Von Wassereinbruch und verschüttetem Keller

AutorIn: Heike Krause, Michael Raab | Stand: 10.11. 2022

Nicht nur im Vorfeld des Ausbaus des Wiener U-Bahn-Netzes werden statische Ertüchtigungen in Hauskellern durchgeführt. Auch schon vor mehr als 100 Jahren waren Sicherungsmaßnahmen notwendig – allerdings aus anderen Gründen. Im Frühjahr 2022 brachte die archäologische Begleitung eines Baugrubenaushubs für den neuen Aufgang der U2/U5-Station Rathaus vor dem Haus Auerspergstraße 21 derartige Spuren zum Vorschein. Wie diese zu interpretieren sind, konnte aus im Wiener Stadt- und Landesarchiv aufbewahrten Bauunterlagen erschlossen werden. Bevor wir dieses Geheimnis lüften, soll die Geschichte der Auffindung erzählt werden.

Die Grabungsfläche in der Auerspergstraße in einer Luftaufnahme von 2021, in der auch die sogenannte Eiles-Platane bereits an ihrem neuen Standort zu sehen ist. (Orthofoto: data.wien.gv.at)

Ein Baum zieht um und Löss liegt frei

Südlich vom Café Eiles und der Josefstädter Straße erweitert sich die Auerspergstraße zu einem dreiecksförmigen Platz. Auf der rund 800 m² großen Grabungsfläche wurde im Februar 2021 die sogenannte Eiles-Platane unter großem Aufwand und medialem Interesse auf den Schmerlingplatz umgesiedelt. Zudem mussten auf dem Bauplatz Kabel und Rohre entfernt und umgelegt werden. Bereits 60 Zentimeter unter der Straßenoberfläche kam eine mehrere Meter starke Lössschicht zum Vorschein. Dieses natürlich entstandene Sediment war in der Frühen Neuzeit begehrter Rohstoff für die Ziegelproduktion. Nördlich der Grabungsfläche gab es auf dem einstigen Glacis eine großflächige Grube, in der das Rohmaterial abgebaut wurde.

Rohre, Pfeiler und eine Kellermauer

Bei den Vorarbeiten entfernte man in der Baugrube auch ein in rund 2,5 Metern Tiefe liegendes Hauptleitungsgasrohr aus dem 19. Jahrhundert. Danach rechnete niemand mehr mit weiteren Funden. Jedoch sollte sich diese Annahme als Trugschluss erweisen! In einer Tiefe von rund 3 Metern kamen schließlich mehrere Mauerreste zum Vorschein, deren oberen Teile bereits abgetragen waren. Eine Ost-West verlaufende Ziegelmauer war noch 2 Meter hoch erhalten. Sie hat – in der Flucht der Parzellengrenze zwischen den Häusern Nr. 19 und 21 gelegen –zu einem Kellerraum gehört. Acht im Nachhinein innerhalb des aufgelassenen, mit Schutt verfüllten Kellers gesetzte Pfeiler gaben Rätsel auf. Je vier freigelegte Pfeiler bildeten eine annähernd Nord-Süd orientierte Reihe. Die verwendeten Mauerziegel tragen die Zeichen „D L“ der Ziegelei von Michael Dachler in Leopoldsdorf, der von 1862 bis 1879 diese Initialen verwendete. Über die einstige Funktion der Pfeiler konnten die Archäolog:innen vor Ort nur spekulieren.

Links: Grabungsfläche in Wien 8, Auerspergstraße/Josefstädter Straße, Gesamtplan Stand Juli 2022. Rechts: Blick auf die aufgedeckten Mauerreste vor dem Haus Auerspergstraße 21 an der Ecke zur Josefstädter Straße. (Plan/Foto: Stadtarchäologie Wien/ARDIG, M. Raab) 

Ein Schadensfall mit weitreichenden Folgen

Im Wiener Stadt- und Landesarchiv verwahrte Bauakten ermöglichten des Rätsels Lösung: 1899 kam es infolge eines Wasserrohrgebrechens zur Überflutung des in den Straßenbereich hineinragenden Kellerraums des damaligen Hauses Auerspergstraße 21. Die Kellerfundamente wurden dadurch unterwaschen, so dass ein Teil des Gewölbes zusammenbrach. Die angrenzenden zwei Häuser waren nun ebenfalls vom Einsturz bedroht. Sofort ordnete die Baubehörde Sicherungsmaßnahmen in Form von Pölzungen an. Wohnungen mussten geräumt und der Straßenverkehr in diesem Bereich vorübergehend eingestellt werden. Schließlich blieb keine andere Möglichkeit, als die Gebäude samt Keller abzutragen.

Unter den Bauunterlagen fand sich auch eine Skizze des einstigen gewölbten Kellerraums, von dem die aufgedeckte Mauer stammt. Der Verlauf mehrerer Leitungstrassen ist daraus ebenfalls ersichtlich. Über dem Keller verlief 2 Meter unter der Straßenoberfläche das städtische Gasrohr. Auch die Hofwasserleitung hatte hier ihre Trasse, die im Bereich des Kellers von Süden kommend nach Nordosten abbog. Dem nicht genug: Über der Ostmauer des Kellers erstreckte sich die Hochquellenleitung und wohl auch eine Rohrleitung der „engl. Gas Gesellschaft“! Schon damals gab es also eine Menge Versorgungsleitungen im städtischen Untergrund.

Links: Skizze des Kellers (rot) vor dem Haus Auerspergstraße 21 mit Verlauf der Trassen von Gasleitung (gelb), Hofwasserleitung (grün) und Hochquellenwasserleitung (blau). Westen ist oben. Rechts: Rest der südlichen Kellermauer mit sekundär eingebrachten Pfeilern nach Entfernung der Schuttverfüllung. (Skizze: Wiener Stadt- und Landesarchiv; Foto: Stadtarchäologie Wien/ARDIG)

Aber welche Funktion hatten die vorgefundenen Pfeilerreihen? Ein Schriftstück des Stadtbauamts vom 12. Juni 1899 lieferte den entscheidenden Hinweis. Die Zuschüttung der offenen Grube im Bereich des Kellers sollte erst erfolgen, nachdem die bis dahin frei liegenden Rohre definitiv gegen Setzungserscheinungen im verfüllten Kellerbereich gesichert wären. Dafür wurden zwölf 3 Meter hohe, gemauerte Pfeiler mit Zwischengurten errichtet, die bis Ende Juni des Jahres vollendet sein sollten. Acht dieser Pfeiler wurden bei den Dokumentationsarbeiten erfasst.

Die beiden alten Häuser Auerspergstraße Nr. 21 und 23 (gelb) auf einer kolorierten Postkarte, ca. 1895 bis 1899, und auf einem Foto, um 1870. (© Wien Museum)

Nach Abbruch der beiden alten Häuser, der Instandsetzung der Leitungen und Verfüllung des Kellers wurde sogleich das über beide Parzellen reichende, heute noch bestehende Gebäude mit der Adresse Auerspergstraße 21 erbaut. Den Entwurf dafür lieferte der Architekt Ludwig A. Fuchsik.

Was sich einst unter dem davorliegenden dreiecksförmigen Platz zugetragen hat, ist nun geklärt!