Von Kaisern, Königen, Philosophen, Ratten und Bandwürmern …

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Vielleicht haben Sie es auch gelesen – der heiße Sommer brannte sich offenbar auch tief in die so beliebte kühle Dritter-Mann-Dunkelheit der Kanalisation, und die Trockenheit trieb mehr Ratten an die Oberfläche als sonst. Kein Wunder: Ist man es als nacktschwänziger gewiefter Vierbeiner gewohnt, dem sanften Gluckern alter, in den Untergrund gegangener Wienerwaldbäche und mehr oder weniger neuer Kanäle zu lauschen, ist die Storm´sche „Dunst ist die Welle, Staub ist die Quelle“ Regentrude-Nummer nur wenig unterhaltsam. Dennoch, solch trocken-hitziges Ungemach befiel die städtischen Nager immer wieder seit es Nager gibt – und Städte. Denken Sie nur an Hammeln und den Ärger, den man dort hatte – erst mit dem Ungeziefer und dann mit dem zauberkundigen Pfeifer, der es überraschenderweise nicht gleichmütig aufnahm, von der Stadt um seinen Lohn geprellt zu werden. Was hat das nun mit dem Tag des Denkmals zu tun? Wenn sie meiner Flöte noch einen Moment folgen wollen, werden sie sehen wo ich hinwill.

Dieser Tag des Denkmals (29.9.2019) ist offiziell Kaisern, Königen und Philosophen gewidmet, Akteure im Scheinwerferlicht der Geschichtsschreibung. Der königliche bzw. kaiserliche Wille schrieb Geschichte, entwarf Landkarten neu und verpasste Städten eine Rundumerneuerung – oder den Todesstoß. Philosophische Ansätze hingegen versuchten gelegentlich gleich den Menschen und seine Welt neu zu „denken“.  Es wird also ein Tag des Großen und Hohen werden, mit viel Glanz und Sonnenlicht. Da braucht es dringend einen Kontrapunkt, finden Sie nicht auch? Genau den wollen wir Ihnen mit unseren Führungen und unserem Stand bieten. Also zurück zu den Ratten. Wussten Sie, dass die mittelalterlichen Wiener im Bereich der Naglergasse mit dem so genannten Retzengraben (Rattengraben) zu kämpfen hatten? Ein Abwassergerinne mit prächtigen Lebensbedingungen für besagte Tierchen. Ähnlich verhielt es sich mit der „Mörung“ , ebenfalls ein Graben zur Abwasserentsorgung, der bis ins 14. Jh. seine Miasmen unverhüllt in die Wiener Luft entließ, sehr zum Verdruss der Anrainer in der heutigen Rotenturmstraße.

Schnitt durch den im Mittelalter wieder ausgehobenen Graben, in dem vermutlich auch die “Mörung“ geführt wurde. Am Graben, Wien 1. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

In dem Bild, das wir Ihnen offerieren wollen, finden Sie neben dem Rattenfloh, den schon der Römer als Pestüberträger hätte fürchten sollen, statt einer Künstlersignatur auch den einen oder anderen Darmparasiten. Solch ein Mitbewohner war auf jeden Fall unangenehm und konnte auf Umwegen durchaus auch lebensverkürzende Wirkung haben – man kannte es allerdings auch nicht anders. Der tägliche Kampf im unteren hierarchischen Segment um einen Platz zumindest im Zwielicht, wenn schon nicht an der Sonne, fand Jahrhunderte lang auf ungepflasterten Straßen und Plätzen und in kontaminationsfreudigem Milieu statt.

Eingetrocknete Rückstände, unter anderem von Fäkalien, in einem mittelalterlichen Kanal Am Hof, Wien 1. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)

Das Ende des straff verwalteten römischen Reiches war in diesem Punkt nicht hilfreich und glauben Sie nicht, dass die frühe Neuzeit Erleichterung brachte.
Diese unsicher-matschigen Oberflächen haben wir mit rapidem Vorwärtsschreiten hinter uns gelassen. Wir sind ja nicht mehr im Mittelalter! Das wissen vermutlich auch die Ratten, angeblich ja sehr intelligente Tierchen, wenn auch etwas vom Instinkt getrieben – jetzt gerade in Richtung Oberfläche. Und dort nehmen sie, was sie bekamen/bekommen: römisches Brot mit Garum im 2. Jh. vermutlich ebenso, wie gestern entsorgtes Kebab, manches hat sich nämlich doch nicht so sehr verändert. Nicht nur die Ratte ist im Kern noch dieselbe. Seien wir ehrlich zu uns selbst beim Blick in den dunkeln Spiegel: Die Jahrhunderte, die uns vom römischen Legionär und vom mittelalterlichen Bürger trennen, sind zwar nicht spurlos an uns vorbeigegangen, aber nicht nur beim Thema Sauberkeit und Abfallentsorgungsgehabe wundert man sich manchmal und fühlt sich an dunklere Zeiten erinnert. Wie steht es also? Wagen wir am Tag des Denkmals einen gemeinsamen Blick auf den schmutzigen tagtäglichen Alltag des kleinen Vindobona/Wien Bewohners? Sie werden feststellen: die hübsche, moderne Oberfläche unserer gepflegten Realität ist dünn und auch unterm heutigen Pflaster wartet die alte schlammige Dunkelheit  …

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