Von Vorstädten in Frieden und Krieg – Teil 1

Autorin: Ingeborg Gaisbauer

Detail aus dem Albertinischen Plan, nach einer Vorlage von ca. 1421/22. (Wien Museum)

„Vorstädtisch“ … das ist – höflich ausgedrückt – eine sehr flexible, um nicht zu sagen schwammige Bezeichnung, und wirft eine Menge Fragen auf. Die erste und drängendste davon ist vermutlich, welche Version von Wien zu welcher Zeit überhaupt als historischer Referenzbereich herangezogen wird. Wie muss die Stadt beschaffen, wie weit entwickelt sein, dass man mit Fug und Recht überhaupt einen Bereich „vor der Stadt“ zu differenzieren in der Lage ist? Mit dieser kleinen gebietstechnischen Definition gilt es sich zuerst auseinanderzusetzen, ehe man sich mit der Exponiertheit, dem Mangel an Schutz für eben diese Vorstädte gerade in kriegerischen Zeiten zu beschäftigen vermag.

Das Areal des Legionslagers der römischen Kaiserzeit. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Vor 1200

Solange sich das mittelalterliche Wien noch mehr oder weniger auf den Bereich des ehemaligen römischen Legionslagers beschränkte und vermutlich eher an eine große Baustelle für die Errichtung von Kirchen, Klöstern und weltlich repräsentativen Bauten, denn an eine Stadt im engeren Sinne erinnerte, umfasste die Bezeichnung „vor der Stadt“ theoretisch alles vor der alten Legionslagermauer. „Theoretisch“ schon deswegen, weil unsere Kenntnis über diese Phase der Siedlungsausdehnung und Gebietsansprüche erstaunlich gering ist. Wohl kennen wir mit der babenbergischen Burg am Hof das erste weltliche Machtzentrum des mittelalterlichen Wiens, das diesen Namen auch verdient, aber bereits die Bedeutung der alten Legionslagermauer zu dieser Zeit ist einigermaßen unklar.
Fungierte sie als erste Stadtmauer? Umfasste sie alles, was es damals an Siedlung gegeben haben mochte? Lassen Sie sich nicht dadurch irritieren, dass so wichtige Sakralbauten wie St. Stephan und die Schottenkirche mit ihrem Kloster in diesem Fall „außerhalb“ lägen. Sogenannte Kirchen- und Klosterbauten „extra muros“ kommen auch im Hochmittelalter oft vor.
Vielleicht diente die ehemalige spätrömische Befestigung aber auch eher als eine „Burgmauer“ und umfasste nur den Kernbereich der babenbergischen Macht? Wären etwaige Siedlungskerne außerhalb dieses Mauergevierts dann überhaupt „außerhalb“, lägen sie „vor der Stadt“ oder „vor der Burg“ bzw. welcher Vorstellung von Raumordnung wären sie in einem solchen Falle zuzuschlagen?

Sie sehen selbst, solange man bezüglich der Stadt und ihren genauen Ausmaßen nicht klarsieht, ist es nahezu unmöglich, auf die Frage der Vorstädte zu fokussieren − alles bleibt etwas verschwommen. Auch die Brille des Historikers ab- und jene des Archäologen aufzusetzen, bringt in diesem Fall leider nicht den Durchblick.

Wir kennen vom Michaelerplatz ein wenig Fundmaterial aus dem 12. Jahrhundert, aber gerade die  Bäckerstraßenvorstadt – gerne ins 11. Jahrhundert datiert – dürfte nicht vor dem 13. Jahrhundert ihren Aufschwung genommen haben. Hochmittelalterliches Fundmaterial entlang der Herrengasse und anderer überregional bedeutsamer Straßen hilft in diesem Punkt auch nicht weiter, denn dass eben solche Verkehrswege durchgehend weiterbenutzt wurden, steht nicht außer Frage, wäre aber ein Thema für einen eigenen Blog. Auch Keramik des 12. Jahrhunderts im direkten Umfeld des Stephansdomes, so zum Beispiel im Bereich des Erzbischöflichen Palais bietet keine Antworten zur drängenden Frage nach den Vorstädten, sondern berichtet uns bestenfalls über den Bau von St. Stephan und damit im Zusammenhang stehenden Strukturen – wiederum spannend, aber eine ganz andere Geschichte!

Wir wissen derzeit also auch aus archäologischer Sicht erstaunlich wenig über „Vorstadtbetrieb“ zur Zeit der Babenberger, abgesehen von den geistlichen Fixpunkten, die sich schon damals in Fleisch und Blut, korrekterweise müsste man sagen in schriftlicher Quelle und wohlbehauenem Stein abzeichneten.

Das 13. Jahrhundert bis 1529

Mit dem Bau der babenbergischen Mauer um 1200 veränderte sich die Lage deutlich. Wien entwickelt sich nun immer schneller, die Dichte der Steinbauten nimmt verlässlich zu, jene der unverbauten Flächen ab. Diese Entwicklung wird immer wieder auch gerne als die „Versteinerung“ der mittelalterlichen Stadt bezeichnet – etwas überspitzt könnte man aber auch sagen, dass Wien dadurch überhaupt erst ein städtisches „Gesicht“ annahm. Dazu kommt ein massives Gestalten der Oberflächen durch Schotterungen und gelegentlich sicher auch Pflasterungen. Aus Sicht des Archäologen ändert sich damit auch in der Schichtenbildung einiges. Befestigte Oberflächen sorgen für eine veränderte Bildung von Bodenbefunden und auch die Durchsetzung der jeweiligen Schichten mit Abfall entwickelt sich anders.

Wien nach der Errichtung der babenbergischen Stadtmauer. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Die spätmittelalterliche Stadt der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts innerhalb der neuen und genuin mittelalterlichen Mauer verdient diesen Namen vollinhaltlich, somit kann man auch den Bereich vor der Mauer nun mit Fug und Recht als vorstädtisch bezeichnen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatten sich die verschiedenen Vorstadtareale also vermutlich prächtig zu entwickeln begonnen. Sie blühten und gediehen gerade rechtzeitig, um 1529 im Vorfeld der ersten osmanischen Belagerung aufgegeben zu werden.

Wie groß diese Vorstädte waren, wo sie lagen, welche Handwerker dort ihren Sitz hatten und in welchen Töpfen sie ihr Süppchen kochten, möchten Sie jetzt wissen? Dann kann ich Ihnen nur empfehlen, auf den nächsten Blog in dieser Reihe zu warten …

Hochmittelalterliche Keramik vom Michaelerplatz. (Grafik: Stadtarchäologie Wien)