Wer hat an der Uhr gedreht?

Autorin: Lotte Dollhofer

Ist denn wirklich schon ein ganzes Jahr vergangen? Offensichtlich, denn der neue Jahresbericht der Stadtarchäologie Wien liegt trotz der schwierigen Bedingungen auch heuer wieder verlässlich im Dezember vor – und darauf sind wir besonders stolz!

Stellen Sie sich vor: Sie sind im Ersten Wiener Gemeindebezirk unterwegs, gehen über den Kohlmarkt Richtung Graben und weiter geradeaus in die Tuchlauben, und genau hier, wo der Straßenverlauf auch ein wenig enger wird, würden Sie sowohl das mittelalterliche Peilertor als auch das Südtor (porta decumana) des römischen Legionslagers von Vindobona durchschreiten.

Blick vom Kohlmarkt auf „Das Peilertor vor 1732“, Aquarell. (© Wien Museum)

Die Lage der porta decumana ist zwar schon seit etwa 120 Jahren bekannt, voriges Jahr durchgeführte Aufgrabungen gaben jedoch Anlass, die Dokumentationen aus der damaligen Zeit neu zu bewerten und mit den jüngsten Erkenntnissen zusammenzuführen. Und dazu bedarf es sehr viel Fingerspitzengefühls und Erfahrung: Einerseits handelt es sich heute wie damals oft um Künettengrabungen, das heißt nur in ganz schmalen Schächten bietet sich die Möglichkeit einer Einsichtnahme in die unter der Oberfläche liegende Stadtgeschichte. Auch hat sich natürlich die Art der Dokumentation und die Interpretation im Laufe der Zeit geändert, wobei das beileibe kein Qualitätskriterium ist, sondern oft den Umständen geschuldet war.

Quadermauerwerk in der Kanalkünette vor Tuchlauben 1/Naglergasse 2, Skizze von J. H. Nowalski de Lilia aus dem Jahr 1917. (© Wien Museum)

Aus dieser detektivischen Kleinarbeit ergibt sich nun ein stimmiger Vorschlag zur Rekonstruktion der porta decumana und ein Einblick in die Lagerarchitektur in ihrem Umfeld. Verlauf und Breite der via decumana mit angrenzenden Portiken (Säulengängen) sowie die Lage der anschließenden Bauten können als gesichert gelten.

Grabungsbefunde und Rekonstruktion der baulichen Strukturen im Umfeld der porta decumana. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Bleiben wir noch bei den Römern: Etwas kurios mutet vielleicht die Auffindung einer bronzenen Lampe bei Gartenarbeiten an – so geschehen in Wien-Hietzing. Es handelt sich leider um einen sogenannten Streufund, das heißt ein aufgelesenes Einzelstück ohne Befundzusammenhang – das Worst-Case-Szenario jedes Archäologen.

Römische Bronzelampe aus Wien-Hietzing. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Das Objekt selbst dürfte im 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. entstanden sein und aufgrund seiner Machart aus keiner qualitativ hochwertigen Produktion stammen. Aber das Stück macht auf ein römisches Siedlungsgebiet aufmerksam, das bislang noch wenig bekannt und erforscht ist: Das Areal zwischen dem Küniglberg im Osten und dem Roten Berg im Westen.

Bislang bekannte Befunde in der Umgebung des Fundortes der Bronzelampe. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Ist die Funktion der Lampen eindeutig, so gibt es bei anderen römerzeitlichen Fundgruppen noch viele Fragen bezüglich ihres Verwendungszwecks. Unterschiedliche Fragmente von dickwandigen Keramikobjekten aus der Zivilsiedlung (im 3. Bezirk entlang des Rennwegs) könnten hüfthohen Räucherständern, tragbaren Altären, Lichthäuschen/Dachaufsätzen oder auch portablen Öfchen für das Warmhalten von Speisen zugeordnet werden.

Fragmente eines Räucherständers (?) links und Teil eines Altars, Lichthäuschens oder Ofens (?) rechts. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Auch der Sinn und Zweck der sogenannten Gesichtsgefäße, Gefäße mit applizierten und geritzten Gesichtszügen, hat sich uns noch nicht ganz erschlossen. Nach den Fundumständen der Wiener Stücke zu urteilen, fanden sie überwiegend im häuslichen Bereich, möglicherweise auch in Zusammenhang mit privater Kultausübung Verwendung. In Werkstätten werden sie angesichts von Brand- und Verletzungsgefahr als Abwehrzauber verwendet worden sein. Nur wenige Gefäße stammen aus Grabzusammenhängen.

Fragmente von römischen Gesichtsgefäßen aus der Zivilsiedlung (links) und aus dem Legionslager (rechts). (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Nikos Piperakis)

Relativ einfach zu interpretieren sind hingegen die ungebrannten und gelochten Tonzylinder aus einer Grubenhütte der spätkupferzeitlichen Siedlung (um 2400 v. Chr.) in Wien-Oberlaa. Sie dienten sicherlich zur Spannung der Kettfäden bei einem senkrechten Gewichtswebstuhl. Ein schöner Nachweis für die häusliche Textilherstellung in einer kleinen bäuerlichen Dorfgemeinschaft.

Rekonstruktion eines einfachen, senkrechten Gewichtswebstuhls, Museum MAMUZ Schloss Asparn/Zaya (NÖ). (Foto: Martin Penz)

Und wer noch nicht genug hat: Alle „Fundort Wien“-Bände sowie auch einzelne Beiträge, die bis vor zwei Jahren erschienen sind, können Sie kostenlos auf unserer Website abrufen! Nichts wie hin!