Umlegung der Tankstelle

AutorInnen: Michael Schulz, Heike Krause | Stand: 26.8. 2020

Die U-Bahn-Station Rathaus wird für den künftigen Umsteigeknoten zwischen den Linien U2 und U5 neu errichtet. Ein Hauptzugang ist auf dem Friedrich-Schmidt-Platz (Wien 1), im Kreuzungsbereich Landesgerichtsstraße/Lichtenfelsgasse, vorgesehen. Die dort befindliche Tankstelle der MA 48 musste daher verlegt werden. Für den neuen Standort an der Nordseite des Platzes an der Felderstraße wurden für die Einbringung zweier Tanks entsprechende Gruben ausgehoben. Diese Arbeiten fanden im März 2019 unter archäologischer Begleitung statt.

Neuer Tankstellenstandort am Friedrich-Schmidt-Platz mit den Grabungsflächen nach Einbringen der Spundwände, Blickrichtung Westen. (Orthofoto: Stadt Wien – data.wien.gv.at, Grabungsfoto: Stadtarchäologie Wien)

Von der mittelalterlichen Vorstadt zum neuzeitlichen Paradeplatz

Das von den Baumaßnahmen betroffene Areal befindet sich auf dem nach 1529 angelegten freien Schussfeld vor dem Festungsgraben, dem sogenannten Glacis. Im Mittelalter gehörte dieser Bereich zur Vorstadt. Hier dürften sich landwirtschaftliche Nutzflächen und eventuell auch Häuser oder Wirtschaftsgebäude befunden haben. Es wäre also möglich gewesen, tiefer reichende Siedlungs- und Bewirtschaftungsreste wie Brunnen, mit Abfall verfüllte Gruben oder Latrinen aufzufinden. Unmittelbar westlich der Fläche befanden sich im 17./18. Jahrhundert Ziegeleien, die für ihre Produktion Erdmaterial vor Ort abgebaut haben dürften. Daher war in manchen Bereichen mit tief reichenden Verfüll-/Planierschichten dieser großen Materialentnahmegruben zu rechnen. Auf derartige recht massive Anschüttungen wiesen auch schon zwei geologische Bohrprofile aus der unmittelbaren Umgebung der Grabungsfläche hin.

Ausschnitt aus der Vogelschau von Wien von Folbert van Alten Allen mit dem Ziegeleiareal, Kupferstich von 1686. (© Wien Museum)

Die 1857 durch Kaiser Franz Joseph I. angeordnete Stadterweiterung, die zur raschen Neugestaltung und Verbauung des geschleiften Festungsbereichs inklusive Glacis führen sollte, sah die Verwendung dieses inzwischen planierten Areals als Exerzier- und Paradeplatz vor. Er bestand bis zu seiner Auflassung im Jahr 1870.

Kolorierte Ansichtskarte mit dem Exerzier- und Paradeplatz am Josefstädter Glacis, nach einem Foto von 1860, Blickrichtung Westen. (© Wien Museum)

Vom 1872 begonnenen Bau des Rathauses dürfte der Standort der neuen Tankstelle nicht betroffen gewesen sein, ebenso wenig von den Bauarbeiten für den Luftschutzbunker unter dem Rathausplatz (heutige Rathausgarage) in den 1940er Jahren.

Ergebnisse der archäologischen Dokumentation

Die beiden Baugruben umfassten eine Fläche von ca. 68 m² (Schnitt 1) bzw. ca. 33 m² (Schnitt 2) und wurden bis zu einer Tiefe von 3,70 m ausgehoben. Da diese von einer Ost-West verlaufenden Wasserleitungskünette durchzogen waren, ergab sich nach dem Entfernen der Verfüllung bereits ein Erdprofil. An diesem war deutlich zu erkennen, dass das gesamte Areal angeschüttet worden ist bzw. Lehmentnahmegruben verfüllt worden sein könnten.

Grabungsplan mit den wichtigsten Befunden und Nordprofil in Schnitt 2, Blickrichtung Nordwesten. (Plan und Foto: Stadtarchäologie Wien/M. Schulz)

Die unterste erreichte Schicht zeigte sich im gesamten Bereich einheitlich mit einer Höhe von bis zu 0,60 m. Sie bestand aus grauem, sandig-lehmigem Material, das teilweise aschig und eher locker war. Eingeschlossen waren immer wieder lössige Linsen sowie viel Keramik, die überwiegend aus dem 18./19. Jahrhundert stammt, wobei einige Stücke auch ins 17./18. Jahrhundert datieren. Aufbauend auf dieser Schicht fanden sich mehrere Planierungen, die sich in ihrer Zusammensetzung, Farbe und Stärke zwar unterschieden, im jeweiligen Fundmaterial aber einheitlich waren. Da die unteren Schichten anteilsmäßig offenbar mehr Funde beinhalteten, ist es denkbar, dass die Gruben einige Zeit offen standen und nach und nach mit allerlei Müll und Materialaushub aus der Umgebung verfüllt wurden, bevor schließlich die planmäßige Auffüllung und Planierung durchgeführt wurde. Generell dominiert Keramik des 18./19. Jahrhunderts, wobei einzelne Stücke auch aus dem 15.–17. Jahrhundert stammen1.
Als Abschluss dieser Planierung können die Befunde 4 und 3 angesehen werden. Die feste, gelbliche, sandig-kiesige Schicht Bef.-Nr. 4 mit einer Stärke von ca. 0,30 m bildete den Unterbau für Bef.-Nr. 3. Diese war ebenfalls sandig, aber heller, wies einen hohen Anteil an Steinen auf und war an den erhaltenen Stellen der Oberfläche stark verfestigt. Der Großteil dieses Niveaus wurde durch die Herstellung des rezenten Straßenunterbaus entfernt, so wie überhaupt die gesamte Fläche jüngere Einbauten aufwies.

Möglicher Gehhorizont (Bef.-Nr. 3) und der zugehörige Unterbau (Bef.-Nr. 4) in Schnitt 1, Blickrichtung Norden. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Entlang der südlichen Begrenzung der Grabungsfläche wurde eine maximal 6 Ziegellagen hoch erhaltene Mauer im Binderverband (Bef.-Nr. 1) angetroffen, die dem Verlauf des rezenten Randsteines der Gehsteigeinfassung folgte. Die Ziegel mit dem Format 29,5 x 14 x 6,5 cm waren teilweise mit dem Stempel „S Z G“ versehen. Dieser verweist auf die „Siebenhirtner Ziegelwerksgesellschaft“, die von 1872 bis 1890 dieses Baumaterial herstellte2. Der ursprüngliche Zweck dieser Mauer ließ sich nicht mit letzter Sicherheit klären. Möglicherweise war sie bereits ein frühes Element der Platzgestaltung bei der Anlage des Parks auf dem Friedrich-Schmidt-Platz, wenngleich die Stadtpläne nach der Errichtung des Rathauses an dieser Stelle keinerlei Gestaltung zeigen. Der gelbliche, sandige Mörtel weist jedenfalls auf eine Errichtung in der Gründerzeit.

Ziegelmauer (Bef.-Nr. 1) entlang der südlichen Grabungsgrenze, Blickrichtung Süden und Westen. Unten rechts eingeblendet: Ziegel mit dem Zeichen „S Z G“. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Die historischen Recherchen im Vorfeld legten nahe, dass hier mit massiven Anschüttungen und eventuell mit Resten einer Geländegestaltung aus dem 19. Jahrhundert zu rechnen wäre. Dies hat sich durch die begleitende archäologische Untersuchung bestätigt. Tiefer reichende Siedlungsreste aus dem Mittelalter oder noch ältere Funde und Befunde traten aber nicht zutage.

Anmerkungen:

  1. Keramikbestimmung: Ingeborg Gaisbauer (Stadtarchäologie Wien).
  2. Freundliche Mitteilung von Gerhard Zsutty vom Wiener Ziegelmuseum. Eine Zusammenstellung neuzeitlicher Ziegelzeichen wird von Werner Chmelar (Stadtarchäologie Wien) laufend ergänzt und aktualisiert.