Datum: 18.06.2019 | Autorin: Ingeborg Gaisbauer
Fundort: Wien 1, Judenplatz | Zeitstellung: Spätmittelalter

Auf den zweiten Blick entpuppte sich besagtes Fragment als Bruchstück eines alchemistischen Destillierhelms, eines sogenannten Alembik. Alchemistische Keramik aus Wien ist nicht gerade ein alltägliches Gut, eine genauere Betrachtung schien also angesagt.

Fragment eines Destillierhelms, gefunden am Judenplatz (Wien 1). (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Alchemie – ein kleiner Exkurs

Zuerst in der byzantinischen und der islamischen Welt praktiziert, machen ab dem 12. Jahrhundert entsprechende Übersetzungen alchemistische Lehren auch dem westlichen Hochmittelalter zugänglich. Dennoch dauerte es bis ins 15. Jahrhundert, dass alchemistische Werke – Dank der Erfindung des Buchdrucks – allgemeinere Verbreitung fanden.
Unter den frühen Übersetzungen aus dem Arabischen haben wir das lateinische Traktat „clavis sapiente“ eines gewissen Artefius, der bisher noch nicht näher identifiziert werden konnte. Im 14. Jahrhundert wurden dieser Schrift nicht nur Rezepte, sondern auch Skizzen der benötigten Geräte beigefügt. Neben diversen auch aus heutiger Sicht recht praktisch anmutenden Versuchsanordnungen und Prozessen, war eines der zentralen Elemente der Alchemie die Metallumwandlung und „Läuterung“ bis hin zur Vorstellung der Heilung (umgelegt auf den menschlichen Köper) im weitesten Sinne. Somit wird der sprichwörtliche und berühmte Stein der Weisen auch gleich zum Allheilmittel. Wenn wir schon dabei sind: Was ist der Stein der Weisen eigentlich? Modern ausgedrückt könnte man den Stein der Weisen als Katalysator bezeichnen – eine Substanz die Umwandlungsprozesse auslöst. Das fabelhafte Ziel war dabei natürlich die Verwandlung mäßig edler Metalle in Gold. Die Idee dieser Substanz, die man sich vermutlich nicht unbedingt als Stein, sondern mehr als Pulver vorstellte, scheint schon in hellenistischen Texten unter der Bezeichnung „Xerion“ Erwähnung zu finden.

Der Alembik – Form und Verwendung

Wie der Name Destillierhelm schon sagt, ist der Alembik Teil einer Abfolge von Hohlformen, die bei verschiedenen Destillierprozessen Verwendung finden. Er wird wie eine Kuppel auf dem Hals eines Kolbens (cucurbita) plaziert. Durch das Erhitzen während des Destillierprozesses steigt Dampf auf, kondensiert an den Wänden dieses Helms und sammelt sich schlußendlich in der umlaufenden Rinne. Aus der Rinne fließt das Destillat durch den Schnabel (rostrum) in die Vorlage (receptaculum). Zumeist läuft der Alembik unten in einen zylindrischen Hals aus, der das Aufsetzen auf dem Kolben vermutlich erleichtert. Im Falle unseres Bruchstücks bildet die Auffangrinne allerdings auch schon den Abschluss der Form.
Der Alembik kann zwar gelegentlich auch in der sehr gehobenen Küche Verwendung finden, ist zumeist aber eindeutig mit alchemistischen Tätigkeiten verbunden.

Vergleichsfunde

Eine gute Zusammenstellung von Materialkomplexen findet sich im Rahmen einer Aufarbeitung der Fundstelle Ringelhof in Basel. Hier zeigt sich, daß die meisten gesicherten Komplexe mit alchemistischen Zubehör ins 15. bis 17. Jahrhundert datieren. Das 12./13. Jahrhundert läßt vollkommen aus und auch für das 14. Jahrhundert liegen nur wenige Funde vor. Ein Grund dafür könnte sein, dass man vor dem 15. Jahrhundert noch mit den Formen experimentierte, was selbige weniger eindeutig erscheinen läßt. Möglicherweise entgeht uns hier das eine oder andere Werkzeug alchemistischer Betätigung, da wir es schlicht und einfach als solches nicht erkennen und uns der Luxus eines einigermaßen geschlossenen eindeutigen Komplexes zumeist fehlt. Man darf nicht außer Acht lassen, dass sich gelegentlich auch ganz banale Hauhaltskeramik in die Alchemistenküche verirrt. So wurden zum Beispiel einfache Lampen ob ihrer flachen, schüsselartigen Form gerne als Probierschalen zweckentfremdet. [1] Die Rückstände, die dann zurückbleiben, machen das zumindest bei gut (vollständig) erhaltenen Exemplaren klar erkennbar. [2]
Eines der wenigen, ins 14. Jahrhundert datierenden Beispiele stammt aus dem Louvre, aus einer Abfallgrube des Klosters St.-Nicolas, die über gut zwei Jahrhunderte verwendet worden sein dürfte. Ein prominentes und auf Grund der Nähe noch relevanteres Beispiel ist das Alchemistenlaboratorium von Oberstockstall aus dem 16. Jahrhundert. In beiden Fällen ist ein hoher Prozentsatz von gläsernen Gefäßen zu vermelden. Glas wurde offenbar für die feineren Prozesse bevorzugt – aus Gründen der Beständigkeit wird der Kolben durchaus aus Keramik gefertigt, der Alembik und die Vorlage hingegen sind meist aus Glas.

Keramik in der gesamten Zusammenstellung der Destilierkolonne wird eher mit dem Destillieren von „schwerflüchtigen Substanzen“ in Verbindung gebracht, bzw. dann eingesetzt, wenn die Form starken Temperaturschwankungen ausgesetzt gewesen ist. Das könnte auch einer der Gründe dafür sein, dass eher der Kolben aus Keramik bestand, als der Alembik. Bei Agricola findet sich im 16. Jahrhundert. zum Beispiel der Hinweis, daß keramische Destilliergefäße beim Trennen von Gold und von Silber Verwendung fanden.
Nichtsdestotrotz sind also auch – abhängig vom Arbeitsvorgang und weitaus seltener – keramische Alembike einzuberechnen. Das macht das vorliegende Stück, schon auf Grund des Seltenheitswertes, noch beachtlicher.

Zur Datierung des Alembiks vom Judenplatz

Abgesehen von dem Muster an Datierungen, das die Vergleichfunde einem aufdrängen, ist es beachtlich, daß sich das Fragment vom Judenplatz recht genau wiedergegeben in einer Skizze des 14. Jahrhundert findet. Es handelt sich dabei um jene Skizze von Zubehör, die dem „clavis sapiente“ hinzugefügt wurde. [3] Interessant ist, dass sich auch auf Burg Scheidegg/ Kanton Baselland ein vergleichbarer Alembik aus dem 14. Jahrhundert findet.
Als genaue Datierung darf man das vermutlich zwar nicht verstehen, da der Alembik an sich zwar in verschiedenen Varianten auftritt, dann aber als Form ganz generell spätestens ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr großen formalen Veränderungen unterworfen gewesen sein dürfte. Da beide Parallelen dem 14. Jahrhundert zuzuordnen sind und das begleitende Fundmaterial dem nicht wiederspricht, sei mit einiger Vorsicht eine Datierung 14./15. Jahrhundert angedacht.

[1] Peter Kurzmann, Aus der Küche ins alchemistische Laboratorium. Die Entwicklung alchemistischer Gefäße, Archaeologie Online 11.04.2008, Abb. 12. https://www.archaeologie-online.de/artikel/2008/alchemistische-gefaesse/
[2] Pia Kamber, Ein «Alchemistenlabor» aus dem 13. Jahrhundert. In: Mittelalter. Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins, 3. Jahrgang 1998/4, 69–78, bes. 73. http://www.burgenverein.ch/publikationen/pdf/1998_4_Mittelalter.pdf
[3] Dies., ebd. 74.