Autorin: Christine Ranseder
Die Sehnsucht nach ein bisschen Exotik im tristen Alltag ist kein modernes Phänomen. Neue Entdeckungen zogen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert immer wieder begeistert angenommene Moden – von der Turkomanie bis zur Ägyptomanie – nach sich, die ihren Niederschlag auch im Geschirr fanden. Ein Beispiel für Chinoiserie kam unlängst im Keller des Hauses Friedrich-Schmidt-Platz 4 zu Tage. Doch was verrät uns der Fund noch?
Der Randdurchmesser der etwa zu einem Drittel erhaltenen Untertasse betrug ca. 13,6 cm. Ihre gebauchte Wand ist für heutige Verhältnisse recht hoch, darüber hinaus besitzt sie einen Standring. An der Unterseite des Bodens befindet sich ein blauer Bindenschild, darunter der Buchstabe H. Damit gibt sich der Fund als Produkt der Wiener Porzellanmanufaktur zu erkennen.
Die Wiener Porzellanmanufaktur wurde 1718 als Privatunternehmen von Claudius Innocentius Du Paquier gegründet. Im Jahr 1744 übernahm wegen hoher Schulden die Hof-Banco-Deputation das Unternehmen, das somit in kaiserlichen Besitz gelangte. Die Anbringung des blauen Bindenschildes wurde ab 1749 (bis 1827) verpflichtend. Nach 1762 kombinierte man die Marke fallweise mit Buchstaben. Die Einstempelung von Jahreszahlen wurde erst 1783 eingeführt.
Bedauerlicherweise fehlen bei unserem Fund rund zwei Drittel des Bodens, es lässt sich daher nicht mehr feststellen, ob ursprünglich eine Jahreszahl oder eine Maler- bzw. Weißdrehernummer vorhanden war. Die Datierung unseres Untertassenfragments lässt sich daher mit 1762 zwar nach unten, aber nur schwer nach oben abgrenzen.
Als Dekor zeigt unser Bruchstück das beliebte Fels-und-Vogel-Motiv, das auf asiatischen Vorbildern beruht. Zunächst von der ersten europäischen Porzellanmanufaktur in Meißen bekannt gemacht, wurde das Muster bald von anderen Herstellern imitiert. In das Repertoire der Wiener Porzellanmanufaktur übernahm man das Motiv erst um 1760.
Das Interessanteste an dem Fund ist allerdings der Bruch, gibt er doch Dinge preis, die normalerweise verborgen bleiben. Und siehe da, es stellt sich die Frage, ob wir hier nicht Porzellan schlechter Qualität vor uns haben. Die Farbe des Bruchs ist hellbeige, nicht weiß wie bei hochwertigem Porzellan. Die „Massa“ war sichtlich schlecht aufbereitet, denn es verblieben nach der Formung große kantige Hohlräume. Und auch mit der Sinterung wollte es nicht so recht klappen, vereinzelt blieben Quarz-/Feldspat-Partikel sichtbar.
Der Scherben ist – anstatt mit einer transparenten – mit einer weißen opaken Glasur überzogen. Die Malerei erfolgte nicht direkt auf dem Scherben, sondern die blaue Farbe wurde auf die trockene Glasur aufgebracht und sank beim Brand tief ein.
Haben wir hier gar ein Ergebnis der Einführung neuer Erden (1760 und 1762) oder der 1767 erfolgten Experimente auf der Suche nach einer besseren Porzellanmasse vor uns?
Eines ist sicher, die Stadtarchäologie hatte bereits einmal eine Untertasse bescheidener Qualität im Fundmaterial der Grabungen am Michaelerplatz (Fundort Wien 13, bes. S. 191 f., S. 221, Taf. 11, Kat.-Nr. 63), die in Form und Dekor dem hier vorgestellten Fund entspricht. Zu derartigen Untertassen gehörten einst kleine Koppchen, aus denen in der Regel Tee getrunken wurde. Auch ein solches wurde 1990/91 am Michaelerplatz (Fundort Wien 11, bes. S. 172 f., S. 207, Taf. 17, Kat.-Nr. 87) gefunden.