Adresse: Perchtoldsdorfer Straße 6, Wien 23
Anlass: Errichtung eines Neubaus | Grabungsjahr: 2014
Zeitstellung: Mittelalter, Neuzeit
Historischer Kontext
Das unweit des Liesinger Platzes gelegene Schloss Liesing ist von einem Park umgeben. Das ausgedehnte Grundstück, das innerhalb des Talausgangs des ursprünglich nicht regulierten Liesingbachs situiert ist, wird heute von der Perchtoldsdorfer Straße, der Haeckelstraße und der Josef-Kutscha-Gasse begrenzt. Seine Anfänge reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück.
1435 wurde bereits ein „Hausgraben“ genannter Bau in Oberliesing erwähnt. Diese Nennung bezieht sich auf den Standort des späteren Schlosses. Das Wiener Augustinerchorherrenstift St. Dorothea besaß die Liegenschaft – mit kurzen Unterbrechungen – ab dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts bis 1788. Nach dem Einfall der Osmanen 1529 sei das Anwesen 49 Jahre lang öd gewesen. Offensichtlich war das Haus als Zentrum der Herrschaft aber schon zuvor zu einem Gutshof ausgebaut worden. Um 1613 wurde der bauliche Zustand der mit einer Ringmauer und einem Wassergraben umgebenen Anlage immer noch als schlecht eingestuft.
Der Gutshof wurde während der zweiten osmanischen Belagerung von 1683 in Brand gesetzt. In den Jahrzehnten danach erfolgte schließlich der Ausbau zum Schloss. Der Architekt und Bildhauer Matthias Steinl war mit der Planung eines neuen Trakts im Jahr 1717 beauftragt worden.
Aus einem Inventar von 1782 erfahren wir mehr über verschiedene Gebäude und Räumlichkeiten: Neben dem Torturm, einer Hauskapelle und einem großen Saal verfügte das Schloss über zahlreiche Zimmer, Meierstube, Stallungen, Stadl und Kasten.
Nach Auflösung des Dorotheerstiftes 1788 wechselten die Besitzer häufig. 1876 wurde die Liegenschaft schließlich von der Gemeinde Wien erworben, die das Schloss zuerst als Versorgungshaus und zuletzt als Geriatriezentrum nutzte. Mit dem Bau eines neuen Pflegewohnhauses 2013 im nördlichen Schlosspark wurde das alte Gebäude veräußert, saniert und einer Nutzung als Schul- und Wohnhaus zugeführt.
Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen
Spätmittelalterliche Umfassungs- bzw. Grabenfuttermauer
Das älteste aufgedeckte Objekt war ein von Norden nach Süden zuerst bogenförmig und ganz im Süden der Grabungsfläche gerade verlaufender Überrest einer Bruchsteinmauer, die als Umfassungs- bzw. Grabenfuttermauer gedient haben dürfte. Sie folgte weitgehend dem Verlauf des westlich von ihr gelegenen Wassergrabens, reichte bis in das Grundwasser hinunter und umgab seinerzeit bereits ein Gebäudeensemble. Im gekrümmten Bereich bestand die 0,70–0,80 m starke Mauer aus größeren, lagerhaft versetzten Steinen, wobei Zwickelsteine kaum vorhanden waren.
Der südliche, gerade Abschnitt von etwas geringerer Stärke dürfte aufgrund der Mauerwerkstechnik jünger einzustufen sein. Hier zeigten sich in einem tiefer gehenden Schnitt ein Fundamentvorsprung und Reste dreier Holzpiloten sowie eines Holzbrettes, die zu einem Steg oder einer zusätzlichen Uferbefestigung gehört haben könnten. Die dendrochronologische Untersuchung ergab, dass der letzte messbare Jahresring zweier Pfähle aus dem Jahr 1699 bzw. 1708 stammt. Diese Hölzer bestätigen das Bestehen der Mauer als Grabenfuttermauer zu jener Zeit.
Aufgrund der Mauerwerksstruktur und der verwendeten Baumaterialien ist für den nördlichen Abschnitt eine Datierung vom Ende des 13. Jahrhunderts bis ins 14. Jahrhundert anzunehmen. Der südliche Teil wird wohl aufgrund des netzartigen Charakters des Mauerwerks – große Steine sind umgeben von kleineren Zwickelsteinen – frühestens im 15. Jahrhundert entstanden sein. Eine deutliche Baunaht zwischen den unterschiedlich ausgeführten Partien war nicht festzustellen. Die Mauer wurde zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt in ihrem oberen Bereich abgetragen, entweder während der Errichtung der jüngeren Umfassungsmauer oder gleichzeitig mit ihrer Demolierung.
Eine jüngere Umfassungsmauer
Östlich der älteren Mauer verlief weitgehend parallel in einem Abstand von ca. 1,80 m eine weitere ähnlich dimensionierte Mauer. Sie wies jedoch keine sehr tiefe Fundamentierung auf. Im nördlichen und südlichen Bereich war sie gebäudeseitig durch schwach dimensionierte Stützpfeiler verstärkt. Als Baumaterial kamen vorwiegend Sandsteine kleinen Formats und wenige Ziegel zum Einsatz. Die Struktur erwies sich als stark ausgezwickelt bzw. netzartig, teilweise waren Partien erneuert worden.
Die Errichtung auf schottrig-lehmigen Aufplanierungen dürfte aufgrund der Datierung eines unter der Mauer geborgenen Keramikfragments nicht vor dem 15. Jahrhundert erfolgt sein. Die Mauerwerksstruktur und die Ziegelformate sprechen für eine neuzeitliche Datierung, wohl am ehesten in das 17./18. Jahrhundert, als das Anwesen zu einem Schloss ausgebaut wurde.
Die Nutzung als Versorgungshaus (ab 1877)
Erst kurz vor Beginn der Ausgrabung wurde auf der zu bebauenden Fläche ein am Westtrakt anschließender Anbau aus der Versorgungshauszeit abgebrochen. Seine Fundamente aus der Zeit um 1877 waren noch vorhanden. Er beherbergte eine Speisekammer, ein Treppenhaus und eine WC-Anlage, deren „einschlägige“ Reste sich noch in Form von Abwasserrohren fanden. Infrastrukturelle Objekte wie Kanäle, Brunnen und Sickerschächte konnten ebenso dokumentiert werden. Zwei weitere Anbauten jüngeren Datums befanden sich weiter im Norden.
Zwei Gruben enthielten zahlreiche Funde, darunter zerscherbte wie komplette Keramik-, Porzellan- und Glasgefäße sowie baukeramische Fragmente. In einer der Gruben befand sich auch Material aus der Zeit vor der Nutzung als Versorgungshaus, was für eine längere Verwendung der Grube zur Abfallentsorgung spricht.
Datum: 23.3. 2022 | Autorinnen: H. Krause, I. Gaisbauer
Literatur (Auswahl)
- Heike Krause mit einem Beitrag von Ingeborg Gaisbauer, Die Ausgrabung in Wien 23, Schloss Liesing. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 18, 2015, S. 100–137. (PDF 15 MB)