Brunnen in der Lindengasse
Autorinnen: Valerie Strunz, Kristina Adler-Wölfl | Stand: 12.9. 2024
Trotz der steigenden Anzahl von Wasserleitungen schöpfte der Großteil der Bevölkerung bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts Wasser aus Hausbrunnen. Erst 1888 wurden über 90% der Häuser innerhalb des heutigen Gürtels mithilfe der Hochquellenwasserleitungen versorgt. Durch diese Errungenschaft erübrigten sich die Hausbrunnen, dafür entstanden nach dem Ersten Weltkrieg auf öffentlichen Plätzen und in Parkanlagen zahlreiche Zier-, vereinzelt auch Trinkbrunnen.
Auch bei unseren Grabungen werden immer wieder Brunnen und Teile von Wasserleitungen entdeckt, so trat bei Tiefbauarbeiten im Zuge der U2-Verlängerung im Jahr 2022 in der Lindengasse, unmittelbar östlich der Einmündung der Kirchengasse ein runder Schachtbrunnen zutage.1
Kein gewöhnlicher Hausbrunnen
Der aufgedeckte Brunnen war aus Steinen in Netzmauerwerkstechnik errichtet. Dabei sind größere Steine von kleineren netzartig eingefasst. Er hatte einen Innendurchmesser von 1,60 m, das Außenmaß des Steinkranzes betrug ca. 2 m. Mit einer Tiefe von über 37 m war er für einen städtischen historischen Brunnen ungewöhnlich tief und erschloss dadurch ergiebiges Wasser in einer miozänen Sandschicht. Der Wasserstand zum Zeitpunkt der Auffindung lag in ca. 12 m Tiefe. Etwa 90 cm unter der Brunnenoberkante befanden sich vier ca. 20 x 25 cm große Balkenlöcher, die zu einer nicht näher bestimmbaren Holzkonstruktion gehörten. Als oberer Abschluss war der Ansatz eines flachen Tonnengewölbes aus Ziegeln (ohne Zeichen) erkennbar. Es stammt wohl aus der Zeit als der Brunnen außer Funktion genommen und darüber eine neue Straßenfläche angelegt wurde.
Die Wasserversorgung in Mariahilf
Wann der beschriebene Brunnen angelegt wurde, kann rückblickend nicht mehr genau festgestellt werden. Im Bereich des U-Bahn-Schachtes Lindengasse befanden sich im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit landwirtschaftlich genutzte Flächen wie Äcker und Weingärten. Auf dem 1688 gedruckten Plan von Daniel Suttinger sind um den heutigen Kreuzungsbereich Lindengasse/Kirchengasse keine Gebäude eingezeichnet, erst im von Leander Anguissola und Jakob Marinoni 1706 vorgelegten Stadtplan sind östlich der Kirchengasse zwei Häuserblöcke dargestellt. 1736 ist dann auch der Abschnitt der Lindengasse westlich der Kirchengasse als verbaut wiedergegeben. Die Lindengasse selbst trägt erst seit 1862 diesen Namen.
Die hochwertige Bauweise und große Tiefe des Brunnens deuten darauf hin, dass dieser im Zuge der Bautätigkeiten im späten 17. Jahrhundert von der Grundobrigkeit in Mariahilf – dem Wiener Domkapitel – erbaut wurde und so entweder der landwirtschaftlichen Bewässerung diente oder die Wasserversorgung für die im Entstehen begriffene Nachbarschaft sicherstellte. Fest steht jedoch, dass der Brunnen später der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung als Auslaufbrunnen diente und damit einen Beitrag zur schwierigen Wasserversorgung in Mariahilf leistete.
Die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung wurde 1841 eröffnete und versorgte als Erste auch große Teile der Wiener Vorstädte. Ein sprunghafter Anstieg der Bevölkerungszahlen um rund 40 Prozent und die Choleraepidemie von 1831/1832 hatten die gesundheitlichen Risiken, die sich aus der schlechten Trinkwasserqualität ergeben, sichtbar und eine neue Wasserleitung notwendig gemacht. Viele der Hausbrunnen waren in dieser Zeit verschmutzt und mit Abwässern verunreinigt. Wenige Jahre nach ihrer Eröffnung stieß die Wasserleitung jedoch bereits an ihre Kapazitätsgrenze, auch der Einsatz der Dampfmaschine konnte daran nur kurzfristig etwas ändern und die Wasserqualität verschlechterte sich in gesundheitsgefährdendem Ausmaß. Eine dauerhafte Lösung für die Wasserversorgung konnte erst mit dem Bau der Ersten Hochquellenwasserleitung gefunden werden.
1907 beschloss der Gemeinderat die Auflassung der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung und besiegelte so vermutlich auch das Schicksal unseres Brunnens, der als Konsequenz dieser Entscheidung unter der Straßenoberfläche verschwand.
Bunter 7. Bezirk – Die Querung von zwei Fluss-Systemen im Pleistozän
Autorinnen: Sabine Grupe, Mandana Peresson, Kristina Adler-Wölfl | Stand: 23.6. 2022
Der Untergrund im 7. Wiener Gemeindebezirk, im Kreuzungsbereich Kirchengasse/Lindengasse, ist aktuell sichtbar! Hinter den Bauzäunen verbirgt sich die offene Baugrube für das künftig rund 35 Meter tief liegende neue Stationsbauwerk „Neubaugasse“, ein Umsteigeknoten zwischen der bestehenden Linie U3 und der in Errichtung befindlichen U2-Erweiterung Richtung Matzleinsdorfer Platz.
Die Vielfalt des oberflächennahen, geologischen Untergrundes im Kreuzungsbereich Kirchengasse/Lindengasse ist bereits seit 2019 beobachtbar. So entstanden im Zuge von Einbautenumlegungen und beim Anlegen von Brunnen und Bohrpfählen bunte Haufen von Bodenaushub mit auffälliger gelber, oranger, roter und rötlich brauner Färbung.
Der großflächige Aushub in der offenen Baugrube ist für die Geologie von besonderem Interesse. In enger Abstimmung mit den Wiener Linien und parallel zur archäologischen Begleitung durch die Stadtarchäologie Wien erfolgt daher eine geologische Beprobung des Untergrundes durch das Technische Büro für Geologie der WGM (Wiener Gewässermanagement GmbH) und durch die Abteilung Rohstoffgeologie der GBA (Geologische Bundesanstalt).
Pleistozäne Wienflusssedimente
Die oberflächennahen, bunten Lockersedimente sind Ablagerungen eines pleistozänen Wienflusses. Es sind sandige, schluffige Kiese mit einer Mächtigkeit von 3,5 bis 4,5 Meter. Sie spiegeln die große Vielfalt der Gesteine des Einzugsgebietes wider, den ostalpinen Festgesteinen, aus denen der Wienerwald besteht. Hauptsächlich handelt es sich um plattige, kantengerundete Sandsteinkomponenten, untergeordnet kommen auch zum Beispiel Tonmergel, Tonstein, Radiolarit, Kalk, Kalksandstein und Kalkmergel vor.
Im Kreuzungsbereich Kirchengasse/Lindengasse liegen sie bis ca. 6 Meter unter dem Straßenniveau. Eine erste Auswertung der Proben durch die Geologische Bundesanstalt (GBA) zeigt, dass die roten Sedimentsequenzen ihre Farbe durch das Eisenmineral Hämatit (Fe2O3, Eisenoxid), das in der Tonfraktion angereichert vorliegt, erhalten. Die Krusten der Kieskomponenten bestehen aus dem Eisenmineral Goethit (Fe3+O(OH), Eisenoxid).
Erst in der flächenhaften Untersuchung in der Baugrube ist die große lithologische Vielfalt der fluvialen Ablagerungen, ihr kleinräumiger Wechsel und die passagenweise starke Rotfärbung durch hämatithältigen Lehm erkennbar.
Pleistozäne Donausedimente
Unter den Ablagerungen eines pleistozänen Wienflusses, die von Westen, vom Wienerwald, in den 7. Bezirk transportiert wurden, liegen Sedimente einer pleistozänen Donau, die von Norden hierher gelangten. Die Donau war auch damals das dominante fluviale Regime. Es liefert hauptsächlich sandige, isometrische, gut gerundete, meist grau(braun)e Quarzschotter in einer Mächtigkeit von 4,5 bis 7 Meter. Zwischen beiden Kiesablagerungen gibt es im Kreuzungsbereich Kirchen-/Lindengasse eine geringmächtige Verzahnung der Schüttungen sowie eine Schicht aus lockerem Donau-Ausand (0,7 bis 3 Meter).
Die Ausandschicht liegt ca. 6 Meter unter Terrain. Die Sohle eines tiefen Kellers, der zur Vorgängerbebauung der heutigen Häuser Lindengasse 23 und 25 gehörte und in den Bereich unter der heutigen Fahrbahn hineinragte, liegt auf diesem Ausand.
Vertiefende Informationen über Aufschlüsse, Schichten, Tunnelverlauf und Keller können im Detailgebiet „Neubaugasse“ des entstehenden geologischen Untergrundmodells der WGM abgerufen werden.