Vom Glockenläuten und Säbelrasseln

AutorInnen: Michaela Binder, Lotte Dollhofer, Heike Krause, Gerhard Reichhalter | Stand: 27. 5. 2021

Die Trasse für die Verlängerung der U-Bahn-Linie U2 Richtung Süden führt auch durch den 7. Bezirk. Einige auf dieser Strecke liegende Häuser wurden schon im Vorfeld zusätzlich durch Fundamentunterfangungen und Einbringen von Stahlbetonbodenplatten in ihrer Statik verbessert. Und bei diesen Bodenabtragsarbeiten kommt wieder die Stadtarchäologie Wien ins Spiel. Warum wieder? Weil wir schon in der Planungsphase ein detailliertes Prognosepaket vorgelegt haben, um den archäologischen Dokumentationsaufwand besser abschätzen zu können.

Eine archäologische Baubegleitung bedeutet auch, dass nur bis zu für die Baumaßnahmen notwendigen Tiefen dokumentiert wird – selbst wenn sich wichtige Bodendenkmale tiefer unter der Erde befinden. Sie bleiben dann unberührt. So lag etwa die Baugrubensohle im Keller des Hauses Stuckgasse 4 – wie sich zeigte – noch gänzlich innerhalb der Aufschüttung für den Hausneubau im 19. Jahrhundert.

Blick in die Stuckgasse von der Siebensterngasse Richtung Burggasse. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Wo einst die Pummerin gegossen wurde

Die Stuckgasse wurde erst 1809 angelegt und erhielt ihren Namen nach der Kanonen(= Stuck)- und Glockengießerei des Johann Achamer (1650–1712). Er erwarb hier 1688 eine Brandstatt, 1695 ein Nachbargrundstück und 1697 bat er um die Befreiung von der Hofquartierpflicht für sein neues, auf der Wendelstatt zu St. Ulrich erbautes Haus.

Im Dezember 1710 erhielt er von Kaiser Joseph I. den Auftrag, aus den 1683 erbeuteten Kanonen des osmanischen Heeres eine Glocke für den Stephansdom zu gießen. Die nach einem Entwurf des Malers und Dekorateurs Peter Schubart von Ehrenberg gestaltete Josephinische Glocke, besser bekannt als Pummerin, wurde ein Jahr später eingeweiht. Die heute im Stephansdom hängende Glocke ist die Nachfolgerin der 1945 nach Einsturz des Südturms zerstörten „alten“ Pummerin.

Transport der Pummerin durch die Rotenturmstraße nach St. Stephan am 5. November 1711. Lavierte Federzeichnung von Peter Schubart von Ehrenberg, 1711. (© Wien Museum)

Wie das Achamersche Grundstück mit der Gießerei genau ausgesehen hat, erschließt sich erst durch Pläne des 18. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als Achamer selbst nicht mehr lebte.
Der langgestreckte, von der Burggasse bis zur Siebensterngasse reichende Gebäudekomplex gruppierte sich um einen Hof, in dem sich auch freistehende kleine Gebäude befanden. 1779 war das Ensemble mit dem Schildnamen „Zum goldenen Stuck“ (Konskriptionsnummer 75) im Besitz der Barbara Eichhammerischen Erben – möglicherweise eine andere Schreibweise des Namens Achamer. Erst mit der Neuparzellierung und der Anlage der Stuckgasse, die praktisch die Längsachse des ehemaligen Grundstücks bildet, wurde die ursprüngliche Bebauungsstruktur aufgegeben.1

Ausschnitt aus dem Vogelschauplan von Joseph Daniel von Huber (1769–1773, gedruckt 1778) mit dem Gebäudekomplex Konskriptionsnr. 75, Blick nach Westen. (© Wien Museum)

Ergebnisse der archäologischen Dokumentation

Die archäologischen Untersuchungen wurden während der Ertüchtigungsmaßnahmen im Herbst 2019 in beiden Kellerräumen des Hauses Stuckgasse 4 durchgeführt. Aufgrund der geringen Dokumentationstiefe konnten nur Planierungen und Gruben im Zusammenhang mit dem bestehenden, 1822 errichteten Haus festgestellt werden.
Unter umgelagerten Funden des 15. bis 18. Jahrhunderts fanden sich auch Wandfragmente von frühneuzeitlichen Schmelztiegeln mit deutlichen Resten von Schmelzgut – ein mögliches Überbleibsel von der im Umfeld betriebenen Achamerschen Gießerei.

Links: Abgetiefter Nordraum des Kellers Stuckgasse 4, Richtung Norden. Rechts: In seiner Nordost-Ecke im Bereich der Grubenverfüllung wurden Metallobjekte geborgen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Novetus)

Vielleicht boten Bauarbeiten vor geraumer Zeit eine Gelegenheit, Dinge unbemerkt zu verstecken. Ein verborgener Winkel im Keller dürfte dafür besonders geeignet erschienen sein, um ein Konvolut vorwiegend aus Waffen zu deponieren.

Teile der stark korrodierten Metallobjekte nach ihrer Bergung. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Novetus)

Bei den Waffen handelt es um Griffstück und Klingenteile eines Säbels, von dem auch noch die Metallscheide mit Resten der Trageösen sowie ankorrodierte Reste einer textilen Umwicklung erhalten waren. Dieser kann als Bürgermilitärsäbel um 18002 identifiziert werden.
Weiters fanden sich ein Bruchstück des Laufes, die Schlossplatte mit Teilen des Schlosses sowie der Abzugsbügel mit Resten des Abzugsmechanismus einer Steinschlosspistole3 der Österreichischen Kavallerie, welche ab 1828 mit einem verbesserten Schloss ausgestattet war.
Zu einer Blankwaffe gehören ein Griffstück mit knaufförmigem Ende sowie Reste des Pariereisens und Teil der Klinge, die in einer Scheide mit ankorrodierten Resten einer textilen Ummantelung steckte. Dieses Seitenschwert, Hirschfänger oder Ähnliches stammt aus dem Ende des 18. bzw. aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Sogar Munition wie vier Pistolenkugeln aus Blei und sechs Pistolen- bzw. Musketenkugeln wurde gefunden. Mit welchem historischen Ereignis diese Waffenfunde in Zusammenhang gestanden haben könnten, bleibt freilich ein Geheimnis.

Überreste von Säbel, Steinschlosspistole und Blankwaffe vom Ende des 18. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Novetus)

So kommen immer wieder Dinge an das Tageslicht, mit denen nicht zu rechnen ist. Und auch wenn unsere Prognosen oft zutreffen, wie etwa beim nahe gelegenen Haus Mondscheingasse 4, ist wohl jeder Hausbesitzer letztlich froh, wenn sich keine Leichen im Keller befinden!

Anmerkungen:

  1. Gut zu sehen in der Überlagerung der aktuellen Stadtkarte mit dem Plan von Joseph Nagel von 1780/81.
  2. Freundliche Mitteilung von Walter Öhlinger (Wien Museum).
  3. Zur Herkunft und Verwendung von Flintensteinen für Handfeuerwaffen siehe Martin Penz/Gerhard Trnka, Ein ehemaliges Flintensteindepot aus dem Schloss Neugebäude in Wien. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 7, 2004, S. 234–244.