzellen war diese im hinteren Bereich durch eine Mauer, die nur mehr als Ausrissgraben vorhanden war, mit südlich anschließendem Sohlgraben begrenzt. Klare Indizien für die Nutzung dieses Grundstücks liegen leider nicht vor.

Befunde der letzten fassbaren Bauphase: Ofenanlage und Latrine. Balkengräbchen einer hölzernen Struktur innerhalb einer großen Grube und Mauerausriss mit flankierenden Gruben der östlichsten Parzelle. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Fundmaterial
Das Fundmaterial bestand aus insgesamt 18 Münzen (von Claudius bis Septimius Severus), großen Mengen an Gebrauchskeramik, Terra Sigillata und Feinware. Zahlreiche Bein- und Bronzenadeln, verschiedenste Metallobjekte, zwei kleine inschriftlose Hausaltärchen und gestempelte Ziegel konnten geborgen werden. Auch Tierknochen waren überaus zahlreich. Als besonders bemerkenswerte Fundstücke sind eine Pantherfibel mit Glaspasteneinlage und das Fragment eines Medaillons mit der Darstellung eines Silens samt zugehörigem Model anzuführen. Des Weiteren Gesichtsgefäße, eine Reibschale mit Stempeln des Latinus und der legio XIII gemina Martia victrix sowie ein Terra-Sigillata-Bodenstück mit dem Graffito VLPIA CRISPINA, vielleicht eine Bewohnerin dieser Gebäude.

Medaillonfragment eines Silens samt zugehörigem Model, Fragment eines Gesichtsgefäßes und bronzene Pantherfibel mit Glaspasteneinlage. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/N. Piperakis, Ch. Ranseder)
Neuzeit

Während der Grabungen wurden zahlreiche Fundamentmauern der Liegenschaft des 19. Jahrhunderts dokumentiert. Es handelte sich dabei einerseits um Mischmauerwerk, andererseits um Ziegelmauern, wobei hier die Ziegelzeichen der 1883 gegründeten Firma Gebrüder Nell & Bisenius (GN&B) sowie der ab 1886 nachgewiesenen Hennersdorfer Ziegelei Müller (MH) angetroffen wurden. Die Ziegel dürften also aus den Mauern des 1889 erfolgten Fabrikzubaus der Firma G. Roth AG stammen.

Datum: 11.4. 2022 | Autor: M. Mosser

Literatur (Auswahl)