Ein Gasthaus am Rande des Glacis

Autorinnen: Nadine Geigenberger, Heike Krause, Ingeborg Gaisbauer, Kinga Tarcsay | Stand: 15.1. 2021

Die Auto- und Radfahrer/innen unter Ihnen werden es schon bemerkt haben, die Umleitungen im Bereich Rathaus und Frankhplatz sind das untrügliche Zeichen, dass der U-Bahn-Bau in seine nächste Phase geht. Vorbereitend mussten bei vielen denkmalgeschützten Häusern die Fundamentierungen überprüft und gegebenenfalls verstärkt werden, um Schäden an der Bausubstanz zu vermeiden.
Zur Durchführung dieser Arbeiten werden in der Regel kleine Sondagen in den Fundamentbereichen angelegt, im Falle des Biedermeierhauses Josefsgasse 1/Auerspergstraße 11 wurden insgesamt 29 (!) solcher Schnitte untersucht und dokumentiert.

Wien 8, Josefsgasse 1. Hauptraum des Kellers während der baustellenbegleitenden Dokumentationsarbeiten, Blick nach Osten. (Foto: Stadtarchäologie Wien/ARDIG – Archäologischer Dienst GmbH)

Lage und Geschichte des Hauses

Die schmale, langgestreckte Hausparzelle lag am Rand des Josefstädter Glacis. Auf dem Stadtplan von 1710 ist auf dem östlichen Teil des Grundstücks der Grundriss eines Hauses dargestellt, an das sich eine Freifläche anschloss.1 Etwa 60 Jahre später war auch dieser Teil der Parzelle bebaut. Schon damals beherbergte das Haus eine Gastwirtschaft.

1837 ersetzte das alte Gebäude ein Neubau nach Plänen des Baumeisters Alois Ignaz Göll. Das darin befindliche „Gasthaus zur Stadt Belgrad“ wurde von Josef Klampfl bis zu seinem Tod 1865 geführt. Der als gemütlich und urwüchsig charakterisierte Wirt war weithin bekannt. Er galt als Prototyp eines guten Gastwirts, so dass seine Kundschaft scherzte: „Wenn der Klampfl stirbt, dann muß er pulverisiert und allen übrigen Wirthen eingegeben werden.“2 Sogleich nach seinem Ableben gab man eine Zeitungsannonce auf, um einen geeigneten Nachfolger für das renommierte Gasthaus zu finden. Auf die großen und bequemen Wein- und Bierkeller sowie eine große Eisgrube wurde besonders hingewiesen.3 Noch heute verfügt das Gebäude über zwei Kellerbereiche. Um 1900 betrieb Franz Moser hier die Gastwirtschaft.

Links: Der Vogelschauplan von Joseph Daniel von Huber (aufgenommen 1769–1773, gedruckt 1778) zeigt das zweistöckige Eckhaus mit einem zum Glacis hin orientierten Volutengiebel. Rechts: Franz Moserˈs Restauration „Zur Stadt Belgrad“, fotografiert um 1901 von August Stauda. (© Wien Museum)

Ergebnisse der archäologischen Dokumentation

Das Begehungsniveau des östlichen, zur Auerspergstraße hin gelegenen Kellerteils liegt bis zu 7 m unter der heutigen Straße. Der große, tonnengewölbte Hauptraum mit einem zur Längsachse hin abfallenden Ziegelboden lässt an die genannten großen Wein- und Bierkeller denken.
Unter dem Ziegelboden zeigten sich neben den Kellerschüttungen auch Reste von Ziegelmauern, die wohl ehemals als Raumteiler fungierten. Überraschenderweise konnten auch noch Hinweise auf einen Vorgängerbau aufgedeckt werden. Es handelte sich um etwa 0,5 m vom Hauptraum parallel nach innen versetzte, 0,4 m breite Mauerzüge, die sich zu einem 3,8 x mindestens 13 m großen Geviert ergänzen lassen. Errichtet waren sie in Mischmauerwerkstechnik, nur die Ecken zeigten ausschließlich Ziegelmauerwerk. Die geringe Wandstärke spricht eher für ein einfaches Nebengebäude oder eine Art Grundstücksmauer.

Links: Hauptraum des Ostkellers mit zur Mitte hin abfallendem Ziegelfußboden, Blick nach Westen. Rechts: Mischmauerwerk der Vorgängerbebauung mit darüber liegender jüngerer Trennmauer aus Ziegeln, Blick nach Nordwesten. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/ARDIG – Archäologischer Dienst GmbH)

Vom Pomeranzenlikör bis zum Desinfektionsmittel

Das hauptsächlich in das 19. Jahrhundert datierende Fundmaterial stammt ausschließlich aus den dokumentierten Kellerschüttungen im Westkeller des Hauses. Unter anderem konnte eine größere Menge an intakten Glasflaschen unterschiedlichen Formats aus den letzten Jahrzehnten des 19. bzw. dem Anfang des 20. Jahrhunderts geborgen werden, deren Etiketten bzw. Prägungen – sofern erhalten – sowohl Inhalt als auch Hersteller zurückverfolgen lassen.
So fanden sich neben mehreren frühen Preblauer Mineralwasserflaschen und einigen Weinflaschen etwa vier Vierkantflaschen der Brennerei der Grafen Potocki in Landshut/Łańcut in Galizien (heute Polen), die laut den Etiketten Pomeranzen-, Kräuter- sowie Kümmellikör enthielten.
Eine kleine Zylinderflasche für das weltweit erste Desinfektionsmittel Lysol repräsentiert eine sehr früh verwendete Form, die zudem aus der 1892 von dem Pharmazeuten Gustav Raupenstrauch  errichteten Wiener Niederlassung stammt

Vierkantige Likörflasche der Brennerei der Grafen Potocki, Langhalszylinderflasche mit „CONGAC“-Siegel, Preblauer Mineralwasserflasche und Zylinderflasche des ab 1889 produzierten, weltweit ersten Desinfektionsmittels Lysol. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Diese Flaschen zeugen wohl von der Nutzung des Kellers als Lagerraum für gastronomische Zwecke. Sie belegen, dass im Gasthaus nicht nur Wein und Bier konsumiert, sondern auch so mancher Cognac oder Likör genossen wurde. Zudem hat man offenbar schon damals auch auf gute Hygiene geachtet, worauf das Fläschchen für Desinfektionsmittel hinweist.

Anmerkungen:

  1. Für eine Überlagerung mit dem heutigen Stadtplan siehe https://www.wien.gv.at/kulturportal/public/ s. v. Historische Stadtpläne, Steinhausen 1710. Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes wurde auch die Kopie von Gustav Adolf Schimmer genutzt: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Stadtplan,_Steinhausen_(1710).
  2. Zu einem ausführlichen Nachruf siehe H. R., Der Wirth von der Stadt Belgrad †. In: Morgen-Post, 10. Dezember 1865, [S. 2].
  3. Fremden-Blatt, 12. Dezember 1865, [S. 15].