Datum: 07.03.2019 | AutorInnen: Christine Ranseder, Ingeborg Gaisbauer, Martin Mosser

Auf der Grabungsfläche ließen sich zahlreiche Reste von Gruben feststellen, in deren Verfüllung spätmittelalterliche Keramik vorgefunden wurde. Vier Gruben (Schnitt 2 und 4) lagen auf dem ehemaligen Grundstück des Hauses Hernalser Hauptstraße 63 (ursprünglich Bauparzelle 29), weitere Gruben (Schnitt 3) auf jenem des Hauses Hernalser Hauptstraße 61 (ursprünglich Bauparzelle 28).

Übersichtsplan der Grabung Hernalser Hauptstraße 59–63 mit den spätmittelalterlichen Befunden. (Plan: Stadtarchäologie Wien)

Im südwestlichen Bereich von Schnitt 4 kamen drei Gruben (115, 116, 118) zu tage, deren Oberkanten direkt unterhalb des heutigen Niveaus lagen. Zwei davon waren nur noch als Reste erhalten, da sie von einem neuzeitlichen Kanal stark gestört worden waren.

Der neuzeitliche Kanal in Schnitt 4 und die von ihm geschnittenen Gruben 115 und 116. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Die nur etwa 1 Meter tiefe Grube 118, deren ursprünglicher Verwendungszweck unklar bleibt, war mit lockerem, stark schotterhaltigem Erdreich verfüllt (Bef.-Nr. 90), in dem sich außer zahlreichen  Bruchstücken römischer Keramik, auch einige Scherben von Gefäßen aus dem 14./15. Jahrhundert befanden. An ihrer Südseite wurde sie von Grube 115 geschnitten.

Die rund 2,85 m tiefe Grube 115 wies annähernd senkrechte Wände über einer rechteckigen Grundfläche (1,10 x 1,50 m) mit ebener Sohle auf. Die Grünfärbung des anstehenden Tegels in ihrem untersten Bereiches deutet darauf hin, dass die Grube ursprünglich als Latrine diente. Sie wurde erst später relativ zügig mit Abfall verfüllt. Die graubraune, eher lockere, mit Steinen und Holzkohle versetzte Verfüllung (Bef.-Nr. 89) enthielt – neben zahlreichen römischen Scherben und einigen als Altstücke anzusehenden Gefäßfragmenten aus dem 12./13. Jahrhundert – überwiegend Töpfe aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Zu den jüngsten Funden zählt ein Topf, der 15./Anfang 16. Jahrhundert datiert werden kann.

Die Gruben 115, 116 und 118. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Der untere Bereich der ursprünglich als Latrine genutzten Grube 115. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Das gesamte Ausmaß der Grube 116 konnte nicht mehr ermittelt werden, da sie im Westen durch eine moderne Betonschlitzmauer gestört war und ihre Unterkante nicht ergraben  wurde. Vermutlich handelte es sich aber ursprünglich um eine mindestens 3 m tiefe Grube mit leicht geneigten Wänden und kreisförmiger Grundfläche mit max. 1,80 m Durchmesser, die sich zur Sohle hin verjüngte. Die aus der graubraunen, mittelfesten Verfüllung (Bef.-Nr. 91) geborgene Keramik präsentiert sich uneinheitlich.  Zu ihr zählen einige latènezeitliche Scherben, ein Fragment aus dem 8./9. Jahrhundert, zahlreiche Bruchstücke römischer Keramik und Fragmente von Gefäßen des 13./14. Jahrhunderts. Neben diesen Altstücken fand sich jedoch auch eine große Zahl unversehrter bzw. aus Bruchstücken wieder nahezu vollständig zusammensetzbarer Gefäße aus dem 14./15. bzw. 15. Jahrhundert. Eine dünne, zur Grubenmitte hin abfallende Lössschicht und das über ihr liegende hellere, relativ lockere Füllmaterial der oberen Grubenhälfte (IF 129, Bef.-Nr. 127) deutet darauf hin, dass die Grube nicht in einem Zug verfüllt wurde.

In Schnitt 2 konnte unterhalb des Estrichs von Keller 2 der unterste Bereich einer weiteren Grube, dokumentiert werden. Die gesamte Verfüllung (Bef.-Nr. 98 und 99) dieser Grube 111 enthielt an Altmaterial Bruchstücke römischer Keramik. Aus ihrem stratigraphisch mittleren Bereich stammen einige Bruchstücke aus dem 14. Jahrhundert, das oberste Füllmaterial des Grubenrests war mit zahlreichen Scherben aus dem 14./15. Jahrhundert versetzt und enthielt auch ein Fragment einer Schüsselkachel aus dem 15. Jahrhundert. Die primäre Nutzung der Grube bleibt unbekannt, sekundär wurde sie mit Abfall verfüllt.
An der nordwestlichen Kante wird die Grube 111 von einem Pfostenloch (IF 110, Bef.-Nr. 100) mit Keilstein geschnitten, in dessen Verfüllung neben Fragmenten römischer Keramik auch Scherben aus dem 15. Jahrhundert angetroffen wurden.

Der Grubenrest 111 und ein Pfostenloch. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Im nördlichen Bereich von Schnitt 2 konnte direkt über dem anstehenden Schotter eine Planierung (Bef.-Nr. 73) nachgewiesen werden. In ihr eingebettet waren Fragmente römischer Ziegel,  einige Scherben aus dem 14. Jahrhundert und Bruchstücke von Keramik aus dem 15. und 15./16. Jahrhundert. Die Planierung, bei der es sich eigentlich um im Zuge von Bauarbeiten festgetretenes Erdreich handeln dürfte, muss also spätestens im 15./16. Jh. erfolgt sein.

Überblick über Schnitt 2, im Vordergrund die Planierung Bef.-Nr. 73. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Im Süden von Schnitt 1 können die beiden Gruben 121 und 133 als zu einem Siedlungsobjekt zugehörig angesehen werden. Die jüngere Grube 121 war in ihrem oberen Bereich von annähernd runder Gestalt und erstreckte sich über die Grube 133. Im Süden vertiefte sie sich, der untere Bereich wurde nierenförmig mit annähernd senkrechten Wänden und schnitt in den anstehenden Schotter sowie die südliche Kante von Grube 133. Die Verfüllung (Bef.-Nr. 113) bestand aus graubraunem bis grünlichbraunem, eher lockerem Material, das mit Steinen versetzt war. Das Fundmaterial, darunter vollständig erhaltene Gefäße, datiert vom späten 14. bis in das späte 15. Jahrhundert. Als jüngster Fund ist der Boden eines glasierten Kruges (MV 105286) anzusehen, der nur pauschal Spätmittelalter/Neuzeit datiert werden kann.
Die in den anstehenden Schotter und den darunterliegenden Tegel eingetiefte Grube 133 war in ihrer Grundform rechteckig mit stark abgerundeten Ecken, die sie an der Oberkannte annähernd rund erscheinen ließen. Ihr Durchmesser betrug ca. 2 m. Die Grubenwände waren leicht geneigt, die Sohle (Unterkante 38,05 über Wr. Null) uneben und stufig. Ihre Verfüllung (Bef.-Nr. 126) bestand aus grauem, stellenweise gelblichem bis rotbraunem, mittelfestem Material, das mit Steinen, Holzkohle und Ziegelbruch versetzt war. Darüber hinaus zeigte sie im Randbereich eine grüne Verfärbung, wie sie für Latrinen typisch ist. Die aus ihr geborgene Keramik, darunter vollständig erhaltene Gefäße, datiert in das 14. und 15. Jahrhundert.
Das Siedlungsobjekt begann sein Leben offenbar als Latrine (IF 133, Bef.-Nr. 126). Diese scheint zunächst erweitert (Grube IF 121, Bef.-Nr. 113), danach jedoch bald aufgegeben und zur Abfallentsorgung genutzt worden sein. Die Verfüllung wird sich im Lauf der Zeit verdichtet haben, sodass ihre Oberfläche einsank. Eine darüber eingebrachte Lage an Steinen gemischt mit Ziegeln (Bef.-Nr. 50) sollte offenbar das Niveau wieder ausgleichen und dürfte bereits mit der Errichtung der neuzeitlichen Keller in Zusammenhang stehen.

Im Vordergrund die neuzeitliche Stein-/Ziegellage Bef.-Nr. 50, die sich über den Gruben 121/133 befand. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Die Verfüllung Bef.-Nr. 113 der Grube 121. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Das Interface der Grube 121. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Die Verfüllung Bef.-Nr. 126 der Grube 133 und das Interface der Grube 121. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Das Interface der als Latrine genutzten Grube 133 und das Interface der Grube 121. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Stratigrafisch ebenfalls dem spätmittelalterlichem Grubenhorizont zuzuweisen sind zwei stark durch jüngere Einbauten gestörte Grubenreste im nordwestlichen Bereich von Schnitt 1. Grube 137 besaß einen ovalen Grundriss mit einer Länge von 1,30 m, ihre Unterkante lag ca. 38,60 m über Wr. Null. Die Verfüllung (Bef.-Nr. 135) bestand aus grauen bis grünlichgrauem lockerem Material und war mit Ziegelbruch, Holzkohle und Steinen versetzt. Grube 136 wurde in ihrem südlichen Bereich von Grube 137 geschnitten und wies einen rechteckigen Grundriss mit abgerundeten Ecken von mindestens 0,90 x 1,40 m auf. Ihre Unterkante wurde nicht ergraben. Die Verfüllung (Bef.-Nr. 134) bestand aus graubraunem bis grünlichgrauem, mittelfestem Material, das mit Ziegelbruch, Holzkohle und Steinen versetzt war. Die Form der Grube 136 deutet darauf hin, dass es sich um eine Latrine gehandelt haben dürfte, die einmal erweitert wurde (Grube 137). Die stellenweise grünliche Färbung des Füllmaterials, dessen Schichtabfolge sich über beide Gruben erstreckt, unterstützt diese Interpretation.

Das Interface der Grube 137 und das Interface der Grube 136. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Fazit
Im Spätmittalter wurden im Hofbereich der Häuser Hernalser Hauptstraße 63 und 61 Gruben angelegt, von denen drei zunächst in primärer Funktion als Latrinen dienten. Dabei entfiel eine Latrine auf das Grundstück von Haus 63 und zwei auf jenes des Hauses 61. Aufgrund der Beschaffenheit der Verfüllungen kann angenommen werden, dass die Latrinen weitgehend geräumt und danach mit Abfall sowie bei Arbeiten auf den Grundstücken abgetragenem Erdreich, das Produktionsabfall der hangaufwärts gelegenen römischen Ziegelei enthielt, aufgefüllt wurden. Dies gilt auch für jene Gruben, deren primäre Funktion nicht mehr ermittelt werden kann.
Die drei Gruben am westlichen Rand des Grundstücks hinter Haus 63 blieben an ihren Oberkanten weitgehend unversehrt, da sie immer unter der Pflasterung des Hofbereichs lagen. Sie wurden erst durch den Einbau eines Kanals sowie jüngstes Baugeschehen gestört. Die oberen Bereiche der anderen Grube wurden in Zuge die Anlage von Kellern in der frühen Neuzeit erfasst und abgetragen. Zum Teil erfuhren ihre verbliebenen Reste eine nochmalige Verringerung durch Baumaßnahmen des 18. und 19. Jahrhunderts.