Wettlauf mit der Zeit – der neue „Fundort Wien“ ist da!

Autorinnen: Gertrud Mittermüller, Ute Stipanits

Vom neolithischen Bergbau bis zu zeitgenössischen „Opfergaben“ in einem Brunnen – der Zeitrahmen der archäologischen Untersuchung auf dem Stadtgebiet Wiens ist groß. Jede einzelne Epoche verlangt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nicht nur enormen Arbeitsaufwand ab, sondern auch ganz unterschiedliche methodische Zugangsweisen.

Radiolaritkerne mit Schlagspuren als Vorstufe für die Werkzeugherstellung, Lainzer Tiergarten, Wien 13. (Foto: Österreichisches Archäologisches Institut/Oliver Schmitsberger)
Der „Wunschbrunnen“ in der Virgilkapelle im Jahr 2018 und vom „Alufraß“ befallene, daraus geborgene 10-Groschen-Stücke. (Fotos: Wien Museum/Michaela Kronberger, Mika Boros)

Demgegenüber stehen infolge verschiedener Baumaßnahmen engmaschige Zeitpläne und vorgegebene Fristen. In einer sich ständig verändernden Großstadt ist eine „Forschungsgrabung“ Wunschdenken, Haus- und U-Bahn-Bau wie jeglicher Künettenaushub sind unsere Realitäten. Die den Archäologinnen und Archäologen zugestandenen „Anlassgrabungen“ zwingen in ein enges zeitliches und räumliches Korsett. Und dennoch: Wir bleiben dran und jährlich legen wir die Ergebnisse unserer Aktivitäten vor!

Die 24. Ausgabe von „Fundort Wien“: ein archäologischer Querschnitt durch die Geschichte Wiens

Anbei eine kurzer Ausblick auf einige archäologische Berichte und Themenbereiche.

Die spätmittelalterliche Uferbefestigung eines Donau-Altarmes wurde bereits 2019 anlässlich eines Hausneubaues in der Werdertorgasse freigelegt und wird nun erstmals ausführlicher präsentiert. Die Untersuchungsfläche liegt im Bereich der damals stets vom Hochwasser bedrohten Vorstadt vor dem Werdertor.

Reste der Uferbefestigung aus mächtigen Eichenstämmen, hinterfüllt mit Steinen, Werdertorgasse 6, Wien 1. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Unter den zahlreichen Keramikfragmenten wurden hier Bruchstücke von sog. Kruselerfiguren gefunden. Mit der typischen Kopfbedeckung aus gekräuseltem Tuch spiegeln sie die Mode der adeligen Oberschicht von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis hinein in das 15. Jahrhundert wider.

Rekonstruktion einer Kruselerfigur anhand der Funde, Werdertorgasse 6, Wien 1. (Rekonstruktion: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Anlässlich der Errichtung des neuen Stadtteils „Seestadt Aspern“ wurden auch im vergangenen Jahr Massengräber aufgedeckt. Sie zeigen einmal mehr, dass den letzten Ruhestätten gefallener Soldaten nach der siegreichen Schlacht über die napoleonischen Truppen (21./22. Mai 1809) nichts vom „heroischen“ Ruf des österreichischen Heers anhaftet. Die notdürftig Verscharrten wurden großteils ihrer noch brauchbaren Montur entledigt. Die wenigen verbliebenen Kleidungsbestandteile wie auch die Schriftquellen zeugen nicht gerade von der besten Ausstattung des Militärs in dieser Zeit.

Massengrab mit den Resten von acht Soldaten, Seestadt Aspern, Wien 22. (Foto: Novetus GmbH/Boguslawa Miska)

Durch mehrere Bauprojekte rückte in den vergangenen Jahren wiederholt der 3. Wiener Gemeindebezirk in den Blickpunkt archäologischen Interesses:
Das Fundmaterial der seit 2014 bekannten spätlatènezeitlichen Siedlung am Rochusmarkt wurde einer genaueren Betrachtung unterzogen. Anhand der sog. Campana – einer aus Italien importierten Feinkeramik mit dunklem Glanztonüberzug – und den 14C-Daten analysierter Tierknochen gelingt es, eine planmäßige Aufgabe der Siedlung gegen Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. zu erschließen. Ob die Gründe dafür ihren Ursprung in politischen oder wirtschaftlichen Veränderungen haben, ist zurzeit nicht zu klären, jedenfalls ist aber der Einfluss römischer Sitten und Gebräuche schon vor der eigentlichen römischen Präsenz evident.

Campana-Teller aus Arezzo, Rasumofskygasse 29–31, Wien 3. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Sigrid Czeika)

Am Standort der ehemaligen Rennwegkaserne (Rennweg 93A, Wien 3) wurden unter anderem zwei Grubenhäuser freigelegt. Die Funde aus ihren Verfüllungen bestätigen, dass die hier am Rand der römischen Zivilsiedlung gelegenen Wohn-/Handwerksbereiche am Ende des dritten Viertels des 2. Jahrhunderts n. Chr. und somit früher als jene Strukturen im Kernbereich der Siedlung aufgegeben wurden.

Römische Siedlungsbereiche von Vindobona mit Verortung der Grabung Rennweg 93A und dem Grubenhaus 1 mit ausgewählten Funden. (Plan: Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser, Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Im wahrsten Sinne rasant schreiten die Vorarbeiten für den Bau des U-Bahn-Linienkreuzes U2/U5 voran. Ein Hotspot ist im Bereich der künftigen U5-Station Frankhplatz zu lokalisieren: Hier fanden sich Siedlungsbefunde vom Westrand der römischen Lagervorstadt, spätmittelalterliche Keller, die frühneuzeitliche Randverbauung des Glacis und Abschnitte der ehemals hier bestehenden Alser Kaserne (1751/53–1912).

Fundamentrollierung mit vorgelagerter Portikus eines römischen Gebäudes, Fankhplatz, Wien 9. (Orthofoto: Crazy Eye)

Bei der zukünftigen U-Bahn-Station Matzleinsdorfer Platz ist der einst die Stadt mit ihren Vororten schützende Linienwall Thema. Nahe der Station Reinprechtsdorfer Straße zeigten sich Hinweise auf Gewerbebetriebe und landwirtschaftlich genutzte Parzellen. Bei der Station Pilgramgasse schließlich erfassten wir das Kanalisationssystem des 19. Jahrhunderts, die sog. Cholerakanäle. Sie stellten einen wichtigen Beitrag zur Seuchenbekämpfung im städtischen Umfeld dar.
Punktuelle Untersuchungen im Zuge von statischen „Ertüchtigungen“ innerhalb des Häuserbestands folgen dem geplanten Streckenverlauf. Sie berühren das ehemalige Glacis – das einst freie Schussfeld vor dem neuzeitlichen Festungsgürtel – und seine Randverbauung und dokumentieren spätere bürgerliche wie adelige Bauten.

Untersuchungen des Jahres 2020 in Zusammenhang mit dem U-Bahn-Bau. (Plan: MA 01 – Wien Digital, Stadtarchäologie Wien/Martin Mosser)

Haben wir mit dieser kursorischen Zusammenschau Ihr Interesse geweckt, dann empfiehlt sich die Lektüre der 24. Ausgabe des Fundort Wien.