Von der Saliterei zum Palais

AutorInnen: Heike Krause, Fabian Benedict, Michaela Binder | Stand: 5.8. 2021

In den Kellern der Häuser Friedrich-Schmidt-Platz 4–5, vis-à-vis vom Rathaus, trafen wir wieder einmal auf einen Brunnen sowie auf zahlreiche Planierschichten. Im Vorfeld der Errichtung der neuen Trasse der Linie U2 wurden im Februar 2020 auch hier Hausertüchtigungsmaßnahmen durchgeführt. Doch bevor wir die Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen präsentieren, werfen wir einen Blick zurück auf die Veränderungen in den vergangenen fünf Jahrhunderten.

Auf den heutigen Parzellen entstand von 1837 bis 1839 das Fideikommisspalais für die gräfliche Familie Czernin.1 Der nördliche Teil des Baus wurde aber abgebrochen und 1914 bis 1916 durch ein neues Bürohaus (Friedrich-Schmidt-Platz 5) ersetzt. Das Palais lag am westlichen Rand des bis ca. 1870 bestehenden Josefstädter Glacis mit seinem Exerzier- und Paradeplatz.

Das Czerninpalais auf einer Ansichtskarte, um 1898. Auf der linken Seite das Haus Friedrich-Schmidt-Platz 4, rechts der Vorgängerbau des heutigen Hauses Friedrich-Schmidt-Platz 5. (© Wien Museum)

Wirtschaftliche Nutzung am Rande des Glacis

Das nach der Ersten Belagerung durch die Osmanen 1529 angelegte freie Schussfeld vor dem Festungsgraben – in Wien gemeinhin Glacis genannt – wurde erst sukzessive erweitert und erreichte nach 1683 seine größte Ausdehnung. Vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert könnte es demnach an der Stelle des späteren Palais noch Siedlungs- und Wirtschaftsaktivitäten gegeben haben.

Ausschnitt aus dem Plan des Bonifaz Wolmuet von 1547 mit der Löblbastion, dem Glacis vor dem Stadtgraben und den daran anschließenden Wirtschaftsflächen. Gelber Pfeil: Ungefähre Lage des späteren Palais. Westen ist unten. (© Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kopie von Albert Camesina)

Im Plan von Werner Arnold Steinhausen aus dem Jahr 1710 ist hier eine große Grube erkennbar, die durch Rohstoffabbau für eine nahe Ziegelei2 entstanden ist, wobei bereits ältere Siedlungsreste abgetragen worden sein könnten.

Links: Die „Sandgrube“ im Steinhausen-Plan von 1710 in der Kopie von August Schimmer. Rechts: Ausschnitt aus dem Plan des Glacis von 1781 mit der Saliterei anstelle der Sandgrube. Südwesten ist oben. (© Wiener Stadt- und Landesarchiv)

Nach Auflassen der „Sandgrube“ wurde um 1780 eine Saliterei, die sogenannte k. k. Josephstädter Hauptsalpeterei errichtet, die in verschiedenen historischen Plänen zu erkennen ist und innerhalb des Fortifikationsrayons lag. Aus stickstoffreichem Dung und Harn, vermengt mit Kalk und Holzasche, wurde hier Salpeter hergestellt. Dies benötigte man vor allem für die Herstellung von Schwarzpulver. Es dürfte dort also nicht gut gerochen haben!

Nachdem die Saliterei 1826 an den äußeren Rand der Vorstadt Schottenfeld verlegt worden war, wurde das Areal parzelliert und zur Bebauung freigegeben. Eine Überlagerung historischer Pläne mit der aktuellen Stadtkarte zeigt, dass das Czerninpalais im südlichen Bereich der ehemaligen Saliterei entstand.

Unter den Kellerböden

Was entdeckten die Archäologinnen und Archäologen nun in den Kellern? Bis in eine Tiefe von zwei Metern wurde stellenweise gegraben, wobei massive Planierschichten mit zahlreichen neuzeitlichen Fundstücken zum Vorschein kamen.3 Es bot sich ein buntes Spektrum: Reste von Haushaltsgeschirr wie Töpfe, Pfannen, Krüge, Deckel, Fragmente von Mahlhorntellern, Porzellan- und Fayenceobjekten, aber auch von Ofenkacheln und einem Nachttopf.

Einige der verschiedenen Geschirrfragmente während der Fundinventarisierung. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Das Bruchstück einer Untertasse mutet aufgrund seiner Bemalung chinesisch an, weist auf seiner Unterseite aber die Marke der kaiserlichen Porzellanfabrik auf, die nach 1762 in Verwendung stand: Der Bindenschild mit darunter befindlichem Buchstaben „H“.4 Bei einem weiteren Fragment eines eckigen Porzellantellers dürfte es sich vielleicht sogar um ein chinesisches Importstück aus der Zeit zwischen 1700 und 1720 handeln. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass wir es auch hier mit einer Imitation aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – einer sogenannten Chinoiserie – zu tun haben.

Ein seinerzeit unentbehrliches Haushaltsutensil stellt ein Fingerhut dar, in dem noch Gewebereste mit Leinwandbindung erhalten waren. Wer da wohl nicht fertig geworden ist mit der Handarbeit?

Links: Das Bruchstück einer Untertasse – eine Chinoiserie. Rechts: Fingerhut mit Textilresten. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Etwas kontrastierend zum edlen Tafelgeschirr fanden sich aber auch Tierknochen mit Hackspuren und zerteilte Langknochen als Abfall der Fleischverarbeitung und Markextraktion. Apropos Tierknochen: Aus diesen stellte man einst unter anderem Knöpfe und Paternosterperlen her. Derartige Abfallprodukte gelangten ebenso in diese Schichten.

Abfall der Knopf- oder Paternosterproduktion. (Fotos: Stadtarchäologie Wien)

Die aufgefundene Haushaltskeramik datiert in das ausgehende 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert. Die Planierschichten dürften aufgrund dieser Datierung, aber auch wegen der Auffüllung der ehemaligen Sandgrube und des Abbruchs der Saliterei im Vorfeld der Bautätigkeiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sein. Dazu wurden wohl auch Müll und Schutt aus Haushalten der nahen Umgebung verwendet.

Ein Brunnen unter einer Mauer

Unter einer der südlichen Kellermauern des Hauses Friedrich-Schmidt-Platz 4 kam ein Entlastungsbogen zum Vorschein, häufig ein Zeichen dafür, dass sich darunter ein aufgelassener, älterer Brunnen befindet. Tatsächlich tat sich hier ein Hohlraum unter der Mauer auf und die Reste eines Brunnenkranzes aus grob zugehauenen Steinen mit einem Innendurchmesser von 1,24 m kamen zum Vorschein.

Oben: Entlastungsbogen in der Kellermauer mit darunter befindlichem Brunnenkranz. Unten: Der freigelegte Brunnen. (Fotos: Stadtarchäologie Wien/Novetus GmbH)

Die grob behauenen Steine und die Trockenbauweise könnten eventuell auf eine noch mittelalterliche Zeitstellung hindeuten. Hier dürfte also einst der Rand der Sandabbaugrube gelegen sein, so dass der Brunnen seiner Zerstörung entkam und vielleicht auch noch länger genutzt wurde.

Anmerkungen:

  1. Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien II. bis IX. und XX. Bezirk, Wien 1993, S. 349.
  2. Die Ziegelei ist in historischen Plänen und Ansichten wiedergegeben, zum Beispiel im Plan „Vienna à Turcis obsessa & Deo Dante a Christianis eliberata, 1683“ von Domenico Rossetti und Bartholomeo Camuccio nach Leander Anguissola.
  3. Herzlicher Dank an Ingeborg Gaisbauer (Keramik), Sigrid Czeika (Tierknochen), Sabine Jäger-Wersonig (Metall) und Kinga Tarcsay (Glas), Stadtarchäologie Wien, für die Bestimmung des Fundmaterials.
  4. Waltraud Neuwirth, Wiener Porzellan. Vom Spätbarock zum Art Déco – im Zeichen des Bindenschilds (Ausstellung 31. März bis 28. Oktober 1990, Schloss Herberstein), Wien 1990, S. 54, Nr. 23.