Datum: 22.09.2021 | Autorin: Christine Ranseder
Fundort: Wien 17, Hernalser Hauptstraße 62 | Zeitstellung: Spätes 15. bis 1. Drittel 16. Jahrhundert

Ein kleines, aus dünnem Blech gefertigtes Ornament wurde im Keller des Hauses Hernalser Hauptstraße 62 aus einer Brandschicht geborgen. Es war mit großer Wahrscheinlichkeit Teil des Besatzes eines Gürtels.

Klein, aber fein: Der größte erhaltene Durchmesser des Besatzstückes beträgt nur 20,5 mm, die Blechstärke 0,3–0,4 mm. Fundort: Hernalser Hauptstraße 62, Wien 17. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Ch. Ranseder)

Das runde, pausbäckige Gesicht wird von einem Kranz aus gezwirbelten Haarsträhnen umrahmt, der auf Stirnhöhe von dem zu einem Ohr geformten auslaufenden Ende des Überaugenwulstes unterbrochen wird. An ihrem anderen Ende gehen die beiden starken Überaugenwülste in eine schmale Nase, deren Spitze ein Loch aufweist, über. Die kugelig aus dem Blech getriebenen Augen werden von einer feinen, mandelförmigen Umrandung umfasst. Der Mund ist wellenförmig ausgeführt. Beiderseits der Nase zieht von der Oberlippe ausgehend je ein feiner Strich über die Wangen, der als Schnurrhaar gedeutet werden kann. Es dürfte sich also bei dem Motiv um den stilisierten Kopf eines Löwen handeln.
Die Befestigung am Lederriemen oder einer Borte erfolgte mittels einer Metallniete, die durch das Loch in der Nasenspitze gesteckt wurde.

Vergleichsbeispiele, der Befund und das Zeitgeschehen – das Haus brannte erstmals vermutlich während der Ersten Wiener Türkenbelagerung 1529 ab − legen für den Fund einen Datierungsrahmen vom späten 15. bis ins erste Drittel des 16. Jahrhunderts nahe.

Löwenköpfchen − Beliebt und weit verbreitet

Die kleinen Ornamente wurden nicht als Einzelstück verwendet, sondern in großer Zahl am Gürtel befestigt. Löwenköpfchen durften im beachtlichen Formenrepertoire des Gürtelbesatzes nicht fehlen. Kein Wunder, denn wer schmückt sich nicht gerne mit prestigeträchtigen Symbolen. Dem „König der Tiere“ schrieb man schließlich unter anderem Macht, Mut und Stärke zu.

Ein in der Ausformung des Gesichts und vor allen der Haarsträhnen mit dem Wiener Fund nahezu identes Besatzstück, das zu einem Gürtelfragment gehört, liegt aus dem Friedhof von Mohács-Cselepatak, Ungarn, vor und wird ins 15. Jahrhundert datiert. 1 Ein sehr ähnliches, um 1500 datierendes Zierstück aus Messingblech wurde bei Ausgrabungen auf dem ehemaligen Anwesen von Martin Luthers Eltern in Mannsfeld gefunden.2
Eindeutig um Löwenköpfe, aus deren Mäulern Ösen mit eingehängten Ringen ragen, handelt es sich bei Besatzstücken eines verschollenen Gürtels aus der ehemaligen Sammlung Figdor, den Ilse Fingerlin in ihrem Buch „Gürtel des hohen und späten Mittelalters“ abbildet und an das Ende des 15. Jahrhunderts datiert.3 Ein derart verzierter Gürtel schmückt die Hüften der Bronzestatue von Johanna der Wahnsinnigen (1479–1555) in der Innsbrucker Hofkirche.

Auch in Inventaren findet dieser hübsche Besatz Erwähnung. Im Verzeichnis der Besitztümer des Tiroler Zolleinnehmers Leonhard Brotlieb und seiner Gattin aus dem Jahr 1484 sind zwei „pörtl mit lewköpfl“ aufgelistet.

Zeig´ mir deinen Gürtel und ich sage dir, wer du bist

Den Bildquellen ist die Tragweise der Gürtel zu entnehmen. In der Männerkleidung trat nach der Mitte des 15. Jahrhunderts die ostentative Schmuckfunktion aufwändig gestalteter Leibriemen zugunsten der Zweckmäßigkeit in den Hintergrund. Für die Frauen hingegen spielte der Gürtel als zierendes Element der Bekleidung, Statussymbol und Bedeutungsträger weiterhin eine wichtige Rolle. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden die reich mit Besatz versehenen, langen Gürtel zumeist enganliegend auf der Höhe der natürlichen Taille getragen. Auch wohlhabende Wienerinnen folgten dieser Mode, wie das Porträt der Veronika Piesch − Gattin des Kaufmanns und Bürgermeisters von Wien (1514–1515) Friedrich (von) Piesch(en) − zeigt.

Weiterführende Informationen: Grabung Hernalser Hauptstraße 60–62

  1. Géza Fehér, Az 1949 – Évi Mohács-Csele-Pataki mentőásatás (Die Rettungsgrabung von Mohács-Csele-Patak im Jahre 1949). In: Archaeologiai Értesitö 82, 1955, S. 212–228 (dtd. 227 f.), Taf. 41,2e-f.
  2. Harald Meller (Hg.), Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators, Halle (Saale) 2009, S. 196 f., Abb. C 69 oben.
  3. Ilse Fingerlin, Gürtel des hohen und späten Mittelalters, München/Berlin 1971, S. 214, Kat.-Nr. 546, Abb. 564 und 565.