Datum: 28.06.2023 | Autorin: Christine Ranseder
Fundort: Wien 1, Werdertorgasse 6 | Zeitstellung: (Zweite Hälfte) 16. Jahrhundert

Das Fundmaterial aus der Grabung Werdertorgasse 6 zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Gegenständen aus Metall aus. Der im landseitigen Bereich der Uferbefestigung in einer Anschüttung von mit Abfall versetztem Erdreich zu Tage gekommene Teil eines Taschenrahmens blieb allerdings ein Einzelstück.

Beschreibung und Einordnung des Taschenrahmens

Bei dem Fund aus Eisen handelt es sich um einen an beiden Enden am Ansatz der Ösen abgebrochenen ovalen Reifen auf dem ein kleinerer Reifen aufsitzt. Gemeinsam rahmten und unterteilten sie einst die Öffnung(en) einer Gürteltasche. Der hintere − in diesem Fall vermutlich gerade und aufgrund des Abstands der Enden relativ lange − Teil mit drehbarer Aufhängevorrichtung, in der englischsprachigen Literatur als “purse barˮ 1 bezeichnet, fehlt.

Der Taschenrahmen und wie die Tasche möglicherweise ausgesehen hat. (Fotos/Reko: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Die beiden mit zwei Gelenken verbundenen Teile des Taschenrahmens unterscheiden sich sowohl in der Größe als auch in der Konstruktion. Die Außenbreite des verbogenen Hauptreifens mit rechteckigem Querschnitt beträgt 10,7 cm, seine erhaltene Höhe 8,4 cm. An seiner Unterseite verläuft ein Draht (Dm 1 mm), an dem ursprünglich zumindest ein Taschenbeutel aus Leder oder Stoff befestigt war. An der Oberseite befindet sich an seinem Scheitel ein im rechten Winkel abstehender Dorn. Dieser gehört zu einem Verschlussmechanismus, dessen Feder sich an der Innenseite des zweiten, kleineren Reifens mit gewinkeltem Querschnitt befindet. Letzterer ist mittels beidseitig etwa auf halber Höhe des primären Reifens angebrachter Gelenke mit diesem verbunden. Die maximale Außenbreite des sekundären Reifens beträgt 10,4 cm, seine Höhe 4,2 cm. In seinem Fall dienten zur Befestigung des zweiten Beutels Annählöcher (Dm 2,5 mm). War der kleinere Reifen heruntergeklappt, konnte in einen Beutel gegriffen werden. Um an den Inhalt des anderen Taschenbeutels zu gelangen, musste das Verschlusskügelchen gedrückt und der Reifen hochgeklappt werden.

Der zweiteilige Taschenrahmen (MV 97.705/19) aus der Grabung Werdertorgasse 6, Wien 1. Die beiden Ösen zur Befestigung an der Aufhängevorrichtung (“purse barˮ) sind abgebrochen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Vier Ansichten eines der Gelenke, mittels derer die beiden Reifen verbunden sind. Klappte man den kleineren Reifen nach oben, konnte in einen zweiten Taschenbeutel gegriffen werden. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Der Verschlussmechanismus: Zum Öffnen wurde die Feder am kleineren Bügel mittels eines Stifts (Dm 2 mm) mit Kugelkopf (Dm 4 mm) nach unten gedrückt. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Zwei Vorschläge zur Anbringung der Taschenbeutel am Rahmen: Die Variante A mit einem mittels Zugbands geschlossenen inneren Beutel folgt der Interpretation von Olaf Goubitz. Bei Variante B bleibt der größere Eingriff offen. Am kleineren Reifen und einem Abschnitt des Drahtes, der den größeren Beutel trägt, ist − ähnlich wie bei einer Bügeltasche − ein Beutelchen befestigt. Sein Zuschnitt ist asymmetrisch: Eine Hälfte ist als Abdeckung straff gespannt, die andere Hälfte hängt in den größeren Beutel hinein. (Fotos und Rekonstruktion: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)
Weitere Vorschläge zur inneren Gliederung der Gürteltasche: Die Variante C weist eine Zwischenwand auf, die mit der Seitennaht des Beutels zusammengefasst ist und als Abdeckung über die Oberseite des kleineren Reifens geführt wird. So entstehen zwei Fächer. Bei Variante D ist als Einsatz in Fach 2 ein Zugbeutel hinzugefügt. (Fotos und Rekonstruktion: Stadtarchäologie Wien/Christine Ranseder)

Nach Olaf Goubitz fällt der Fund in die Kategorie der “Framed pursesˮ. 2 Er unterscheidet vier Typen: “..: the Ring-framed purse, with variants termed Double ring-framed purse, Secondary ring-framed purse and Hinged-ring framed purse; the Harp-framed purse; the Spring-catch framed purse, with a square or curved frame; and the Bar purse.ˮ 3 Die Einordnung des Taschenrahmens aus der Werdertorgasse 6 lässt sich weiter präzisieren. Es handelt sich um einen Teil einer “Ring-framed purseˮ, Variante “Hinged-ring framed purseˮ, deren Datierung Olaf Goubitz ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ansetzt. 4

Eine Bügeltasche aus dem 15.−16. Jahrhundert, an der an einer Seite ein ringgerahmter Beutel mit Zugkordel angefügt ist. (The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters Collection, 1955)

Ähnliche − wenngleich einfacher konstruierte − in der Form ovale (“bun shapedˮ), glatte, mit Ritzverzierung bzw. Inschriften versehene Taschenrahmen aus dem Bestand des Museum of London werden vom 14. bis in das frühe 16. Jahrhundert datiert. Ein weiteres Exemplar mit Niello-Dekoration aus dem späten 15. Jahrhundert befindet sich im Victoria and Albert Museum, London.

Im täglichen Leben wird die ringgerahmte Gürteltasche (“Ring-framed purseˮ) im Laufe des 16. Jahrhunderts von der Bügeltasche (“Spring-catch purseˮ) verdrängt. 5

Eine interessante Mischform stellen Taschen mit Bügel dar, denen ein- oder beidseitig ringgerahmte Beutel angefügt sind. Ein schön gearbeitetes Exemplar dieser Art, als Bügeltasche für Frauen angesprochen und Mitte 16. Jahrhundert datiert, befindet sich zum Beispiel im Bestand des Bayerischen Nationalmuseums, München. 6 Für den in der Werdertorgasse gefundenen Taschenrahmen ist aufgrund des Fehlens der Aufhängevorrichtung die Zugehörigkeit zu diesem Taschentyp nicht gänzlich auszuschließen, sie erscheint jedoch als unwahrscheinlich.

Kulturgeschichtliche Einordnung der ringgerahmten Gürteltasche

Taschen mit einem Metallring oder -reifen als Rahmung der Öffnung (“Ring-framed pursesˮ) waren nur eine der vielen Taschenformen, die in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zur Auswahl standen. So bietet zum Beispiel der Beutler in dem von Jost Amman illustrierten Buch „Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden […]“, Frankfurt am Main 1568, neben einer ringgerahmten Zwillingstasche (“Double ring-framed purseˮ) vorwiegend Bügeltaschen (“Spring-catch framed pursesˮ) und Stielbeutel an.

Unter den zum Verkauf stehenden Taschenmodellen befindet sich auch eine doppelte ringgerahmte Gürteltasche (grün hervorgehoben). Jost Amman, Der Beutler, Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden […], Frankfurt am Main 1568, fol. 34r. (Germanisches Nationalmuseum, Digitale Bibliothek, 8o L. 2083)
Ein großes Repertoire verschiedener Bügeltaschen ist auch am Buchdeckel des Manuskripts der Nürnberger Beutlerzunft aus dem Jahr 1599 zu sehen. 7

So unterschiedlich wie die Form dieser Taschen und Beutel aus Leder oder Stoff waren auch ihre Verschlüsse. Deren Qualität der Ausführung reicht von Eisen bis zu Edelmetall und von funktional glatt bis zu aufwändig, mitunter sogar plastisch, verziert. Eine Abbildung in den Hausbüchern der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen legt nahe, dass die Anfertigung der Metallteile mancherorts in den Händen eines eigenen Gewerbes, den Taschenbügelmachern, lag. Die Fertigung der Taschen erfolgte jedoch durch Beutler/Taschenmacher, die diese dann auch verkauften.

Links: Ein Beutler namens Herman sitzt an einem Tisch, auf dem auch eine ringgerahmte Gürteltasche liegt. (Die Hausbücher der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen, Amb. 317.2° fol. 22r [Mendel I], um 1425). Rechts: Taschenbügelmacher Martin Neubauer bei der Arbeit. (Die Hausbücher der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen, Amb. 317.2° fol. 118v [Mendel I], 1503)
Im Gegensatz zu heute wurden diese Taschen nicht an einem Schulterriemen getragen, sondern sie hingen am Gürtel. In den zum Teil sehr geräumig wirkenden Behältnissen wurden Geld, kleine persönliche Gegenstände und nützliche Utensilien mitgeführt. Bildquellen zeigen, dass der Eingriff der ringgerahmten Gürteltaschen meist offen blieb, denn das Gewicht des Inhalts zog den Metallreif nach unten und drückte ihn an die Rückseite des Beutels − so keine sperrigen Dinge in der Tasche steckten oder nachlässig aus ihr heraushingen, wie der Rosenkranz des Hl. Christophorus auf einem steirischen Flügelalter aus dem Jahr 1509.  Da der Mittelteil der Aufhängevorrichtung vieler ringgerahmter Gürteltaschen drehbar war, konnte ihre Öffnung zum Schutz vor Taschendieben zum Körper hin gewendet werden. Es gab aber auch Modelle deren „Weichteile“ aus Leder oder Textil über den Rahmen reichten und wie ein Beutel mit einem Zugband geschlossen werden konnten.

Bei archäologischen Ausgrabungen werden von Bügeltaschen aller Art zumeist nur die aus Metall gefertigten Teile gefunden. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist ein lederner Taschenbeutel, in dessen Öffnung noch Teile eines Holzringes steckten, der am Marktplatz von Wrocław zu Tage kam. In den Zeitraum von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zum ersten Drittel des 14. Jahrhunderts datiert, kann dieses Unikat als ältestes erhaltenes Beispiel einer “Ring-framed purseˮ angesehen werden. 8

Der Taschentyp an sich dürfte jedoch noch älter sein, wie Darstellungen ringgerahmter Gürteltaschen im Codex Manesse, ca. 1300 bis ca. 1340, nahelegen.

Der Eingriff in die ringgerahmte Gürteltasche in der linken Abbildung ist offen, jener in der Abbildung rechts beutelartig mit einem Zugband geschlossen. Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340 (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, fol. 64r, Herr Dietmar von Ast und fol. 394r, Kunz von Rosenheim)

Als weitere frühe Beispiele können Abbildungen in der 1349−1351 datierten Handschrift Concordantiae caritatis, Lilienfeld (Niederösterreich), dem Jagdbuch des Gaston Phebus (Gürteltasche mit und ohne Zugband) und auf einem Tafelbild mit der Darstellung der Flucht des Hl. Joseph aus dem Atelier de Maître du Paradiesgärtlein, 1409−1419 genannt werden.

Die am Gürtel getragenen Taschenformen verschwanden mit dem Wandel der Mode ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, weil Taschen zunächst in Hosen und Frauenröcke eingearbeitet wurden. 9 Später, etwa von der Mitte des 17. Jahrhunderts an, banden Frauen Stoffbeutel unter der Kleidung um.10 Hingegen erfreuten sich Männer weiterhin einer Vielzahl an in diverse Kleidungsstücke eingearbeiteten Taschen − von der Hosentasche über die kleine Tasche in der Weste bis zu geräumigen Taschen in Justaucorps oder Jacke.

Die Form der am Gürtel getragenen ringgerahmten Taschen lebte jedoch im 17. Jahrhundert als sog. Jagdtasche in unterschiedlicher Ausführung weiter. Es gab sie sowohl mit offenem Eingriff − wie die prächtige Jagdtasche des Maximilian I. von Bayern, um 1610/30 oder das schlichtere Exemplar auf dem Porträt eines Falkners von Johann Spielberg, um 1665−1675 − als auch mit Zugband, wie auf einem um 1660 entstandenen Jagdstillleben von Cornelis Lelienbergh. Ringgerahmte Zwillingstaschen − wie das herrliche blaue Exemplar auf einem Stillleben mit Jagdgeräten und toten Vögeln, 1668, von Willem van Aelst − sind ebenso zu finden, wie dreiteilige Kombinationen mit Bügeltasche (“Spring-catch purseˮ) in der Mitte und seitlich angefügten ringgerahmten Taschen.

Fazit

Der in der Werdertorgasse gefundene, verhältnismäßig aufwändig gearbeitete Taschenrahmen lässt sich Olaf Goubitz folgend in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datieren. Untermauert wird diese Zeitstellung durch die Verbindung der beiden Rahmenteile mit massiven Gelenken, die auf älteren Taschenrahmen dieser Art fehlen.

Über Form, Material, Verzierungen und Größe der Tasche lassen sich nur noch Vermutungen anstellen. Sicher ist, dass sie eines Tages zu gut gefüllt war und der Taschenrahmen an beiden Enden brach. Unbrauchbar geworden, landete das Accessoire im Abfall. Ob die Gürteltasche zu diesem Zeitpunkt noch vollständig war oder Teile von ihr zur Wiederverwendung abgetrennt worden waren, ist ungewiss. Im Boden überdauerte nur der eiserne Rahmen, der Jahrhunderte später unser kärgliches Wissen über die Taschenmoden in der Frühen Neuzeit bereichert.

  1. David Williams, Copper-alloy Purse Components: A new classification using finds from England and Wales recorded by the Portable Antiquities Scheme, The Finds Research group, Datasheet 50, 2018
  2. Olaf Goubitz, Purses in Pieces. Archaeological finds of late medieval and 16th-century leather purses, pouches, bags and cases in the Netherlands, Zwolle 2009, S. 47−59
  3. Goubitz (Anm. 2), S. 47
  4. Goubitz (Anm. 2), S. 51 f., Fig. 81, Fig. 82
  5. Annemarieke Willemsen, The leather and textile for the frame: From David Williams´purse bars to excavated, preserved and depicted medieval purses. In: D. Boughton & K. Hawkins (eds.), Back in the bag, Essays exploring artefacts in honour of David Wynn Williams, Woking 2022, S. 111−119, bes. S. 113
  6. Inv.-Nr. T 4096, siehe dazu Renate Eikelmann (Hg.), Taschen. Eine europäische Kulturgeschichte 1500−1930. Der Bestand des Bayerischen Nationalmuseums, München 2013, S. 46 f, Kat.-Nr. 4
  7. München, Bayerisches Nationalmuseum, Bibl 598. Für einige Abbildungen und einen Abdruck des Textes siehe Eikelmann (Anm. 6), S. 325–331, bes. Abb. 62
  8. Jakub Sawicki, A unique late medieval framed purse from New Market (Nowy Targ) square in Wrocław, In: Komunikaty Naukove. Kwartalnik Historii Kultury Materialnej 67 (4), 2019, S. 521−530, https://doi.org/10.23858/KHKM67.2019.4.007
  9. Eikelmann (Anm. 6), S. 20 f. und Anm. 14
  10. Barbara Burman/Ariane Fennetaux, The Pocket. A Hidden History of Women´s Lives, New Haven/London 2019