Adresse: Rasumofskygasse 29–31, Wien 3
Anlass: Neubau der Postzentrale | Grabungsjahr: 2014, 2015
Zeitstellung: Urgeschichte, Römerzeit, Mittelalter, Neuzeit
Historischer Kontext
Zahlreiche spätlatènezeitliche Fundstellen im 3. Wiener Gemeindebezirk belegen, dass das Gebiet bereits in dieser Zeit besiedelt war. In unmittelbarer Nähe zur Grabungsfläche wurde im Jahr 2011 ein spätlatènezeitliches Grubenhaus aufgedeckt (Rasumofskygasse 23−25). Es waren also auch auf dem Grundstück Rasumofskygasse 29−31 Siedlungsreste dieser Zeitstellung zu erwarten.
Spätestens ab dem frühen 13. Jahrhundert ist hier wieder mit Siedlungstätigkeiten zu rechnen. Hier entstand vor dem Stubentor entlang des wichtigen Fernhandelswegs Landstraße, eine Vorstadt mit einer dem Hl. Nikolaus geweihten Kapelle sowie das Zisterzienserinnenkloster St. Maria. Beide Sakralbauten wurden 1529 im Zuge der osmanischen Belagerung zerstört – obwohl die Vorstadt bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts befestigt worden war – und nicht wieder aufgebaut. Auf dem Areal des heutigen Rochusmarktes lag von 1563 bis 1784 der sog. Nikolaifriedhof.
Um 1550 wurde das Grundstück des einstigen Klosters zur Aufsiedlung freigegeben und planiert. Dazu zählte auch das Areal Rasumofskygasse 29–31. Viele der hier errichteten Häuschen fielen 1656 einem Großbrand zum Opfer. Die kleinen Parzellen wurden aufgekauft und zusammengelegt. Größere Landhäuser und Palais mit barocken Gartenanlagen konnten nun entstehen. Zu ihnen zählte auch der Vorgängerbau des seit dem 20. Jahrhundert als „Palais Mesmer“ bezeichneten Gebäudes. Bei dem Palais, dessen Grundriss sich seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht mehr veränderte, handelte es sich um ein zweigeschoßiges Gebäude mit zwei kurzen straßenseitigen Seitentrakten, die einen zur Straße hin von einer Mauer begrenzten Ehrenhof flankierten. Zwei Türmchen schmückten das dem Garten zugewandte Dach des Palais. Der große Garten entsprach mit Parterres, einem Wasserbecken, Statuen und der Orangerie dem Geschmack des 18. Jahrhunderts. Nach dem Verkauf des Anwesens 1801 zogen verschiedene Gewerbebetriebe, darunter eine Kamelhaargarnfabrik und die lithographische Druckerei Joseph Trentsenskys, in das Palais ein. Es kam zur Errichtung neuer Gebäude auf dem Grundstück, darunter ein Brennhaus für ein Kunstemailwerk. Durch die intensive gewerbliche Nutzung verschwand zunächst der Garten, schließlich wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch das heruntergewirtschaftete Palais abgerissen.
Vorläufige Ergebnisse der archäologischen Dokumentation
Die Ergebnisse der Ausgrabungen lieferten für zumindest drei Epochen der Wiener Stadtgeschichte bahnbrechende Erkenntnisse. So konnte mit einem frühneolithischen Langhaus der bislang älteste Siedlungsbefund auf Wiener Boden dokumentiert werden. Mit römischer Ware innerhalb spätlatènezeitlicher Fundkomplexe gelang der früheste Nachweis römischer Präsenz lange vor der Errichtung des Legionslagers Vindobona. Schließlich konnte durch die Entdeckung eines mächtigen Sohlgrabens erstmals der archäologische Nachweis einer mittelalterlichen Wiener Vorstadtbefestigung erbracht werden.
Frühneolithikum – Linearbandkeramische Kultur
Über dem anstehenden Löss der Wiener Stadtterrasse folgte ein ca. 60 cm hohes Kolluvium aus hellbraunem, sandigem Lehm, in welchem etwa auf halber Höhe ein durchgehender Horizont mit einer Häufung an linearbandkeramischen Funden dokumentiert werden konnte. Diese Keramik fand sich auch in einer Reihe von Gruben und Mulden und im Bereich eines durch Gräben und Pfostenlöcher nachgewiesenen Langhauses dieser Kultur. Diese Funde und Befunde konzentrierten sich auf den nordöstlichen Teil der Grabungsfläche.
An der nördlichen Grabungsgrenze belegten zwei parallele Wandgräbchen, welche drei Reihen von ebenfalls parallel dazu verlaufenden Pfostenlöchern bzw. Pfostengruben einfassten, ein 5,60 m breites und mindestens 14 m langes frühneolithisches Gebäude.
Spätlatènezeit
Im Nordosten des Grabungsgeländes war auf einer Fläche von ca. 500 m2 eine dichte Abfolge spätlatènezeitlicher Objekte festzustellen. Eines der Charakteristika dieser Objekte war das mehr oder weniger gehäufte Auftreten von fossilen Harzen in allen Verfüllschichten als Überreste einer anzunehmenden Schmuckperlenproduktion.
Zwischen zwei Grubenhäusern folgte eine große, in der Grundfläche annähernd kreisrunde Grube mit einem oberen Durchmesser von mindestens 3 m. Als ihr Charakteristikum kann die hohe Anzahl an Tüpfelplattenfragmenten in der Verfüllung als Nachweise einer keltischen Schrötlingsherstellung gesehen werden.
Die spätlatènezeitlichen Siedlungsstrukturen können mehreren Wirtschafts- bzw. Gewerbebetrieben zugeordnet werden. Der hohe Wasserbedarf dieser Werkstätten manifestierte sich in der Existenz von sechs Brunnen. Dazu kommen wiederum drei bis über 4 m tiefe Schächte, deren Funktion vorläufig ungeklärt bleiben muss. Zwei Grubenhäuser und eine Reihe weiterer kleinerer Gruben komplettieren das Bild eines wohl im Nahbereich des eigentlichen Siedlungszentrums zu lokalisierenden Wirtschaftsareals.
Dass in dieser Siedlung auch römische Artefakte gefunden wurden, darf als kleine Sensation bezeichnet werden: Erstmals wird das direkte Aufeinandertreffen von Römern und Kelten im Wiener Raum konkret fassbar. Mehrere Schreibgriffel und eine Siegelkapsel liefern darüber hinaus den Beleg für den ersten „Briefverkehr“ nach Wien.
Spätmittelalter
Die mittelalterlichen Befunde der Grabung stehen im Kontext zur mittelalterlichen Vorstadt St. Niklas und dem noch vor 1228 gegründeten Zisterzienserinnenkloster St. Maria bei St. Niklas vor dem Stubentor, das nördlich der untersuchten Grabungsfläche lag. Gräber des dazugehörigen Klosterfriedhofs wurden 1995/1996 in der Siegelgasse 1 freigelegt.
Neben einem sogenannten Erdstall und einem Brunnen (u. a. verfüllt mit entsorgten Tierkadavern) ist vor allem der laut schriftlicher Überlieferung 1446 geschaffene 3 m tiefe und 20 m breite Sohlgraben als Teil der Vorstadtbefestigung erwähnenswert.
Neuzeit
Für das Gelände des abgetragenen Klosters und des Sohlgrabens sind ab 1550 Grundbesitzer belegbar. Zur sukzessiven Zusammenlegung von Grundstücken kam es zwischen 1657 und 1675. Wenig später dürfte ein Palais entstanden sein, das Erweiterungen erfuhr und erst im 20. Jahrhundert nach seinem berühmtesten Miteigentümer, dem Arzt Dr. Franz Anton Mesmer (1734−1815) seinen Namen erhielt.
Aus archäologischer Sicht sind mit der anfänglichen Verbauung bzw. der nachfolgenden großflächigen Ebnung des Geländes in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zwei Gruben in Verbindung zu bringen. Eine davon diente ursprünglich als Latrine. Beide Gruben enthielten nennenswerte neuzeitliche Keramik.
Am nördlichen Rand der Grabungsfläche befanden sich zwei weitere Gruben. Hinzu kommen Fundamentmauerreste der ehemaligen Orangerie im Garten des Palais. Zu den Gestaltungselementen des formalen Gartens gehörte auch ein Wasserbecken, von dem ebenfalls ein Rest dokumentiert werden konnte.
Dem Palais Mesmer selbst konnten nur geringe Mauerreste und ein Brunnen zugeordnet werden.
Datum: 24.08.2016 | AutorInnen: K. Adler-Wölfl, H. Krause, M. Mosser, Ch. Ranseder
Literatur (Auswahl)
- Kristina Adler-Wölfl/Martin Mosser, Archäologie am Rochusmarkt – Die Grabungen in Wien 3, Rasumofskygasse 29–31. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 18, 2015, S. 4–48. (PDF 16,2 MB)
- Heike Krause, Die Vorstadt St. Niklas vor dem Stubentor und das Zisterzienserinnenkloster St. Maria. Ausgrabungen in Wien 3, Siegelgasse 1 und Rasumofskygasse 29–31. In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 22, 2019, S. 138–167. (PDF 2,38 MB)
- Constance Litschauer mit einem Beitrag von Günther Dembski, Die geldgeschichtlichen Funde vom Wiener Rochusmarkt als Hinweis auf eine keltische Münzproduktion? In: Fundort Wien. Berichte zur Archäologie 19, 2016, S. 4–22. (PDF 962 KB)
Auf der Website stadtarchaeologie.at
- Ingeborg Gaisbauer, Explosive Behelfe, um das Leben zu nehmen. Fund im Focus, 29.08. 2016.
- Ingeborg Gaisbauer, Blutige „Heilmittel“, um das Leben zu verlängern. Fund im Focus, 12.08. 2016.
- Ingeborg Gaisbauer, Alchemie, Astrologie oder doch nur ein Tipp fürs Wäschewaschen? Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 11.03.2020.
- Constance Litschauer, Tönerne Waffeln? Fund im Focus, 08.12.2017.
- Christine Ranseder, Die „Schöne Wienerin“? Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 21.08.2019.
- Christine Ranseder, Durchgebrannt. Was Gebrauchsspuren an Keramik verraten. Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 17.10.2018.
- Christine Ranseder, Versuch und Irrtum. Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 01.08.2018.
- Christine Ranseder, Abwarten und Tee trinken! Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 05.06.2019.
- Christine Ranseder, Aus der Wundertüte: Wiener Kaffeehauspfeifen. Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 30.01.2019.
- Neues aus der Archäologie-Werkstatt: Ein Krug. Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 12.04.2019.
- Neues aus der Archäologie-Werkstatt: Eine Godenschale. Freigelegt. Der Blog der Stadtarchäologie Wien, 21.02.2017.