Adresse: Karlsplatz, Wien 4
Anlass: Errichtung eines Tiefspeichers | Grabungsjahre: 2019–2021
Zeitstellung: Neuzeit

Historischer und naturräumlicher Kontext

Die Uferzonen des Wienflusses waren stets der Gefahr von Hochwässern ausgesetzt, mächtige Anschwemmungen, aber auch Erosion waren die Folge. Durch Wasserbaumaßnahmen, wie Uferbefestigungen und Sohlaustiefungen, versuchte man jahrhundertelang das Gerinne zu bezwingen. Dies gelang erst mit der umfassenden Regulierung und teilweisen Einwölbung zwischen 1895 und 1899.

Rekonstruktion des Wienfluss-Verlaufs im Bereich des Karlsplatzes in den 1670er Jahren (links) und 1912 (rechts). Die Grabungsfläche ist gelb markiert, hellgrün sind die tiefer liegenden Bereiche, mittel-/dunkelgrün die höher liegenden Bereiche, hellgrau die Siedlungsflächen. (© S. Hohensinner)

In römischer Zeit befand sich im Umfeld des Karlsplatzes die Limesstraße, entlang deren Verlauf in diesem Abschnitt Grabbauten errichtet wurden. Der Kern der mittelalterlichen Vorstadt Wieden entwickelte sich weiter westlich, beiderseits des heute als Wiedner Hauptstraße bekannten Straßenzugs. An der Stelle der Technischen Universität entstand 1571 ein Friedhof, der bis 1784 belegt wurde.

1716 wurde mit dem Bau der den Platz dominierenden Karlskirche begonnen (Fertigstellung 1739). Östlich davon befand sich der Gebäudekomplex der Frühwirtschen Gewehrfabrik, der erst 1961 abgebrochen wurde.

Davor, entlang des Südufers des Wienflusses, befand sich zunächst ein breiter Weg bzw. in der Folge eine Straße, die die Wiedner Hauptstraße mit dem Rennweg verband. Dieser wichtige Straßenzug wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erneuert und ausgebaut.

Die Regulierungsmaßnahmen Ende des 19. Jahrhunderts waren nicht nur der Beginn einer Umgestaltung des Platzes in seine heutige Form, sondern auch der Zeitpunkt seiner Benennung als Karlsplatz.

Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen

Überblicksplan mit den Befunden der archäologischen Untersuchungen 2019–2021. (Plan: Stadtarchäologie Wien/M. Mosser)

Neuzeitliche Straßenniveaus

Über einer mächtigen Aufplanierung innerhalb eines alten Wienflussbettes zeigte sich die älteste aufgedeckte, mindestens 16 m breite Straßenschotterung aus dem beginnenden 18. Jahrhundert. Bemerkenswert ist der Niveauunterschied von beinahe 6 m (!) zur zeitgleich, offensichtlich auf einer Anhöhe entstandenen Karlskirche. Das heterogene Fundmaterial aus der Aufplanierung, bestehend aus Keramik- und Glasfragmenten sowie Buntmetallobjekten, ist dem Spätmittelalter bis maximal dem beginnenden 18. Jahrhundert zuzuordnen.

Das älteste dokumentierte Straßenniveau mit der zeitgleich entstandenen Karlskirche. Fundmaterial aus der darunterliegenden Aufplanierung (Auswahl): Fragment eines polychromen, applikenverzierten Kruges (Mitte 16. Jahrhundert), Bruchstücke von Malhorntellern (17./18. Jahrhundert), Kopfteil einer Fersenpfeife aus dem süddeutschen Raum (spätes 17./Anfang 18. Jahrhundert) und der Rest einer Gürtelschließe aus Buntmetall (16. bis um die Mitte 17. Jahrhundert) sowie Fragment eines ursprünglich grünweißen Glasbechers mit hohem Fuß (17. Jahrhundert). (Fotos: Stadtarchäologie Wien/N. Piperakis, Ch. Ranseder)

Noch im 18. Jahrhundert wurde über einer Planierung – etwas nach Süden versetzt – eine neue Straße angelegt. Der bis zu 30 cm mächtige Straßenbelag wies aufgrund der dokumentierten regelmäßigen Spurrillen ursprünglich wohl Holzbohlen auf. Parallel dazu war ein über 2,50 m breiter und 1,30 m tiefer Straßengraben angelegt – eventuell ein Überschwemmungsschutz?

Straßenschotterung des 18. Jahrhunderts mit regelmäßigen Rillen, die möglicherweise von Holzbohlen herrühren. In Richtung Wienfluss schließt ein breiter Straßengraben an. Blick nach Westen. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Darüber folgten mächtige Schwemmsandschichten – wiederum mit verschiedensten Fundstücken durchsetzt – und ein noch massiverer Straßenkörper, flankiert von breiten Straßengräben und einer Nebenfahrbahn. Im 19. Jahrhundert wurden die Straßengräben verfüllt und eine Baumallee angelegt. Erstmals wurde Kopfsteinpflaster verlegt. Gaslaternen sorgten für die entsprechende Beleuchtung. Eine weitere infrastrukturelle Maßnahme zeigte sich in Form eines aus Ziegelmauerwerk errichteten Kanals, der die Abwässer Richtung Wienfluss führte.

Erhalten gebliebene Abdrücke der Kopfsteinpflasterung der boulevardartigen Straße (zweite Hälfte 19. Jahrhundert), Blick nach Süden. Schnitt durch den Abwasserkanal und Reste einer Gasleitung für die Straßenbeleuchtung. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

20. Jahrhundert – Fassadenmodell, Verkaufshalle, Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs und der Beginn des Anthropozäns?

Mit der Regulierung und Einwölbung des Wienflusses sowie dem Bau der Stadtbahn kam es zu einer Verlegung der Straße Richtung Norden. Auf der neu entstandenen Parzelle, auf der sich heute das Wien Museum befindet, wurde die Errichtung eines Stadtmuseums angedacht. Ein Entwurf von Otto Wagner, der 1910 zur besseren Veranschaulichung dafür ein 1:1-Fassadenmodell errichten ließ, konnte den Gemeinderat jedoch nicht überzeugen. Pfostengruben der Holzkonstruktion waren auf der Grabungsfläche noch erhalten.

Fassadenmodell des von Otto Wagner geplanten Stadtmuseums am Karlsplatz in einer Aufnahme von 1910. (© Wien Museum/B. u. P. Kainz)

In der Folge setzte man auf Kommerz statt auf Kultur: Zur Ankurbelung der Wirtschaft entstand auf dem Bauplatz nach Plänen des Architekten Robert Kalesa eine Art Einkaufszentrum für Luxusgüter, dem allerdings kein langer Erfolg beschieden war. 1934 wurde die Verkaufshalle endgültig abgebrochen. Überreste dieser in Vergessenheit geratenen Einrichtung konnten im Zuge der Grabungen aufgedeckt werden.

Lage der aufgedeckten Fundamente der Verkaufshalle aus der Zwischenkriegszeit. (Orthofoto: Crazy Eye, Plan: Stadtarchäologie Wien/M. Mosser)

Ende des Zweiten Weltkriegs dürfte hier eine großflächige Deponie für Bombenschutt und Kriegsmaterialien angelegt worden sein. Unzählige einschlägige Objekte legen diese Vermutung nahe. Das Gelände blieb eine Brache bis der Neubau des Historischen Museums der Stadt Wien nach Plänen von Oswald Haerdtl 1959 eröffnet wurde.

Im Rahmen des Projekts „The Anthropocene Surge“ der Universität Wien konnte ein Forschungsteam anhand von Bodenproben aufzeigen, dass der Nachweis von global-synchron auftretenden Fallout-Nukliden auch in einer Großstadt wie Wien möglich ist. Diese könnten sich als primäre Marker für die stratigraphische Definition des Beginns des Anthropozäns, für den aktuell die Mitte des 20. Jahrhunderts propagiert wird, eignen.

Datum: 19.01. 2023 | AutorIn: M. Mosser, L. Dollhofer

Literatur (Auswahl)

  • Martin Mosser/Heike Krause/Severin Hohensinner/Ingeborg Gaisbauer/Constance Litschauer/Michael Wagreich/Christine Ranseder/Kinga Tarcsay, Unter dem Wien Museum – Archäologie, Flussmorphologie und Anthropozän am Karlsplatz. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 25, 2022, S. 4–61.