Alte Keller und römische Brunnen

AutorInnen: Dimitrios Boulasikis, Heike Krause, Martin Mosser, Susanne Stökl, Ullrike Zeger | Stand: 2.12. 2020

Als Vorarbeiten für den Bau der Linie U5 wurden nahe der künftigen U-Bahn-Station Frankhplatz Sicherungsmaßnahmen im Keller des Hauses Garnisongasse 1/Universitätsstraße 12/Frankhplatz 2 durchgeführt. Dabei konnten die entsprechenden Unterfangungen der Mauerfundamente archäologisch begleitet werden.

Dokumentationsarbeiten im Keller und historische Aufnahme des sogenannten Hosenträgerhauses von August Stauda, um 1900. (Foto links: Stadtarchäologie Wien/archnet Bau- und Bodendenkmalpflege Gmbh; Foto rechts: © Wien Museum)

Der Standort

Das heutige Wohn- und Geschäftshaus Garnisongasse 1 wurde vom Architekten Otto Wagner (1841–1918) nach eigenem Entwurf und auf eigene Kosten 1887/88 erbaut. Zeitgenossen verhöhnten es wegen seiner Fassadengestaltung auch als Hosenträgerhaus. Heute wird es als „Schlüsselbau in der Entwicklung des modernen […] Wiener Zinshauses der Jahrhundertwende“ bewertet.1
Das Gebäude entstand am Rand des weitgehend unbebauten Glacis, das erst infolge der zweiten osmanischen Belagerung im Jahr 1683 bis zu diesem Bereich auf 600 Schritt (450 m) ausgedehnt wurde. Davor gab es hier noch Häuser und Gärten. Für das freie Schussfeld vor dem Stadtgraben musste die Bebauung weichen. Nur hölzerne Gebäude und Zäune durften bestehen bleiben.2
In der römischen Antike erstreckte sich die Lagervorstadt (canabae legionis) bis in unmittelbare Nähe dieses Bereichs. Bekannt waren bereits die Spuren römischer Siedlungstätigkeit im Umfeld des Sigmund-Freud-Parks,3 eine darüber hinausführende Ausdehnung nach Westen zeigten erstmals die Grabungen 20184 und 2020 am benachbarten Frankhplatz. Die Sicherungsarbeiten an den Fundamenten des Hauses versprachen daher weitere Hinweise auf die historische Nutzung dieses Gebietes.

Ergebnisse der archäologischen Untersuchung

Bei den angetroffenen Strukturen im Bereich der Kellerfundamente handelte es sich um vier Gruben, die – aufgrund ihrer oft nicht einmal erreichten Unterkanten in 3 bis 4 m Tiefe vom heutigen Straßenniveau aus – wohl jeweils Brunnen gewesen sind. Zudem wurden im südlichen Kellerbereich eine Brandschicht sowie eine Kulturschicht festgestellt, die in Analogie zu den im Sommer/Herbst 2020 aufgedeckten Befunden am benachbarten Frankhplatz als Verfüllungen älterer Keller zu interpretieren sind.

Überblicksplan zu den Befunden in den untersuchten Kellerbereichen des Hauses Wien 9, Garnisongasse 1.

Römische Brunnen

Aus Brunnen 1 konnten viele römerzeitliche Objekte geborgen werden, deren zeitlicher Schwerpunkt im 2. Jahrhundert n. Chr. liegt.

Fragmente einer großen Reibschüssel aus dem späten 1. bis frühen 2. Jahrhundert n. Chr. und einer massiven Backplatte heimischer Produktion aus dem späten 2. Jahrhundert n. Chr. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/archnet Bau- und Bodendenkmalpflege GmbH)

Bemerkenswert innerhalb dieses Fundkomplexes ist die große Menge an römischen Dachziegelfragmenten (tegulae), von denen ein knappes Viertel Stempel aufweist. Die Stempel belegen die Herkunft der vorliegenden Stücke aus der Werkstatt des privaten Ziegelproduzenten Marcus Antonius Tiberianus, der ebenfalls im 2. Jahrhundert tätig war.

Dachziegelfragment mit Wischspur und Stempel des Marcus Antonius Tiberianus (2. Jahrhundert n. Chr.); Verfüllung von Brunnen 1 mit tegula in Fundlage. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/archnet Bau- und Bodendenkmalpflege GmbH)

Für eine Interpretation als Brunnenverfüllung spricht die Auffindungsposition der tegulae in senkrechter Lage, wie in einem schlammigen Untergrund stecken geblieben. Auch belegen die ungewöhnlich großen Scherben sowie der Datierungsrahmen von über 100 Jahren eine ungestörte Verfüllung über einen langen Zeitraum, wie es bei einem Brunnen der Fall sein kann.
Beachtung verdienen ferner kleinere Bruchstücke aus porösem Kalktuff, die den letzten Beweis für die Ansprache als Brunnen erbringen dürften: Die Steine weisen Schleifspuren auf, wie sie durch Seile entstehen. Zu einem gewissen Zeitpunkt sind die derart beanspruchten Steinflanken aus dem Gefüge gebrochen und auf den schlickigen Grund des Brunnens gefallen.
Das Fundspektrum des weiter im Süden gelegenen römischen Brunnens 2 deutet auf einen kürzeren Verfüllzeitraum hin.

Spätmittelalterliche bis neuzeitliche Brunnen und Keller

Ein weiterer Brunnen (Brunnen 3) enthielt neben verlagerter römischer Keramik vor allem spätmittelalterliches und frühneuzeitliches Fundmaterial. Ähnlich verhält es sich bei Brunnen 4, wobei hier die geborgenen Funde zeitlich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts reichen. Bemerkenswert ist jedoch, dass in keinem der bekannten historischen Pläne jener Zeit an dieser Stelle ein Brunnen verzeichnet ist. Aus seiner Verfüllung stammt ein polychrom glasierter Krug mit Applikendekor, ein Prunkstück renaissancezeitlicher Tafelkeramik! Vergleichbare Exemplare derselben Machart sind bereits aus Wien bekannt.5 Unser Krug weist zwar flächige Abplatzungen der Glasur auf, erhalten sind aber noch die Kopfbedeckung und Teile des Gesichts einer Figur.

Renaissancezeitlicher, polychrom glasierter Krug mit Applikendekor. (Foto: Stadtarchäologie Wien/archnet Bau- und Bodendenkmalpflege GmbH)

Ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammen die Fragmente von polychrom glasierten Blattkacheln und eine grün glasierte Blattkachel mit ungewöhnlichem Motiv: Zu sehen sind zwei nebeneinanderstehende Edelmänner, die sich mit der Hand in einer erstaunten Geste an den Kopf greifen.

Polychrom glasierte Blattkacheln und eine grün glasierte Blattkachel mit Darstellung zweier Edelmänner, 16. Jahrhundert. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/archnet Bau- und Bodendenkmalpflege GmbH)

Neben den Brunnen konnten auch andere aufschlussreiche Befunde aufgenommen werden. Eine 50 cm starke Kulturschicht lag allem Anschein nach an der Sohle eines Kellers, der sich unterhalb eines Vorstadtgebäudes befunden haben dürfte. Möglicherweise könnte die nördlich davon gelegene, klar abgegrenzte Brandschicht, die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Keramik enthielt, auf ein Brandereignis hindeuten. Ob dieses im Zusammenhang mit der ersten Belagerung der Osmanen 1529 stand oder eine andere Ursache hatte, bleibt offen.

Anmerkungen:

  1. Eva-Maria Orosz, Miethaus, 1887, Wien 9., Garnisongasse 1/Universitätsstraße 12. In: Andreas Nierhaus/Eva-Maria Orosz (Hrsg.), Otto Wagner. 418. Sonderausstellung des Wien Museums, 15. März bis 7. Oktober 2018, Wien 2018, S. 262.
  2. Gerhard Reichhalter, Der weitere Ausbau der Festung. In: Sylvia Sakl-Oberthaler et al., Von der mittelalterlichen Stadtmauer zur neuzeitlichen Festung Wiens. Historisch-archäologische Auswertung der Grabungen in Wien 1, Wipplingerstraße 33–35. Monografien der Stadtarchäologie Wien 9, Wien 2016, S. 195.
  3. Michaela Kronberger, Siedlungschronologische Forschungen zu den canabae legionis von Vindobona. Die Gräberfelder. Monografien der Stadtarchäologie Wien 1, Wien 2005, S. 37 f. Taf. 11–12.
  4. Martin Mosser, Archäologische Voruntersuchungen im Umfeld der künftigen U-Bahn-Station Frankhplatz (Wien 9). In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 22, 2019, S. 186.
  5. Ortolf Harl (Hrsg.), Keramische Bodenfunde aus Wien. Mittelalter – Neuzeit. Katalog der Museen der Stadt Wien, Wien [1982], S. 156 Kat.-Nr. 225 Abb. 12.