AutorInnen: Dimitrios Boulasikis, Heike Krause, Martin Mosser, Ullrike Zeger | Stand: 14.07.2020

Historischer Hintergrund

Das Haus Garnisongasse 11/Rotenhausgasse 10 wurde 1897 für den chirurgische Artikel herstellenden k.u.k. Hoflieferanten Joseph Odelga errichtet.1 Es befindet sich im Bereich der Vorstadt vor dem Schottentor, die seit dem Hochmittelalter bestand. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts lassen sich Namen der Besitzer von vier Häusern samt Gärten auf dem einstigen trapezförmigen Areal nachweisen, das heute in etwa die Garnisongasse 5–11, Rotenhausgasse 6–10 und Frankgasse 6–10 umfasst. Der Steinhausen-Plan von 1710 zeigt an ihrer Stelle im Westen einen langgestreckten vierflügeligen Bau und weitere Nebengebäude, wobei an den östlichen langschmalen Flügel der barocke Garten anschloss, auf dem das spätere Haus Odelgas errichtet wurde.2 Seit 1702 gehörte das Anwesen dem Reichshofrat Michael Achaz von Kirchner, der es wiederum 1712 an den Fürsten Paul Esterházy veräußerte. Bis 1825 blieb der Komplex in den Händen dieser Familie. Ab 1770 wurde das Gebäude im Westen „Rotes Haus“ genannt, von dem die spätere Gasse ihren Namen erhielt. Bereits 1761/62 errichtete Paul Anton Fürst Esterházy im Bereich des einstigen Gartens eine Reitschule in Form eines langen, freistehenden Gebäudes, deren nördlicher Teil auf der Parzelle des späteren Hauses lag. Ab 1802 kam es zu umfangreichen baulichen Erweiterungen entlang der nördlichen, östlichen und südlichen Parzellengrenzen, ein Teil des einst errichteten Traktes lag im Bereich des heutigen Hauses. 1888/1889 wurden alle auf dem Areal befindlichen Bauten demoliert, das Gebiet neu parzelliert und in den Jahren danach bebaut.

Ergebnisse

Im Zuge des U-Bahnausbaus wurden im Kellergeschoß des Hauses Garnisongasse 11, als Hausertüchtigungsmaßnahme, in mehreren Räumen 30 cm dicke Stahlbetonbodenplatten eingebracht, wofür der bestehende Fußboden abgetieft werden musste. Die Aushubarbeiten wurden vom 11. September bis zum 24. Oktober 2019 archäologisch begleitet.

Überblicksplan zu den Befunden der Grabung Wien 9, Garnisongasse 11/Rotenhausgasse 10. (© Stadtarchäologie Wien)

Von Interesse war besonders die östliche Außenmauer des Hauses, die durch ihre stärkere Mauerbreite auffiel und möglicherweise als Überrest einer Vorgängerstruktur des „Roten Hauses“ interpretiert werden konnte. Die Oberfläche der Kellerniveaus bildete meist ein Ziegelboden. Darunter folgten Sandschüttungen mit Ziegelbruch oder sofort die anstehende sandige Schotterung. Im Verlauf der Beobachtungen konnten die Überreste einer aus den Akten der Baupolizei bekannten Zentralheizung nachgewiesen werden.3

Einreichplan vom 23. Jänner 1898 für eine Nieder-Druck-Dampfheizung für Keller und Souterrain im Haus Garnisongasse 11/Rotenhausgasse 10. (© MA 37 – Baupolizei)

Diese bestanden aus Mauern mit Heizkanälen, Rauchabzügen und einer Ziegelboden-Sohle. Die Zentralheizung war mit einem Ziegelboden bedeckt, der später zerstört wurde, der Hohlraum war mit Schutt und unzähligen orthopädischen Gipsmodellen aufgefüllt sowie mit einem Betonboden abgeschlossen.
Diese Gipsmodelle machten den Großteil des geborgenen Fundmaterials aus. Es handelte sich dabei um Modelle von Füßen, Torsi und sonstigen Körperteilen, die der Firma F. Schmidl & Co zuzuweisen sind, die 1931 die Firma Odelga übernommen hatte und ab 1942 von W. Goldnagel und A. Studler fortgeführt wurde. Bis zur Mitte der 1990er Jahre war die Firma im Haus ansässig. Aufgrund der Auskunft der heute noch existierenden Firma wurde für die hier entsorgten Teile ein Alter von 30 bis 40 Jahren angenommen, darauf angebrachte Nummerierungen konnten der Handschrift eines ehemaligen Mitarbeiters zugeordnet werden.4
In der Orthopädie verwendet man Gips, um einen möglichst genauen Abdruck eines Körperteils zu erhalten. Diese Gipsabdrücke werden von Füßen, Händen und Unterarmen genommen, aber auch für die Herstellung von großen Miedern aus Kunststoff und für Prothesen nach Abnahme von Gliedmaßen angefertigt. Nach der Abnahme gießt man die Modelle ebenfalls mit Gips aus und erhält so ein vollplastisches Produkt, das hier in großer Zahl in der Kellerschüttung in der Garnisongasse gefunden wurde. Den Hauptanteil unter diesen Objekten hatten Fußmodelle, die zum Beispiel zur Herstellung von Modelleinlagen dienten. Der erfahrene Bandagist erkennt am Modell die Form des Fußes, die Art der Wölbung oder Folgen von zu starker Belastung. Darauf sichtbare Nagelspuren stammen vom überzogenen Leder bei der Herstellung von Schachteleinlagen.

Gipsmodelle der Firma Schmidl & Co. aus einer Hohlraumverfüllung im Keller des Hauses. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Eine Nische in der Südost-Ecke des Kellers war vermutlich während des Zweiten Weltkriegs ins Nachbarhaus (Garnisongasse 9) durchgebrochen worden, um einen Flucht- oder Versorgungsweg zu gewährleisten. Die Vermutung, dass die östliche Außenmauer aufgrund ihrer variierenden Mauerstärke ein Überrest der Vorgängerbebauung gewesen sein könnte, wurde widerlegt, denn die an sie stoßenden Binnenmauern sind mit ihr verzahnt und wurden daher gleichzeitig errichtet. Somit ist sie dem Neubau von 1897 zuzuweisen. Weder vom ehemaligen „Roten Haus“5 noch von einer noch älteren Bebauung und Nutzung wurden Spuren entdeckt. Sämtliche Mauern dürften in Vorbereitung der Neuparzellierung und Neuverbauung vollständig abgetragen worden sein.

Anmerkungen:

  1. MA 37 – Baupolizei – Gebietsgruppe Ost, Wien 9, EZ 1492: Pläne vom 2.10. 1894 sowie vom Mai 1897.
  2. Historische Stadtpläne, Steinhausen 1710: https://www.wien.gv.at/kulturportal/public/ (23.6. 2020).
  3. Einreichplan für eine Nieder-Druck-Dampfheizung für Keller und Souterrain: MA 37, Rotenhausgasse 10, 23.1. 1898; Bewilligung der Auswechslungspläne für die Unterkellerung des Gassentraktes in der Garnisongasse: MA 37, Rotenhausgasse 10, 22.7. 1898.
  4. Für die Information und Erklärungen zur Funktion der Gipsmodelle sind wir Frau Doris Goldnagel zu herzlichem Dank verpflichtet.
  5. Siehe auch Hans Mück, Das sogenannte „Rote Haus“. In: Wiener Geschichtsblätter 32, Wien 1977, S. 238 f.