Wie ein Pfeil

Autorin: Constance Litschauer

Als Beigaben bieten die auch bei unseren Ausgrabungen am Friedhof bei der Kalvarienbergkirche in Hernals geborgenen christlichen Devotionalien einen Einblick in die Religiosität der dort bestatteten Gläubigen, aber ebenso in deren Ängste und Sorgen. Diese Bedürfnisse wurden auf verschiedene Andachtsgegenstände projiziert und so erzählen einige der Medaillen vom Zugang zu Krankheit und Seuche, der uns quer durch die Jahrhunderte auf unterschiedliche Weise, aber doch verbindet.

Die leider nur schlecht erhaltenen Überreste einer Bestattung umfassten auch zwei Medaillen, die in der roten Markierung erkennbar sind. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Heike Krause)

Damit wollen wir uns einem Fundstück eines Grabes am St.-Bartholomäus-Platz zuwenden, in dem die nur mäßig erhaltenen sterblichen Überreste eines im Alter von rund 20 Jahren verstorbenen und vermutlich weiblichen Individuums geborgen werden konnten. Obwohl die Lage knapp unterhalb des heutigen Gehniveaus hier nicht unbedingt zu einem guten Erhaltungszustand beigetragen hat, konnten im Bereich der Hand des vermutlich rechten, quer über den Bauch angewinkelten Armes zwei Medaillen geborgen werden. Die Fundlage und Zeitstellung sprechen dafür, in ihnen Einhänger eines – allerdings nicht weiter erhaltenen – Rosenkranzes zu sehen. Ihr Auffinden stimmt nicht nur mit der im 17./18. Jahrhundert bereits verbreiteten Verwendung der katholischen Gebetsschnur überein, sondern auch mit dem im barocken Totenzeremoniell besonders stark erblühenden Ausstatten der Verstorbenen mit religiösen Beigaben.

Die beiden geborgenen Medaillen gliedern sich in ein – anhand der seit dem 14. Jahrhundert verehrten Kreuzdarstellung mit bekleidetem Christus leicht erkennbares – Andenken an eine Wallfahrt nach Numana/Sirolo in die italienische Provinz Marken sowie in eine Heiligenmedaille. Sie ruft die beiden Pestheiligen St. Sebastian und St. Rochus an.
Während die Entstehung der beiden Stücke formal nur grob zwischen das mittlere 17. und 18. Jahrhundert beschränkt werden kann, lässt sich die Funktion der zweiten Medaille aufgrund der Wiedergabe der Heiligen auf den Schutz vor Seuchen einschränken. Das gilt auch zur Unterscheidung zum heute bekannteren Allrounder, dem sog. Benediktuspfennig, der mit der Abbildung des Benediktusschildes und -segens nicht nur vor Seuchen schützen sollte und in der Sterbestunde Hilfe versprach, sondern mannigfaltig Verwendung fand. Die Beliebtheit dieses Schutzamuletts belegt übrigens auch seine mit sieben Stück verhältnismäßig hohe Fundquote am St.-Bartholomäus-Platz.

Eine Pestmedaille vom St. Bartholomäusplatz in Hernals. (Foto: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Die in diesem Beitrag im Mittelpunkt stehende, rund 21 x 30,2 x 2 mm messende Buntmetallmedaille zeigt Sebastian und Rochus ohne zusätzliche, beschreibende Legende. Die fehlende Beschriftung und die auf klassische kunsthistorische Bildtypen zurückgreifenden Darstellungen lassen dabei klar den enormen Bekanntheitsgrad und die Beliebtheit der beiden Märtyrer und ihrer Schutzfunktion erkennen. Das zeigt sich übrigens auch in den vielen überlieferten Sebastians- und Rochusbruderschaften, die sich unter anderem der Versorgung der Erkrankten widmeten.
Die fragmentarisch erhaltenen Befestigungsvorrichtungen in Form einer Öse und eines Ringes dienten dem Einhängen an verschiedene Gegenstände, wie Rosenkränzen oder anderen christlichen Gebetsschnüren. Natürlich konnten religiöse Anhänger auch an Bänder oder gegebenenfalls sogar dem Gewand befestigt gewesen sein.

Die Pfeilmarter des Hl. Sebastians auf der Vorderseite der Hernalser Medaille. (Zeichnung: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Dem Erkennungscharakter geschuldet, wird die Vorderseite von der Pfeilmarter des als Jüngling dargestellten, an einen Baum gefesselten und von Pfeilen durchbohrten Sebastian eingenommen. Sie erinnert an die Vita des ältesten, schon in einem Heiligenkalender des Jahres 354 erwähnten und bereits im 7. Jahrhundert verehrten Pestpatrons. An einen Baum gefesselt wurde der sich zum Christentum bekennende und seinen eingekerkerten Glaubensbrüdern Mut zusprechende Hauptmann der Prätorianergarde unter Kaiser Diokletian (284–305 n. Chr.) von Bogenschützen auf dessen Befehl von Pfeilen durchbohrt. Nachdem der wundersamerweise nur schwer Verwundete von der Hl. Irene, der frommen Witwe des Märtyrers Castulus, wieder gesundgepflegt werden konnte, bekannte er sich weiterhin zum Christentum. Neuerlich verurteilt, wurde er durch Keulenschläge getötet. Das Marterwerkzeug ist übrigens wohl auch auf der Medaille im rechten oberen Bildfeld erkennbar. Zuletzt wurden seine sterblichen Überreste zur besonderen Schmach in der „cloaca maxima“, dem größten Abwasserkanal der antiken Stadt Rom entsorgt.

Ein Sebastianspfeil vom spätbarocken Neuen Schottenfriedhof in Wien 9. (Foto/Zeichnung: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Die Verbindung des Martyriums des Heiligen Sebastians zur – in der christlichen Tradition lange Zeit eine Strafe Gottes darstellenden – Pest bilden die, wie auch die Seuche schnell heranfliegenden und zumeist tödlichen Pfeile.
Auf diese Weise konnten sie sich auch in Form der sog. Sebastianspfeile zu einem beliebten Schutzamulett entwickeln. Ein bei Ausgrabungen am zwischen 1765 und 1784 belegten Neuen Schottenfriedhof im 9. Wiener Gemeindebezirk erinnert daran. Der sehr schlicht gestaltete Sebastianspfeil (34,6 x 3,0–9,8 x 0,8 mm) mit gefiedertem Ende und der Aufschrift S S aus Buntmetallblech wurde in der Verfüllung einer Grabgrube eines in reifem Alter verstorbenen Mannes geborgen und erinnert an diese Form des Seuchenschutzes. Das ins mittlere 18. Jahrhundert datierende Objekt mit starkem Amulettcharakter konnte zur Hilfe aufgelegt werden, oder wie auch eine Medaille als Andachtsbild verehrt werden.

Der Hl. Rochus als Pilger auf der Rückseite der Hernalser Pestmedaille. (Zeichnung: Stadtarchäologie Wien/Constance Litschauer)

Die Rückseite der Hernalser Medaille wird von der ebenso schriftlosen und für barocke Zeitgenossen aufgrund ihres Bekanntheitsgrades leicht erkennbaren Darstellung des nimbierten Pilgers Rochus eingenommen. Er ist durch seine Attribute gekennzeichnet: der Pilgerstab als Stütze auf der beschwerlichen Wanderschaft, die Pilgertasche als Sinnbild für seinen gesamten Besitz auf der Pilgerfahrt sowie die an seinem rechten Oberschenkel entblößte Pestbeule. Aber auch seine Begleiter, der ihn während seiner Krankheit nährende Hund und der seine Wunden versorgende Engel sind im rechten Bildfeld vage erkennbar.
Die vorherrschende Darstellungsweise des neben dem Hl. Sebastian gerne in Seuchenzeiten angerufenen Rochus geht auf seine Pilgerfahrt nach Rom in den Jahren 1347 bis 1352 zurück. Während der seinerzeit in Italien auch wütenden Pestepidemie begann er Kranke im Land zu pflegen, ehe er selbst erkrankte. Wunderbarerweise wieder geheilt, kehrte er in seine französische Heimat zurück, wo er als Spion eingekerkert Gottes Prüfung geduldig ertrug und 1379 verstarb.

Mit der Auswahl dieses Bildprogramms zeigt die Medaille deutlich den Wunsch ihres Trägers nach Schutz vor Seuchen, wie vor allem der Pest.  Aber auch die zeitliche Zuordnung des an sich nur grob ins 17./18. Jahrhundert datierbaren Stückes lässt sich – indirekt aus archäologischer und historischer Sicht – etwas verfeinern. So legen die stratigrafische Lage des Grabfundes und die in Wien immer wieder wütende Pest nahe, den Erwerb des Stückes in die, die Epidemien der Jahre  1679 und 1713 umspannende Zeitspanne zu setzen. Vielleicht noch währenddessen, spätestens aber bald danach wird sie im Zuge der Bestattung ins Erdreich gelangt sein.

Für alle, die sich jetzt fragen, was es mit dem Titelbild auf sich hat und auch mit den vielen Zeichnungen: Da in Zeiten von Homeoffice und Coronakrise auf Vieles, wie auch die Objektfotos verzichtet werden musste, wurde wieder einmal der Zeichenstift gezückt und auch nach alternativen Fotomotiven gesucht. Das Titelbild gibt ein Detail der Darstellung des Hl. Sebastians als römischer Soldat auf einem oberösterreichischen Bauernkasten des 19. Jahrhunderts wieder.