Von römischen Säulenhallen und mittelalterlichen Lauben

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Die Tuchlauben ist – ohne Zweifel – ein alter Straßenzug, zwar nicht römisch, wie es etwas betagte Theorien zur Geschichte Wiens gerne behaupten, aber immerhin mittelalterlich – und als Verbindung zwischen dem Hohen Markt und dem Graben höchst prominent gelegen. In den nächsten Wochen bieten sich der Stadtarchäologie Einblicke in diesen geschichtsträchtigen Boden, und aus gegebenem Anlass bringen wir, zur Einstimmung sozusagen, einen kleinen Überblick über die Entstehung der Tuchlauben.

Ein Betätigungsfeld, reich an römischen Relikten

Wie in allen Teilen des 1. Bezirks, fängt auch hier die Stadtgeschichte mit den Römern, genauer gesagt mit der Errichtung des römischen Legionslagers an.

Das Legionslager Vindobona. (Plan: Stadtarchäologie Wien)
Spätrömisches Legionslager und babenbergische Befestigung von Wien. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Sieht man sich den schrägen Verlauf der heutigen Tuchlauben vom Hohen Markt bis zur Naglergasse an, ist allerdings sofort klar, dass sie nicht direkt über einer der präzise rechtwinkelig entworfenen Straßen des Legionslagers angelegt worden sein kann. Da trifft es sich ganz gut, dass der Hohe Markt in römischer Zeit auch kein Platz gewesen ist.

Um für einen Moment weiter auszugreifen: Unter dem Hohen Markt „treffen“ die Offiziersunterkünfte auf das römische Bad, dazwischen lag vermutlich eine schmale Straße. Die Idee des Platzes ist also mittelalterlich. Genauso verhält es sich mit der Tuchlauben. Da sie offensichtlich als eine Verbindung vom Hohen Markt durch die Stadt hindurch und hinaus (Austrittspunkt beim Peilertor, in römischer Zeit stand dort die porta decumana) gedacht gewesen ist, dürfte sie funktional mit dem vermutlich ersten mittelalterlichen Marktplatz in Verbindung stehen, der über Bad und scamnum tribunorum entstanden ist und nicht mit den vollkommen anders ausgeformten römischen Strukturen.

Erfreulicherweise konnten im Bereich von Tuchlauben 17 (unter dem Haus) nicht nur deutliche Überreste verschiedener Phasen des recht gut bekannten, mehr oder weniger auf Steinfundamenten erbauten Lagers ausgegraben werden. Es zeigten sich auch Spuren der vorangegangenen hölzernen Bauphase vom Ende des 1. Jahrhunderts. Diese meist recht schattenhaften Balken lassen sich bislang noch nicht zu einem ganzen Lagerkonstrukt zusammensetzen. Wir kennen also weder die Ausdehnung noch die genaue Ausgestaltung, ganz im Gegensatz zu dem direkt danach errichteten „steinernen“ Lager. (Auch in diesem ist mit einem natürlich ganz erheblichen Anteil an Holz und Flechtwerkwänden zu rechnen, nicht jedes Gebäude vom Fundament bis unters Dach war aus Stein und Ziegeln gemauert.)

Bei der Ausgrabung unter dem Haus Tuchlauben 17 in den 1990er Jahren konnten verschiedenste Bau- und Umbauphasen des Legionslagers bis in die Spätantike gefunden werden, unter anderem die Pflasterung des großen Innenhofs des Principiagebäudes, ebenso wie Ausrissgruben, die vermutlich mit einer Säulenstellung an der Ostseite der principia zur Straße hin in Verbindung zu bringen sind. Und diese Straße wiederum lag unter dem heutigen Haus Tuchlauben 17, nicht unter der Tuchlauben. Gegenüber dem Principiagebäude dürften sich übrigens die Kasernenblöcke der privilegierten ersten Kohorte befunden haben.

Die Pflasterung im großen Innenhof des Principiagebäudes des römischen Legionslagers. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Von den Römern ins Mittelalter

Ignorierte man im Mittelalter die römische Straße also einfach? Wenn wir das nur genauer wüssten!
Immerhin haben wir aus dem frühen Hochmittelalter sogar in der Tuchlauben Reste einer etwas erratisch platzierten Bestattung zu vermelden, auch wenn sich diese vermutlich eher an den römischen Mauern als an den vermutlich wenig imposanten Überresten der Straße orientierte. Solche Bestattungen fanden sich auch am Hohen Markt und sind vorläufig nicht zu erklären.

Die erhaltenen Skelettreste der Bestattung aus dem frühen Hochmittelalter in der Tuchlauben. (Anthropologische Aufnahme: Karin Wiltschke-Schrotta)
Plan der Künettengrabung mit der Bestattung in der Tuchlauben. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Tatsächlich liegen die wenigen Reste mittelalterlicher Gebäude vor 1200, die wir aus diesem Bereich – wieder vor allem von der Ausgrabung in der Tuchlauben 17 her – kennen, angrenzend an die römische Straße. Die Parzellenstruktur verändert sich erst ab 1200 und in der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ab diesem Zeitpunkt weicht sie von den römischen Überresten, auch den Mauern, derer man sich vorher noch bediente, gravierend ab. Es wäre also möglich, dass die ersten mittelalterlichen Siedler in einer früheren und weniger entwickelten Phase der Stadt durchaus noch näher an den römischen Straßenverlauf und die römischen Strukturen heranrückten.

Nicht eine, sondern viele

Stellt sich also die Frage, ab wann es die mittelalterliche Tuchlauben eigentlich gibt. Da der Hohe Markt gerne ab 1200 als Marktplatz genannt wird, wäre spätestens ab diesem Zeitpunkt mit dem Entstehen dieses Straßenzuges zu rechnen. Die Befunde unter dem Haus Tuchlauben 17 und der Verlauf der Fassade von Gebäude Tuchlauben 19 – immerhin aus dem 14. Jahrhundert und in derselben Flucht wie die heutige Straße – suggerieren Ähnliches. Doch Vorsicht: „Die“ Tuchlauben ist eine neuzeitliche Erfindung. Im Mittelalter zerfiel dieser Straßenzug in viele Abschnitte mit unterschiedlichen Bezeichnungen, von denen lediglich der Begriff der Tuchlauben – Laubengänge vor den „Gewandkellern“ der Tuchhändler – stadthistorisch überlebt hat und dann ab 1862 auf den ganzen Straßenzug Anwendung fand.

Durchaus einschneidend

Eine Künette, die sich die Tuchlauben entlangzieht und in Seitengassen ausgreift, ist also immer wieder für die eine oder andere Überraschung gut. Die erste mittelalterliche Straßenoberfläche, wenigstens ein Abschnitt (vorzüglich mit ein paar datierenden Funden), wäre einer meiner Wunschkandidaten, dasselbe gilt natürlich für die römische Straße (Straßenphasen muss man korrekterweise sagen). Und ohne der Grabungsleitung brüchige Knochen zu wünschen, aber: Wo ein Skelett war, da kann sich durchaus noch eines finden. Wir werden sehen und sind wie immer gespannt, wenn so tief im „Herzen“ Wiens gegraben wird.