Adresse: Rennweg 73, Wien 3
Anlass: Neubau | Grabungsjahr: 2015, 2016
Zeitstellung: Römerzeit, Neuzeit

Historischer Kontext

Dieser Abschnitt des Rennwegs zählt zum Kernbereich der römischen Zivilsiedlung, welche vom Ende des 1. bis ins mittlere 3. Jahrhundert bestand. Entlang des Rennwegs, der in etwa der antiken Limesstraße Richtung Carnuntum entspricht, reihten sich die typischen langgestreckten Streifenparzellen, die straßenseitig verbaut waren und im hinteren Hofbereich für Werkplätze, Öfen, Brunnen und Latrinen genutzt wurden.
Nach dem Ende der römischen Besiedelung verfielen die Bauten. Seit dem Mittelalter wurde das Gebiet vorwiegend landwirtschaftlich genutzt. Erst 1790 wird das Areal des Grundstücks wieder bebaut. Es entstand ein zweigeschoßiges Wohn- und Verwaltungshaus mit Mitteleinfahrt und hofseitigen Nebenbauten für die Herstellung chemischer Produkte. Auf der nördlich anschließenden Parzelle hatte eine k. k. privilegierte chemische Fabrik ihren Standort. Unter der Familie Seyschab wurden beide Betriebe vereint. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt die Fabrik als größte chemische Warenfabrik in Österreich. Produziert wurden hier Säuren, Salze, Farben, raffinierter Weinstein und Pottasche aus Seifensiederlauge. Ab 1844 kam es zu anderen Nutzungen zunächst als Roßhaarfabrik, später als Wagen- und Futterremise inklusive Schmiede, welche sich im 20. Jahrhundert der Zeit entsprechend in eine Garage für Benzinautomobile wandelte. Vor Beginn der Ausgrabung wurden die Gebäude abgebrochen.

Das Grundstück Rennweg 73 nach Abbruch des Hauses zur Zeit der ersten Grabungskampagne 2015 im Nordteil der Parzelle. Blickrichtung Nordosten. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen

Überblicksplan mit den römerzeitlichen Befunden der archäologischen Untersuchungen in den Jahren 2015 und 2016. (Plan: Stadtarchäologie Wien)
Römerzeitliche Siedlungsbefunde

Innerhalb der Grabungsflächen konnten die Überreste zweier römischer Hausparzellen dokumentiert werden, die durch eine Art Zaun, der sich als durchgehendes Gräbchen zeigte, abgetrennt waren. Diese Parzellen waren zur Limesstraße hin verbaut, wobei sich an der Straßenfront wohl ein Geschäftslokal oder eine Werkstatt befand.

Phase 1 – Der Fachwerkbau
Auf der Westparzelle stand ein Gebäude mit Lehmstampfböden und Fachwerkmauern. Darin befanden sich zwei Vorratsgruben, wobei die größere einen treppenartigen Abgang besaß. Ein annähernd birnenförmiger Ofen mit Boden aus Teilen/Bruchstücken von Plattenziegeln sowie eine muldenförmige Feuerstelle gehörten ebenso zur Ausstattung des Hauses. Nur mehr geringe Bebauungsspuren wie Gräbchen, Lehmstampfbodenreste, eine Grube mit großem Stein sowie Reste eines Ofens konnten auf der Ostparzelle dokumentiert werden.

Das Gebäude der Westparzelle mit Lehmstampfböden und zwei Vorratsgruben, jene im Vordergrund mit einem treppenförmigen Abgang, sowie einer Feuerstelle und einem Ofen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Am Ende von Phase 1 bzw. zu Beginn von Phase 2 wurden die bestehenden Gruben verfüllt und die Feuerstellen/Öfen einplaniert. Das Fundmaterial aus den Planierschichten spricht für die Aufgabe der Bauten von Phase 1 spätestens nach dem dritten Viertel des 2. Jahrhunderts n. Chr.

Datierendes Fundmaterial aus der Verfüllung der Grube mit treppenartigem Abgang: Zwei Wandfragmente einer reliefierten Terra-Sigillata-Schüssel aus Lezoux, welche aus der Werkstatt des Butrio stammt (120–145 n. Chr.). Terra-Sigillata-Schale aus Lezoux mit Töpferstempel des Paullus (140–190 n. Chr.). Sekundär verbrannte Schüssel mit Dreiecksrand (1. Hälfte 2. Jahrhundert). (Fotos: Stadtarchäologie Wien/S. Czeika, Ch. Ranseder)

Phase 2 – Gebäude mit Steinfundamenten und Querstraße
Eine Neuerung in Phase 2 stellte die Anlage einer Querstraße zur Limesstraße in Form eines Kies-Schotter-Paketes ganz im Westen der Grabungsfläche dar. Anhand der erhaltenen Spurrinnen kann die Straßenschotterung auf ursprünglich etwa 2,50 m Breite rekonstruiert werden.

Das Gebäude auf der Westparzelle in Phase 2 mit Steinfundamenten und der westlich anschließenden Straße. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Das neue Gebäude mit einer Breite von rund 7,30 m und einer Tiefe von mindestens 26 m war auf Stein- und Lehmziegelfundamenten errichtet worden. Zur Vorratshaltung und Haushaltsführung gehörten eine rechteckige Kellergrube mit einer Größe von etwa 9 m2 und ein annähernd runder Ofen mit Ofenplatte aus Steinen.
Von der Ostparzelle konnten im Süden lediglich zwei Gruben sowie eine kleinflächige Schotterlage dokumentiert werden. Im Nordteil beider Parzellen zeigten sich mehrere, zum Teil sehr große Gruben, die wohl ursprünglich der Materialentnahme dienten, Gruben mit senkrechten Wänden könnten auch zur Vorratshaltung benutzt worden sein. Auf der Westparzelle fanden sich außerdem ein Brunnen sowie zwei wohl als Latrinen genutzte Schächte.
Die Nutzung dieses Bereichs der römischen Zivilsiedlung lässt sich bis ins erste Drittel des 3. Jahrhunderts nachweisen.

Die grünlich verfärbten Wände des Schachtes links oben sprechen für eine Verwendung als Latrine. Grubenkomplex im Nordteil der Westparzelle, Blickrichtung Osten: Bei den dunklen, sich nicht scharfkantig abzeichnenden Verfärbungen handelt es sich um Grubenverfüllungen, die zahlreiches römerzeitliches Fundmaterial, wie etwa Haushalts- und Vorratskeramik, enthielten. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Fundfotos Ch. Ranseder)
Vom Mittelalter bis in die Neuzeit

Die Schichten der nachrömischen Phasen sind eher spärlich und oft nicht genauer zuordenbar. Mit der Bebauung ab dem Jahr 1790 wird auch Fundmaterial wie Steinzeug, glasierte Keramik und Graphittonkeramik fassbar, welches gut zur Errichtung der ersten Gebäude passt.
Ein besonderes Fundstück stellt eine goldene Haarnadel dar. Ihr Kopf ist aus Goldblech gearbeitet und mit einer Tülle auf den bronzenen Schaft gesetzt. Es handelt sich um eine Haarnadel im archäologisch-historisierenden Stil des 19. Jahrhunderts, welcher etruskische und griechische Stilelemente zu einem neuen Produkt vereint. Möglicherweise stammt das Stück von Alessandro Castellani, einem bekannten Goldschmied, der ab Anfang der 1860er Jahre eine Werkstatt in Neapel hatte. Wie die Nadel nach Wien kam und hier auf dem Grundstück am Rennweg verloren wurde, bleibt ein Geheimnis. Vielleicht hat jemand sie als Souvenir oder als Geschenk aus Italien mitgebracht oder sie wurde in Zusammenhang mit der Weltausstellung 1873, wo auch Castellani zu den Ausstellern zählte, erworben.

Auf dem Grundstück verlorengegangene goldene Haarnadel aus dem 19. Jahrhundert. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Ch. Ranseder)

Dieses und andere Fundobjekte der römischen Besiedlungszeit sind im Foyer des als Hotel konzipierten Neubaus ausgestellt.

Datum: 6.4. 2022 | Autorinnen: K. Adler-Wölfl, H. Krause, Ch. Ranseder

Literatur (Auswahl)