Die Grabung in der Werdertorgasse 6 ist abgeschlossen!

Autorin: Ingrid Mader

Jetzt kann es ans Auswerten der Befunde und Funde gehen.
Aufmerksame LeserInnen konnten sich bereits erste Einblicke in die spätmittelalterlichen/frühneuzeitlichen Befunde in der Werdertorgasse 6 verschaffen.  Zusammenfassend sei es gestattet, das eine oder andere noch zu ergänzen.

Die Schotterung mit den Fahrrillen. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Nach Abtragen zahlreicher horizontal gelagerter Planierschichten im Ausmaß von ca. 2,60 m Gesamtdicke, ausgehend von der Gehsteigkante, und nachfolgenden vertikal in den Boden abgesenkten Planier-/Sedimentschichten von ca. 4 m Stärke, wurde an drei Stellen eine Schotterschichte angetroffen. Im nordöstlichen Parzellenbereich waren noch Reste von Fahrrillen erkennbar, die einen Abstand von ca. 0,90 m voneinander aufwiesen. Vornehme Kutschen sind hier vermutlich nicht unterwegs gewesen, weist die Spurweite doch eher auf Karren hin. Das passt hervorragend in das Gesamtumfeld, denn wir befinden uns auf dem Terrain, auf dem in der Mitte des 16. Jahrhunderts eine große Bastion – die Neutorbastion – entstanden ist. Hier lag also eine Großbaustelle mit der Notwendigkeit eines umfangreichen Materialtransports.

Die Uferbefestigung, eine Stein-Faschinen-Holzkonstruktion. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Die Schotterung deckte eine NW-SO fluchtende Stein-Faschinen-Holzkonstruktion ab. (Faschinen sind Reisig-/Rutenbündel, die im Uferbau vor allem zur Verlandung eingesetzt werden.) Das Bauwerk kann als Teil einer Uferbefestigung eines Altarms der Donau bezeichnet werden. Alle freigelegten Holzteile wiesen durch das feuchte Milieu einen guten Erhaltungszustand auf, sodass eiligst danach getrachtet wurde, umfangreiche Beprobungen vorzunehmen.

Jetzt muss man sich natürlich nochmals vergegenwärtigen, wo wir uns topografisch befinden: Vor der Errichtung der Neutorbastion erstreckte sich hier ein Teil der ehemaligen Vorstadt vor dem Werdertor bzw. im Oberen Werd. Diese  Siedlung war ähnlich den anderen vier Wiener Vorstädten (Schottentor, Stubentor, Kärntnertor, Widmertor) vor einem Stadtzugang, eben dem Werdertor, gelegen. Mit der allmählichen Verlandung des stadtnahen Donauarmes hatte sich die Siedlung erweitert. Zahlreiche Planierungsmaßnahmen und durch Menschen verursachte Ablagerungen untermauern die Annahme, dass das Terrain immer wieder von Hochwässern gefährdet war und in der Folge daher öfter verfestigt werden musste. Diese Abläufe lassen sich durch den archäologisch bedingten Abtrag der Schichten gut nachvollziehen.

Südostprofil der Bauparzelle WTG 6. Die hölzerne Uferverbauung zeichnet sich im Profil ab. Rechts davon sind in diesem Abschnitt die unterhalb einer Steinlage platzierten Faschinen zu sehen. Links und rechts davon die Sedimentablagerung im ehemaligen Uferrandbereich. (Foto: Stadtarchäologie Wien)
Nagelheber, Werkzeug für Lederer oder Polsterer geeignet. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Zahlreiche Lederfunde und -abfälle weisen auf Leder verarbeitende Betriebe hin, vor allem auf das Handwerk der Schuhmacher und Sohlenschneider. Durch urkundliche Erwähnungen ist mehrfach bezeugt, dass entsprechende Handwerker in der nahe gelegenen Werder Vorstadt ansässig waren.

Das Ende der Siedlung im Oberen Werd kam vermutlich mit der Ersten Türkenbelagerung Wiens im Spätsommer 1529.  Ein Zerstörungshorizont, der mit diesen Ereignissen in Zusammenhang gebracht werden könnte, war im ufernahen, morastigen Bereich nicht feststellbar. Später wurde das Areal im Bereich des möglicherweise bereits gänzlich verlandeten Altarms durch eine Abfolge verschieden dicker Planierschichten als Baugrund für die Neutorbastion aufbereitet, wobei die über einige Meter erhöhte Uferbefestigung als feststehendes Konstrukt die Ablagerungsmethode (schräg in Richtung Boden) der Sedimente und die Abfallentsorgung bestimmte.

Reste der Neutorbastion und die ältere Uferbefestigung. (Foto: Stadtarchäologie Wien)

Durch das Abtragen dieser Konstruktion konnte festgestellt werden, dass die Uferbefestigung in weitere Sediment-/Ablagerungsschichten eingetieft worden war. Ein Hinweis darauf, dass das vorgefundene Bauwerk zwar der Endpunkt des Überschwemmungs-Ablagerungs-Verfestigungsprozesses war, aber sicherlich nicht der Beginn.

Jedenfalls werden wir, die WissenschafterInnen der Stadtarchäologie Wien, in den nächsten Wochen und Monaten mit der Nachbereitung der Ausgrabung in Atem gehalten werden. Vor allem die Ergebnisse der Bestimmung und Untersuchung des Holzes sowie anderer organischer Materialien erwarten wir mit Spannung.

Foto: Lagebesprechung-in medias res. (Foto: Stadtarchäologie Wien)